Rätsel Rosengarten. Wie es zum Cluster im Weißen Haus kam und mehr über Tests

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 206


ARMIN THURNHER

08.10.2020

Das gelöste Rätsel um den Cluster im Weißen Haus, eine hingerotzte Stellungnahme aus Österreich,
evidenzbefreite „Evidenzbasierung“, knapp werdenden Tests, seltsame Zahlen aus Wien …
Die Bekämpfung des Virus nimmt merkwürdige Züge an. Virologe Robert Zangerle von der Uni Innsbruck
zieht ein Zwischenresumee und warnt, sich in falscher Sicherheit  zu wiegen, nur weil man (schnell)getestet ist. 
Heute Teil I, morgen Teil II

Am Samstag den 26. September verkündete Trump vor fast 200 Gästen aus dem inneren Kreis von Trump und der konservativen Elite im Rosengarten des Weißen Hauses, er nominiere die konservative Richterin Amy Coney Barrett für den vakanten Sitz im Obersten Gericht. Die Stimmung war bestens, man umarmte sich, verteilte Küsschen hier und da, klopfte sich auf die Schultern. Die Gäste verhielten sich, als gäbe es keine Pandemie . Wie das? Bei allen wurde in speziellen Räumen ein Antigen-Schnelltest durchgeführt, und erst nach dem sie negativ getestet wurden, wurden sie mit dem Hinweis, dass es nun sicher sei, die Maske zu entfernen, zum Rosengarten geführt . Mindestens elf dieser Teilnehmer testeten inzwischen positiv, insgesamt schwoll der Cluster Weißes Haus bis zum Abend des 6. Oktobers auf 34 Personen an. Ein paar Schlussfolgerungen lassen sich selbst aus dem wenigen, bruchstückhaft Bekannten ziehen:

  • (Schnell)-Testen ohne Abstand halten, Händehygiene und Maske tragen war und ist ungeeignet als Schutzkonzept .
  • Schnellteststrategien sind unzureichend validiert. Vorrangig für eine Schnellteststrategie sind symptomatische Fälle in Pflegeinstitutionen und Krankenhaus.
  • Bei größeren Veranstaltungen spielen Netzwerkstrukturen eine substantielle Rolle; ein offensichtlicher „Cluster“ muss nicht einem einzigen Übertragungscluster entsprechen, auch die Rose Garden Ceremony hatte zumindest eine Innenraumkomponente 
  • Es kann jede(n) erwischen, auch perfekte Organisationen eignen sich für Pfusch (USA: Sicherheits-/Geheimdienst Weißes Haus)

Das Weiße Haus setzte schon lange auf eine „Testing only“ Strategie statt auf Kombinationsprävention. Trump und sein innerer Kreis hatten sich zwar täglich und mitunter sogar mehrfach am Tag auf das Coronavirus testen lassen. Aber dieser «Schnelltest» (ID NOWâ und zuletzt BinaxNOWâ von Abbott) ist für einen solchen Zweck weder zuverlässig noch zugelassen. Man wähnte sich in falscher Sicherheit. Das Tragen von Masken war absolut verpönt. Und über das Abstand halten machte man sich lustig. «Das Weiße Haus ist eine Petrischale für das Virus.», so eine frühere Beraterin und Mitglied der Covid-Task-Force im Weißen Haus. In Österreich rührt sich gerade auch einiges zu Testung, so verlautbarte die Österr. Gesellschaft für Infektiologie und Tropemenmedizin (OEGIT) eine mehr oder weniger hingerotzte Stellungnahme zur Testung von SARS-CoV-2 .

