Alles im grünen Bereich mit der Corona-Ampel? Der Virologe klärt auf.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 168

Armin Thurnher
am 31.08.2020

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Am Wort ist heute wieder Virologe Robert Zangerle von der MedUni Innsbruck. Er schreibt über aktuelle Fragen der Ampel und schlägt vor, was man besser machen könnte.

»Schon tauchte hier die Frage auf, was „im Griff haben“ und „es ist unter Kontrolle“ bedeuten könnte. Heute wird hier frei von Ironie beschrieben, dass unzureichend Daten vorhanden sind, so etwas überhaupt behaupten zu können. Um nicht missverstanden werden: Es wird nicht das Gegenteil behauptet, sondern bemängelt, dass wichtige Informationen zur gesicherten Beurteilung inkomplett sind und dass ein Benchmarking und das Setzen von Maßnahmen an vagen und für die Öffentlichkeit intransparenten Richtwerten bestimmter Kriterien damit krass behindert wird.

Schauen wir uns also die „Corona Ampel“ an, die dies alles bewerkstelligen soll. Prinzipielles zur Ampel wurde hier und hier schon vor vielen Wochen kommentiert. Weil Richtwerte für bestimmte Daten („Zahlen“), wann präventive Maßnahmen verstärkt oder gelockert werden, weder kommuniziert noch diskutiert werden, prescht man nun vor, quasi im Blindflug, um eine diesbezügliche Diskussion „zu fördern“. Jede Ampel ist ein sozialpolitisches Konstrukt. Teilhabe, wenn schon nicht machtpolitisch, dann wenigstens demokratiepolitisch, erwünscht.

Die Corona Ampel ist durchaus ambitioniert, sie besteht aus vier Säulen, denen jeweils eine eigene Ampel entspricht. Wir haben also insgesamt vier Ampeln:

  • „Übertragbarkeit (Fälle)“

  • „Quellensuche (Cluster)“

  • „Ressourcen (im Gesundheitswesen)“

  • „Tests“

Bei der Zahl der Fälle muss die Ampel sich zwangsläufig an Kriterien orientieren, die für den Reiseverkehr gelten. Das wird gar nicht so leicht, weil Österreich im Gegensatz zu Deutschland (50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innert 7 Tagen) oder der Schweiz (60 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innert 14 Tagen) keinen solchen Grenzwert kennt. Wir wollen der Ampel Farbe verleihen und schlagen folgende Richtwerte, gelockert modifiziert nach Kanton Zug , die wesentlich weniger streng sind als die Corona Ampel in Berlin (rot ab 30 Neuinfektionen/100 000 in sieben Tagen) vor.

Die Quellensuche (Rückverfolgen im TRIQ, Contact-Tracing) bildet das Rückgrat im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Ziel ist, jeden neuen Covid-19-Fall zu isolieren, alle engen Kontaktpersonen in Quarantäne zu stecken und herauszufinden, wo Ansteckungen passieren. So sollten möglichst viele Fälle einer geklärten Quelle zugeordnet werden können. Das entspräche einer weit gefassten Definition von Cluster, nämlich minimal 2 Personen. Nach Tom Frieden, Direktor des CDC in Atlanta während der Ära Barack Obama, sollte dieser Anteil über 80 Prozent liegen, das wäre also Grün in der Ampel. Alle Werte unter 50 Prozent würden jedenfalls Rot bedeuten.

Je mehr Neuinfizierte sich zum Zeitpunkt der Diagnose bereits in Quarantäne befinden, desto besser ist die Lage unter Kontrolle, aber nicht, wenn verlautbart wird: „seit Mittwochabend kamen in Tirol insgesamt 22 Neuinfektionen hinzu. Ein Drittel der Betroffenen befand sich bereits in Isolation“ . Das ist kein besonders guter Wert, auch Nicola Low, Epidemiologin der Schweizer Task Force, sieht das so . Die Frage »Bereits in Quarantäne, bevor positives Testresultat vorlag?« gehört ins Formular des Epidemiologischen Meldesystems (EMS) eingefügt, ebenso die Zeit von der Testabnahme bis zur Isolation einer positiven Person (sollte bei 80 Prozent der Fälle innerhalb von 48 Stunden erfolgen). Wir haben mit dem elektronischen EMS eine privilegierte Situation, nützen wir das für solche qualitätssichernden Maßnahmen!

