Eine weitere unbedachte Wortwahl

Wer anfängt, „normal Denkende“ von „nicht normal Denkenden“ zu trennen, ist nicht weit davon entfernt, zu bestimmen, welche Abstammung, Religion oder Kunst "normal" ist.

Harry Bergmann
am 11.07.2023

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Um wieviel Grad müsste man LH Mikl-Leitner kippen? Foto: APA/Roland Schlager

Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 2133 und Sie befinden sich in St. Pölten am Johanna-Mikl-Leitner-Platz und Sie betrachten das Mikl-Leitner Denkmal. Genauer gesagt: das Mikl-Leitner Normaldenk-mal. Sie wollen es sich nicht vorstellen? Verstehe ich natürlich auch.

Wenn Sie sich allerdings an diesem Gedankenspiel – wenn auch nur für einen kurzen Moment – beteiligen würden, dann könnte ich Ihnen eine meiner seltsam anmutenden Geschichten erzählen, die sich manchmal am Ende als gar nicht so seltsam herausstellen.

Also es ist Sommer 2133. Die Temperaturen sind unerträglich hoch. In den letzten 110 Jahren, seit 2023, sind sie kontinuierlich gestiegen. An die Klimaaktivisten der 20er-Jahre erinnert man sich voller Hochachtung, wie seinerzeit an die Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg. Auch die Diskussion um das Mikl-Leitner Normaldenk-mal wird immer heißer und heißer. Die einen wollen es weghaben, die anderen wollen es als Dorn im Stadtauge – also nicht Denkmal, sondern Mahnmal – stehen lassen. Dass der Johanna-Mikl-Leitner-Platz nicht schon längst auf Anti-Präfaschistoiden-Platz umbenannt wurde, ist wieder eine andere Geschichte. Nämlich die, dass es viele Stimmen gegeben hat, die, meiner bescheidenen Meinung nach völlig zu Recht, den Platz lieber gleich Anti-Präfaschisten-Platz oder sogar Anti-Faschisten-Platz nennen wollten. Ihr Einwand, geneigte Leserin oder geneigter Leser, dass meine bescheidene Meinung aus dem Jahre 2023 im Jahre 2133 für den Hugo ist, hat natürlich auch was.

Jedenfalls sind all diese Namens-Vorschläge am Veto der EABP (Ehemals Anständige Bürgerliche Partei) abgeprallt. Die EABP, die aus der ENNSUKSKP (Ehemals Noch Nicht Ständig Unter Korruptionsverdacht Stehende Konservative Partei) hervorgegangen ist, hatte natürlich ihre guten Gründe. Mikl-Leitner gehörte der ÖVP an, einer Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgängerpartei dieser EABP, und das just zu einer Zeit, als diese stolze Mitte-Rechts-Volkspartei, die maßgeblich am Wiederaufbau der 2. Republik beteiligt war, begann, ihre Seele, oder das was noch davon übriggeblieben war, zu verkaufen.

Zu diesem Zeitpunkt war Österreich noch in 9 Bundesländer geteilt. Das größte war ein Bundesland namens Niederösterreich, dessen Hauptstadt eben dieses St. Pölten war, in dem heute das umstrittene Mikl-Leitner Normaldenk-mal steht. Böse Zungen behaupten, dass der Name Niederösterreich einem Ausspruch eines querulanten, allen alles neidenden Marxisten entsprang, der es nicht verkraften konnte, dass er es zu keinen höheren Weihen gebracht hatte, nur weil er eben nicht aus Niederösterreich stammte: „In Österreich erblüht alles Höhere aus dem Niederen“, soll er gesagt haben, der Marxist, der hinige.  Aber das ist nicht bestätigt und außerdem schon so lange her. Da war Österreich ja auch noch eine Demokratie und keine österreichisch-ungarisch-serbische Orbanokratie.

Aber zurück in die Zukunft. Das Normaldenk-mal der gusseisernen Lady ist in den letzten Monaten Opfer mehrerer Anschläge geworden. Der Schlimmste war das Anschütten mit kornblumenblauer Farbe. Warum Kornblume? Keine Ahnung.

Die Gemeinde-Intelligenzija – seitdem der russische Einfluss im Osten des Landes überhandgenommen hat, gibt es den guten alten Gemeinderat nicht mehr – beschloss jedenfalls eine sogenannte Kontextualisierung. Es wurde ein Rollercoaster rund um die Statue gebaut. So könne man das ständige Auf und Ab des Faschismus am eigenen Leib miterleben, lautete das Konzept. Dabei ginge es natürlich vor allem um die Jungen. Deshalb erhalten Schulklassen selbstverständlich eine Ermäßigung. 300 Neue Forint statt 500 Neue Forint. Alte Euros werden keine mehr genommen. Die Anrainer beschwerten sich aber – nicht ganz zu Unrecht – über die Scheußlichkeit dieser sogenannten „Installation“ und auch darüber, dass man den Zusammenhang nicht verstünde, was ja bei einer Kontextualisierung ziemlich deppert ist.