Die Stellungnahme will das Testen auf folgende Personenkreise einschränken: symptomatische Personen, enge Kontaktpersonen von an COVID-19 nachweislich Erkrankten, situationsbedingt in Risikoeinrichtungen und situationsbedingt in Krankenanstalten bzw. anderen Gesundheitseinrichtungen. Abgesehen davon, dass mit keinem Wort Risikoeinrichtungen erklärt werden, widerspricht sich der Text auf haarsträubende Weise. Einerseits zitiert er (2x!) den evidenzbefreiten Artikel der deutschen Evidence-Based Medicine Bewegung , der sich klar gegen eine weite Testung ausspricht, andererseits erwärmen sie sich für den „Mina Frequent Testing Plan“, der ein sehr häufiges Testen, praktisch für alle, auch zuhause, nahelegt. Zu guter Letzt führen sie zwar die Empfehlungen des ECDC an , zitieren diese jedoch nicht, weil sie sich auch nicht daran halten. Kein Wort zu der sehr hohen Positivitätsrate in Österreich (zuletzt 4,4%), schon gar nicht bemängeln sie das Fehlen des Wissens um diese Rate bei den verschiedenen Altersklassen. Gibt es eine hidden agenda? Eine Strategie der Herdenimmunität?

Pamela Rendi-Wagner forderte diesen Montag die Regierung auf, entsprechende Einkäufe zu tätigen, solange noch Schnelltests auf dem Markt verfügbar seien https://orf.at/stories/3183971/ . Als ob diese Verknappung nicht längst schon eingetreten wäre. Zum Mangel an Tests kommt die erst anlaufende Validierung der Schnelltests für symptomatische Patienten. Für asymptomatische Personen wird das noch länger dauern. Es gibt keine Abkürzung.

Ob die Ansteckungen des Clusters Weißes Haus während der Rose Garden Ceremony oder doch eher in den zahlreichen assoziierten Meetings in Innenräumen (ohne Maske und ohne Abstand!) passierten, ist und wird nicht zu beantworten sein, zumal das Weiße Haus ein Contact Tracing ablehnt . „Spontan eingesprungen“ für das Contact Tracing ist der Student Benjy Renton, der die Daten über ein Dashboard öffentlich macht, wo sich viele Medien ihre Informationen herholen. Auffällig häufig konnten Angesteckte in drei Netzwerken gefunden werden, im direkten Umfeld von Donald Trump, bei Medienleuten und hohen republikanischen Politikern. Je größer die Veranstaltung, umso mehr Mitglieder solcher Netzwerke können teilnehmen, und umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass Infizierte sich darunter befinden oder ein Mitglied infiziert wird. Eine Weiterverbreitung passiert dann besonders leicht über ihre eigenen Treffen.

So treffen sich republikanische Senatoren dreimal wöchentlich zum Mittagessen, alle positiven Senatoren haben keines davon ausgelassen. Besonders eindrucksvoll ist die Ansteckungsrate bei den denen, die an dem Meeting zur Vorbereitung des TV Duells teilgenommen haben: 7 von 10 sind positiv, darunter Stephen Miller, der erst nach 5 Tagen täglicher Tests ein positives Resultat zeitigte. . Man kann nicht oft genug davor warnen, sich in falscher Sicherheit zu wähnen!

Analog zu den Netzwerken im Weißen Haus könnte es sich beim Cluster im Umfeld der Studenten der privaten Wiener Musikuniversität abgespielt haben (inzwischen 58 Fälle). Aus solchen epidemiologischen Erwägungen sind Gruppen zumindest größer als 50 Personen aus einem Betrieb oder einem Verein bei einer öffentlichen Kulturveranstaltung als problematisch zu sehen.

