Kurzarbeit : Auf dem Weg zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Dienstagabend, Ivan kommt nach Hause. Gerade hat er zwei Tage als Ingenieur gearbeitet. Die nächsten drei Tage bezahlt ihm die Staatskasse ein gutes Gehalt, zwei Drittel des Netto-Tageslohns aus seinem Industriejob. Im Gegensatz zum Gehalt, das ihm sein Arbeitgeber zahlt, kommt dieses Geld ohne Bedingungen daran, was er Mittwoch bis Freitag macht. Er kann sich erholen, seine Kinder betreuen, seinen Eltern im Haushalt helfen, oder Nachbars Kindern kostenlos Nachhilfe geben.
Was wie Szene aus einem Traktat zum bedingungslosen Grundeinkommen klingen mag, ist derzeit Realität in Österreich. Ivan bekommt Mittwoch bis Freitag Geld aus der Staatskasse (oder eher den Staatsschulden), nicht, weil allgemeiner Überfluss ausgebrochen wäre und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens sich in der ÖVP durchgesetzt hätten. Er bekommt das Geld, weil sein Arbeitgeber aufgrund der Corona-Krise nicht genug Arbeit für ihn hat, es aber wirtschaftlich und menschlich schlimme Folgen hätte, wenn Menschen wie Ivan zu Hunderttausenden ihre Arbeitsstelle verlieren würden. Unser fiktiver Protagonist Ivan steht damit für die über 450.000 Menschen, die in Österreich derzeit in Kurzarbeit sind.
Aber ein gutes Einkommen beziehen, egal, was man mit seiner Zeit tut, frei sein, in selbstbestimmter, verantwortlicher Art einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten auch da, wo wir dem Beitrag keinen Geldwert beimessen – das klingt schon sehr nach dem Gesellschaftsentwurf, den Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens schon länger vorzeichnen. Und selbst die wirtschaftsliberale Denkfabrik Agenda Austria behauptet, die Corona-Kurzarbeit wirke wie ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Bewegt die Corona-Krise Österreich, gar die ÖVP, auf dem Umweg der Kurzarbeit also in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen? Ist Österreich auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der niemand aus wirtschaftlicher Not arbeiten muss oder vom AMS zur Arbeitssuche verpflichtet wird, sondern in der wir einander zutrauen, selbstbestimmt gesellschaftlich sinnvolle Arbeit tun zu wollen?
Hier ist Befürwortern des Grundeinkommens geraten, nicht zu optimistisch zu sein. Denn Kurzarbeit passt nahtlos in das „Fordern und Fördern“ Modell des herkömmlichen Sozialstaats: Nach diesem Modell gibt es Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, unter der Bedingung, dass die EmpfängerInnen nach Arbeit suchen. Die Idee ist zum Einen, Menschen nicht den Anreiz zum Arbeiten zu nehmen. Zum anderen liegt dem System auch eine ethische Überzeugung und ein Menschenbild zu Grunde: Menschen soll geholfen werden, aber nur, oder vor allem, wenn ihre wirtschaftliche Notsituation (z.B. Arbeitslosigkeit) „unverschuldet“ ist.
In dem zugrunde liegenden skeptischen (Befürworter würden sagen, „realistischen“) Menschenbild schwingt aber immer auch das Feindbild des „Sozialschmarotzers“ mit, der einfach nicht arbeiten will. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würden diese Menschen, so die Befürchtung, sich nicht etwa frei zum Nutzen der Allgemeinheit entfalten, und z.B. unbezahlte Nachbarschaftshilfe leisten, sondern sich nur unverdient auf Kosten der Allgemeinheit ausruhen. Um dieser Gefahr zu entgehen, wird der Empfang von Arbeitslosengeld und Sozialleistungen an die Bedingung gekoppelt, aktiv Arbeit zu suchen.
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Kurzarbeit treibt dieses Prinzip auf die Spitze: Welch besserer Beweis der ehrlichen Arbeitsplatzsuche und Arbeitswilligkeit, als bereits einen Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben! Entsprechend gibt es dann auch nicht Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung, sondern eine besondere Unterstützung: Eine von der Gemeinschaft finanzierte Garantie, zumindest 80% des bisherigen Nettogehaltes zu verdienen, selbst wenn es eigentlich fast nichts an entlohnter Arbeit zu tun gibt.
Das ist angemessen und richtig. Aber ein Schwenk zur inneren Logik des Grundeinkommens ist es nicht, denn Kurzarbeit verschreibt sich implizit weiter der grundlegenden Logik des klassischen Sozialstaats und dem damit einhergehenden skeptischen Menschenbild, welche der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens diametral entgegen stehen.