Daraufhin hatte die Gemeinde-Intelligenzia, also nicht die gesamte Intelligentia, sondern nur eine extra dafür eingesetzte Neigungsgruppe, eine genauso einfache wie verblüffend einleuchtende Idee. Bevor ich auf diese Idee eingehe, noch eine kurze Erklärung zur Institution der Intelligenzija.

Es handelt sich dabei nicht mehr um eine Gruppe natürlicher Personen, sondern um eine eigens entwickelte KI, also künstliche Intelligentia. Für das ehemalige Niederösterreich im Allgemeinen und St. Pölten im Besonderen handelt es sich dabei um ein relativ einfaches Programm. Dieses Programm gewährleistete bei der Einführung einen möglichst fließenden Übergang von menschlichem Denken mit niederösterreichischem Einschlag auf maschinelles Denken mit niederösterreichischem Einschlag. Ich will Sie nicht mit Details behelligen, aber dieser Umstellung ist eine sogenannte Lex Landbauer – in einer freien Übersetzung: Leck’s Landbauer – vorausgegangen. Landbauer war vor über 100 Jahren ein politisch agierender, von einigen als Kellernazi apostrophierter Niederösterreicher. An sich ein netter Kerl, weil er eigentlich nichts anderes wollte, als dass sich die Regierenden für alles, was sie in der Vergangenheit gemacht haben (auch wenn es gut gemeint war) ständig entschuldigen sollten. Ein Versöhner also, der auch oft ein fröhliches Liedchen auf den Lippen hatte.

Heute, im Jahre 2133, kann man mit dem Begriff Kellernazi natürlich nicht viel anfangen. 2023 diente der Begriff höchstwahrscheinlich nur der Unterscheidung zu den Balkon-Nazis aus dem Jahre 1938.

Was war also die Idee der Neigungsgruppe? Das Denkmal soll stehen bleiben, aber eben nicht gerade, sondern – erraten – geneigt. Gerade genug geneigt, um den Betrachter auf den ersten Blick zu sagen: „Ich bin ein schräger Vogel.“ Um wie viel Grad das Denkmal aus der Vertikalen gekippt werden soll, ist allerdings noch nicht ganz ausdiskutiert. Was feststeht, ist, dass die „Gusseiserne“, nach rechts geneigt sein soll. Der Sieger des eigens dafür ausgerufenen Wettbewerbs hatte sogar die Idee, dass das Denkmal Jahr um Jahr weiter nach rechts kippt. Wurde aber schlussendlich als zu aufwendig („Des is uns die Gusseiserne net wert!“) abgelehnt.

Jedenfalls gibt es einen Präzedenzfall: im Jahre 2023 wurde das Denkmal eines gewissen Karl Lueger um 3,5 Grad gekippt. Karl Lueger war ein tüchtiger Wiener Bürgermeister, aber ein noch tüchtigerer Faschist und Antisemit.

Bei der Bestimmung des Neigungswinkels kommt man natürlich nicht an der Frage vorbei, wer ein schrägerer Vogel (laut Mikl-Leitner nicht gegendert) ist, Lueger oder Mikl-Leitner.

Der Vergleich macht einen – ehrlich gesagt – auch nicht wirklich sicherer.

Karl Lueger sagte: „Wer ein Jud‘ ist, bestimme ich“. Mikl-Leitner sagte zwar nicht, aber handelte nach: „Wer ein Nazi ist, bestimme ich.“

Nun ja, nur weil jemand einen Faschisten zum politischen Partner nimmt, macht ihn das nicht selbst zum Faschisten, aber es zeigt schon, dass er mit dem Faschismus des anderen kein allzu großes Problem zu haben scheint.

Aber wenn dieser jemand oder diese jemandin (trotz Mikl-Leitner gegendert) anfängt, „normal Denkende“ von „nicht normal Denkenden“ zu trennen, dann muss ihm oder ihr  schon bewusst sein, dass er oder sie nicht mehr weit davon entfernt ist, zu bestimmen, welche Abstammung normal ist und welche nicht, welche Religion normal ist und welche nicht, welche Kunst normal ist und welche nicht, und das ist – bei allem Respekt – nicht präfaschistoid und auch nicht präfaschistisch, sondern schlichtweg faschistisch.

Eines zeigt unser Ausflug ins Jahr 2133 aber schon: Die Gesellschaft lernt nicht, sie ist nicht einmal bereit zu lernen. Vor 110 Jahren nicht, heute nicht und in 110 Jahren noch immer nicht.

Sollte ich mich wieder einmal in meiner Wortwahl vergriffen haben, dann entschuldige ich mich natürlich.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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