Die Kärntner geben es bescheidener, die haben einen Cluster beim Almabtrieb.  Die größte Zahl nimmt die Zahl der Haushaltscluster ein, die nicht selten nur aus 2 Personen bestehen. Oft hat man sich gefragt, wie das Virus wohl von Haushalt zu Haushalt kommt, inzwischen ist die Sammlung der neuen Cluster aber ansehnlich gewachsen, sodass jetzt der Bedarf an Erklärung zu decken wäre. Übertragungsorte/Übertragungswege der Cluster vom September sind hier aufgelistet, unvollständig, vor allem weil Wien „seine“ Cluster kaum publik macht:

Größere Covid-19 Cluster im September

Fußballspieler
Wohnheim
Sommerschule
Pflegeheim
Veranstaltung Musikuniversität
Paketzentrum
Beherbergungsstätte
Nachtlokal
Klinik
Altenheim
Hobbyfußballverein
Sportverein
Lebensmittelproduktionsbetrieb
Sportakademie
Musikkapelle und Chor
Krankenhaus (Mitarbeiter)
Altenheim
Chor
Kindergarten und Volksschule
Erstkommunionsfeier mit Weiterverbreitung in einer Schule
Schule
Schule
Fitnesscenter
Mitarbeiter eines Supermarkts mit Weiterverbreitung in einer Schule
Bundesheerangehörige mit Weiterverbreitung bei Klassenfahrt/Schule
Lebensmittelproduktionsbetrieb (Schlachtbetrieb)
Lokal/Feier nach Almabtrieb
Chor
religiöse Veranstaltung
Lebensmittelproduktionsbetrieb
Altenpflegeheim

Häufig wird betont, dass in bestimmten Lokalisationen (Geschäfte, Verkehrsmittel oder Restaurants) kaum oder noch gar keine Cluster nachgewiesen werden konnten. Das sagt nicht viel. Methodisch ist es bei einer diffusen Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung schwierig, unterschiedliche Risikosituationen zu entflechten, und dann schlägt der häufigste gemeinsame Nenner durch: der Haushalt, wo die Übertragungswahrscheinlichkeit bei Kontakten natürlich höher ist, als bei anderen Kontakten.

Auch der Confirmation bias (Bestätigungsfehler ) spielt eine Rolle, ein Begriff, der den mit 1100 – 1800 € Brutto entlohnten Kräften für das Contact tracing vermutlich nicht sehr bekannt sein wird. Jede Information, die eine Arbeitshypothese unterstützt, wird gerne angenommen, und dann nicht lange in Frage gestellt. Wesentlich größer als der Confirmation bias ist jedoch der kleiner werdende Anteil der Fälle mit geklärter Quelle (%) beim Rückverfolgen von TRIQ (Testen, Rückverfolgen (Contact Tracing), Isolation und Quarantäne)

Ich habe mir die diesbezüglichen Zahlen der Coronakommission angeschaut ( Indikatoren zur Risikoeinstufung) und Befremdliches gefunden.

Nicht weil die Zahlen nicht so berühmt wären (alles über 80 ist sehr gut, alles unter 50 ist sehr schlecht – siehe hier und hier), nein, mich verwundern die jeweils gleichen Zahlen für Wien. Zufall? Eine Denkmöglichkeit, bis ich dann aber für den 17. September eine völlig falsche Angabe zu Österreich fand. Dann dämmerte es mir, das sind einfach von Wien behauptete, unbelegte Zahlen, die in Wirklichkeit deutlich unter 50 Prozent liegen! Wo bleibt Brenjy Renton? Lässt sich die Corona Kommission das gefallen? Wieso verhängt der Bund keine Verwaltungsstrafe über Wien? Die Situation in Wien ist ernster als vermutet, umso mehr überrascht, wieso die Bundesregierung Wien eher mit Samthandschuhen anfasst. Ist die Koalitionsbildung nach der Wien Wahl wichtiger als die Eingrenzung der Pandemie?

Reisewarnungen, zumindest für Wien, werden in diesem Jahr nicht mehr verschwinden. Viel mehr ist damit zu rechnen, dass bei den Christkindlmärkten auch die Italiener ausbleiben werden, mit oder ohne Reisewarnung. Und der Westen beginnt langsam zu begreifen, dass die Wintersaison sehr, sehr gefährdet ist und es jedenfalls starke Einbußen geben wird. Schon sehr frustrierend. Denkt denn niemand an die Wirtschaft?

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

@arminthurnher

thurnher@falter.at


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