Freitagabend. Schon wieder kaum neue Stellenangebote, und bisher nur Absagen. Dabei hatte Sara alles richtig gemacht – im Februar ihr Ingenieurstudium abgeschlossen, mit Aussicht, bald einen guten, sicheren Job zu bekommen. Aber dann kam Corona. Fertig ausgebildet – und arbeitslos, mit unsicheren Aussichten. Ivan’s finanziell abgesichertes, freies Leben von Mittwoch bis Freitag – für Sara bleibt dieses Leben Teil der Utopie des Grundeinkommens. Denn das Geld aus der Kurzarbeit, das gibt es nur unter der für Sara derzeit nicht realistisch erfüllbaren Bedingung, bereits eine Arbeitsstelle zu haben.
Kurzarbeit, ein wenig wie Grundeinkommen, aber nur für Menschen mit Arbeitsstelle: Hier zeigt sich eine Inkonsistenz der gegenwärtigen Corona-Wirtschaftspakete, deren Auflösung zumindest in Richtung eines universellen Grundeinkommens verweist: Nicht nur fehlt es an Arbeit für bereits angestellte Menschen wie Ivan, sondern weitaus mehr Menschen (im Juli 41% mehr als im Vorjahresmonat) bemühen sich um weitaus weniger offene Stellen (im Juli 25% weniger als im Vorjahresmonat). Ebenso wie der Mangel an tatsächlichen Arbeitsaufgaben von Ivan unverschuldet ist, so ist es in keinster Weise Saras Schuld, keine Arbeit zu finden.
Das „Fordern“ in „Fordern und Fördern“ ist in dieser Situation sinnlos, gar zynisch. Mit Zuschlägen aus unserer gemeinschaftlichen Kasse Ivan viele Monate lang 80% seines Einkommens zu garantieren, einer arbeitslos gewordenen Person maximal 60%, und Arbeitsmarkt-EinsteigerInnen wie Sara nur die Mindestsicherung zu zahlen (und KünsterInnen mit einem spät gewährten, vom bisherigen Einkommen unabhängigen Pauschalbetrag abzuspeisen), ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Menschen, die alle von der selben wirtschaftlichen Krise betroffen sind.
Kurzarbeit als Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen? Mitnichten, denn Kurzarbeit ist an die Bedingung eines Arbeitsverhältnisses geknüpft, und verschreibt sich weiter der Grundidee des Sozialstaats des Fordern und Förderns. Das ist der gegenwärtigen Krise nicht angemessen, und führt zu unfairer Ungleichbehandlung.
Das macht Kurzarbeit an sich nicht falsch – Menschen wie Ivan zu ermöglichen, ihr Arbeitsverhältnis und größtenteils ihr Einkommen aufrecht zu erhalten, ist wichtig und richtig. Was falsch ist, ist die Verbindung zwischen dieser finanziell besonders starken Förderung an die Bedingung, ein Arbeitsverhältnis zu haben. Was wir brauchen, ist eine solidarische Unterstützung, die alle Formen krisenbedingten Mangels an bezahlter Arbeit unbürokratisch und großzügig ausgleicht.
Für die Dauer der wirtschaftlichen Seite der Corona-Krise sollten wir daher allen ein Grundeinkommen zahlen, außer für tatsächlich vom Arbeitgeber bzw. Auftraggeber entlohnte Arbeitsstunden. Eine Fortsetzung der von den NEOS bereits im Mai geforderten zeitlich begrenzten Grundsicherung für KünstlerInnen, mittlerweile auch von verschiedenen Parteien im Wiener Landtagswahlkampf unterstützt, wäre ein guter Anfang, und wäre auf alle betroffenen Menschen auszuweiten.
Wenn wir zudem einen Blick über den Teller- oder Alpenrand werfen, finden wir ein weiteres, viel größeres Vorbild: Die Vereinigten Staaten, bisher nicht bekannt für einen progressiven Sozialstaat, haben von März bis Juli das Arbeitslosengeld für 30 Millionen Amerikaner pauschal um 600 US-Dollar (etwa 500 Euro) pro Woche erhöht (eine Neuauflage dieser Förderung steht noch aus).
In einer Welt, in der das „Fordern“ des bisherigen Sozialstaats nicht greift, muss konsequent gelebte, gemeinschaftlich finanzierte, Solidarität mit krisenbedingtem Arbeitsmangel also zumindest zeitweise viel stärker Züge des bedingungslosen Grundeinkommens annehmen als die Kurzarbeit dies tut – und das selbst innerhalb der Logik des bisherigen Sozialstaats.
Ob das ein Schritt hin zu einem dauerhaften bedingungslosen Grundeinkommen ist, das gilt dann weiter politisch ausgefochten zu werden, allerdings unter Berücksichtigung der dann neuen Erfahrungen, die wir während der Krise damit sammeln.