Bei den Ressourcen im Gesundheitswesen wird die Ampel wohl immer auf grün stehen. Damit wird der Grad an Auslastung in den Krankenhäusern, Normal- als auch Intensivstationen, erfasst. Die höchste Belegung auf Intensivstationen, am 8. April erreicht (267 Personen), war deutlich von der Auslastungsgrenze entfernt. Deshalb müsste es mit dem jetzigen Wissen, was zu tun ist (TRIQ und AHA) doch zu vermeiden sein, dass wichtige Teile des Gesundheitssystems neuerlich zurückgefahren werden. Um das so gut als möglich zu gewährleisten, sollten bestimmte Versorgungsparameter in die Ampel aufgenommen werden, z.B. wie viele Abteilungen ihre elektiven chirurgischen Eingriffe und wie viele Institutionen sowohl im niedergelassenen Bereich als in den Krankenhäusern Darmspiegelungen zur Vorsorge, jeweils auf das Bundesland bezogen, einschränken. Schon klar, das wird müdes, vielleicht aber auch nachsichtiges Lächeln nach sich ziehen.

Ob genügend und ob die richtigen Personen auf SARS-CoV-2 getestet werden, ist nicht leicht zu beantworten. Die Ampel sieht vor, die Zahl der Tests pro 100 000 anzugeben, selbstverständlich exklusive Screening. Wird spannend was da als grün gilt, hängt sehr von der Verbreitung von Covid-19 ab (jetzt z.B. mehr als jede tausendste Person). Begrüßenswert die neu in die Ampel aufgenommene Positivitätsrate, aber so wie sie geplant ist, unzureichend. Die Positivitätsrate darf nicht allein auf Bundesländer bezogen bleiben (Wien hat seit drei Wochen mindestens Gelb!), sie muss auch nach Geschlecht und Alter differenziert werden, wie hier am Beispiel der Schweiz.

Vielleicht sollten wir die 3 Gründe des Testens vor Augen führen:
  • Abklärung zur persönlichen Gesundheit

  • Surveillance (Erfassen der Verbreitung – Prävalenz)

  • Mitigierung (Milderung von Symptomen, etwa bei medizinischem Personal. Mitigierend aber nur wenn häufig getestet wird, also zweimal pro Woche)

Screening ist in Österreich durch den Slogan „Testangebot – Sichere Gastfreundschaft“ arg politisiert und soll eine Sicherheit vorgaukeln, als handle es sich um eine Strategie der Mitigierung, was es ganz einfach nicht sein kann. Im Gegensatz zu konsequenterem AHA (hier oder hier ) ist es in diesem Bereich auch alles andere als eine kosteneffektive Maßnahme, höchstens eine ironische Variante von „Testen, Testen, Testen – aber gezielt!“

Mitigierendes Testen wird nur im medizinischen Bereich punktuell durchgeführt, wird international derzeit aber groß diskutiert: mit Schnelltests (auch zuhause) soll man die „wirklich Infektiösen“ erfassen (die Nachweisbarkeitsschwelle liegt bei diesen Tests höher) und schnell isolieren können. Diese Tests haben aber eine sehr niedrige Sensitivität um 50 Prozent. Für den angegebenen Zweck mit ständigerer Wiederholung würde das nicht stören. Aber vor allem die Spezifität ist für eine breite Anwendung derzeit noch als problematisch einzustufen, deshalb jetzt Schluss mit dem Abschweifen von der Ampel.

Die Ampel führt bei „Tests“ noch die Kategorie „Asymptomatische Fälle der letzten 7 Tage“ auf, gezählt als Anteil der in dieser Zeit positiv Getesteten. Fast merkwürdigerweise waren dies in den letzten Wochen zwischen 20 und 30 Prozent der jeweils Getesteten, was annähernd Werten entspricht, wie sie rigid strukturierte Studien zeigen. Also alles in Ordnung? Ich hätte da meine Zweifel, weil erstens das EMS, zumindest zu einem substantiellen Teil, eine Momentaufnahme zeigt und zunehmend Exponierte vor Symptomen erfasst (erfassen soll!), und zweitens die weniger krank werdende Gruppe der 15-24 Jährigen den größten Anteil der zuletzt positiv Getesteten ausmacht (annähernd zehnmal höheres Auftreten als in der Altersgruppe um Thurnher & Zangerle).

Dies und die höher werdende Positivitätsrate, zuletzt um 2,6 Prozent, weisen darauf hin, dass oft noch zu wenig, und im Verlauf der Infektion oft spät getestet wird. Die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 beginnt Tage (inzwischen weiß man, dass es mehr als 2 Tage sein können!) vor Auftreten der Symptome. Das Erfassen von Symptomen ist oft schwieriger als allgemein angenommen. Meine jahrzehntelange Erfahrung in der Behandlung von HIV und Hepatitis C führte mich zur „gesicherten Meinung“, dass das Buch „Die Symptome der Symptomlosen“ jedenfalls wesentlich dicker ist als das Buch „Unabhängige Medien in Österreich“.

Schaun mer mal was die Ampel zeigen wird.«

Dem schließt sich neugierig an

Ihr Armin Thurnher

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