Lasst Markus Wallner in Ruhe. Plädoyer für die öffentliche Pause.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 761

Armin Thurnher
am 23.06.2022

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Als der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner gestern bekanntgeben ließ, er nehme einen längeren Krankenstand in Anspruch, gab es in den politischen Blasen kein Halten. Tritt er zurück, was hat er, ist es ein Rückzug auf Raten und dergleichen mehr.

Journalismus, dachte ich einmal, hat etwas mit der Ermittlung von Fakten zu tun, nicht mit dem brabbelnden Ausstoßen von Mutmaßungen, mit denen man Aufmerksamkeitspunkte zu schinden hofft.

Ich dürfte kaum im Verdacht stehen, ein ÖVP-Sympathisant zu sein, aber was da mit dem guten Wallner aufgeführt wurde, ging deutlich zu weit. Wenn ein Mensch aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit nimmt, so ist sie ihm zuzugestehen und nicht durch hämisches oder bloß naseweises Hinpecken zu vergällen.

Wallner hat problematisch gehandelt; er hat unglaubwürdige Storys um sein Handy aufgetischt. Die Aufdeckung der Wirtschaftsbund-Inseratenaffäre zielte ins unverwundbar geglaubte Herz des Vorarlberger politmedialen Komplexes. Es war, nur um ein abstraktes, in der Realität noch unvorstellbareres Beispiel für die Schwere dieses Schlages heranzuziehen, als müsste die Gemeinde Wien der Kronen Zeitung die Inserate streichen. Dem Wiener Bürgermeister würde es danach gar nicht gut gehen.


Wir sind in den vergangenen Jahren mit unverschämten und unfähigen politischen Entscheidungsträgern konfrontiert worden; zweifellos hat eine Abwärtsspirale eingesetzt, die den gesamten politmedialen Komplex betrifft, das heißt Medien und Journalisten inklusive.

Für die Annahme, die Politik würde immer schlechter, während der Journalismus immer besser wird,  spricht nicht viel. Die Kräfteverhältnisse haben sich insgesamt verschoben, im Ringen um die Macht ist auch die Öffentlichkeit gekippt. Den Social Media mit ihrer algorithmisch gesteuerten Aggressionsaufheizung, der Kommerzialisierung, dem Übergewicht der Public Relations über den Journalismus auf der einen Seite steht ein politisches Gewerbe auf der anderen gegenüber, das scheinbar nur noch versucht, diesen aus dem Ruder gelaufenen Apparat mit Trickbetrug zu kontrollieren. Die öffentliche Lüge ist nicht erst seit Trump und Putin Teil der großen Politik; auch in unserer kleinen Welt sahen wir den rauschenden Erfolg eines Lügenprinzen, der mit Hilfe frisierter Umfragen an die Macht kam und mit öffentlich finanzierten Anzeigen diese Macht sicherte, während er Politik durch Produktion von Slogans und Anpasssung an die vermutete und erfragte Volksstimmung ersetzte.


Wie kommen wir aus dieser Abwärtsspirale heraus? Indem wir Pausen schaffen zum Beispiel. Wallners Erklärung einmal einfach zur Kenntnis nehmen und uns mit ihm beschäftigen, wenn er wieder gesund und dazu bereit ist.

Reflexionspausen könnten wir einschalten, ehe wir reflexartig Dinge hinausblasen, mit denen wir vor allem einem etwas Gutes tun wollen, uns selbst.

Im Gegenzug für das Entstehen von Pausen könnte man sowohl von Politik als auch von Medien ein Mindestmaß an öffentlicher Selbstreflexion verlangen. Nämlich darüber, was Politik ist und wie darüber geredet werden soll.

Es gibt gute Gründe, gewisse Charaktere anzugreifen. Ein Mensch wie Wolfgang Sobotka zum Beispiel, der, in Steuergeld watend, den hochrangigen Globetrotter gibt und zugleich das Amt des Nationalratspräsidenten in unverhältnismäßiger Weise hinunterzieht, verdient es, attackiert zu werden; ich tue das täglich und begründe es immer wieder inhaltlich. Zu ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner, die im Fall Wallner sogleich die vorverurteilende Diagnose kundtat, die „Vorverurteilung durch die Medien“ sei schuld an Wallners Erkrankung, kann man nur gut christlich sagen: Herr vergib ihr, sie weiß nicht, was sie redet.


Ja, vieles an dieser Politik und ihrem Personal ist jämmerlich, beklagenswert und kläglich. Aber Politik und Politikbetreibende pauschal zu diskreditieren, richtet sich am Ende gegen das Gemeinwesen selbst. Solche Diskreditierung hat von Seiten der Medien oft nur den Sinn, Schutzgeld in Form von Regierungsinseraten einzufordern. Eure Beliebtheitswerte sind im Keller? Wir können euch rausholen, aber umsonst ist das nicht!

Nein, was wir brauchen, ist eine Wiederbelebung politischer Kritik, und eine Politik, die wieder lernt, sich politisch zu artikulieren und nicht nur versucht, auf Stimmungen zu surfen. Und die, wenn sie das tut, dafür Anerkennung bekommt. Aus ihren selbst geschaffenen Pausen soll die Öffentlichkeit neu erstehen.

Ich möchte jedenfalls in der multiplen Krisengesellschaft so gut wie möglich regiert werden, und nicht von Unfähigen. Wünsche Markus Waller eine rasche Genesung, möge er in der Rekonvaleszenz in Ruhe gelassen und danach mit der fälligen Kritik konfrontiert werden.


Berichtigung. Thomas Drozda, Kunst- und Medienminister in der Regierung Kern, schrieb mir zur Bestellung des RTR-Vorsitzenden, die ich kritisiert hatte, folgendes: „Der guten Ordnung halber möchte ich mitteilen, dass die Feststellung, Sebastian Loudon wäre erstgereiht gewesen, von ihm selbst stammt. [Anm.: diese Behauptung hat Thomas Drozda inzwischen zurückgenommen, mehr dazu siehe hier.] Ich habe dem (bisher) medial nicht widersprochen, weil ich nicht eine Unverschämtheit des Jahres 2022 durch eine Diskussion über Vorgänge aus 2017 überlagern will. Tatsächlich gab es damals drei ‚in höchstem Maße‘ qualifizierte Kandidaten und Kandidatinnen, einen erfahrenen habe ich ausgewählt. Die Sinnhaftigkeit, Bewerbungsschreiben am Tag der Abgabe via Standard öffentlich zu machen, stelle ich in Abrede, was nichts daran ändert, dass Sebastian Loudon ein qualifizierter Kandidat und ordentlicher Mensch ist.“


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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