Ende vielleicht, alles vielleicht

Gespräche zwischen Putin und Prigoschin, die zum russischen Putschversuch geführt und mit einiger Sicherheit so (oder so ähnlich) stattgefunden haben könnten

Harry Bergmann
am 27.06.2023

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Foto: Steve Rosenberg | BBC | @BBCSteveR

Dieser Jewgeni Prigoschin!!

Dieser Prigoschin ist nicht nur ein Staatsfeind – wenn er das überhaupt ist und das alles nicht ganz anders gelaufen ist, als wir im Moment glauben – er ist vor allem mein Feind. Also nicht so wirklich mein persönlicher Feind, sondern mehr der Feind meiner Kolumne. Nicht einmal dieser Kolumne, sondern der Kolumne, die ich ursprünglich schreiben wollte.

Als die Wagner-Truppe völlig unbehelligt und den Walkürenritt vor sich hinpfeifend – Wagner bleibt Wagner – in Richtung Moskau unterwegs war, wollte ich natürlich über „Putins Koch“ schreiben. Ich hatte sogar schon die Headline: „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber.“ Das war der Titel eines wunderbaren Films von Peter Greenaway aus dem Jahre 1989. Den Titel hätte ich schamlos gestohlen. Der Koch war klar, Prigoschin. Der Dieb natürlich auch: Putin. Wer die Frau und vor allem ihr Liebhaber sein sollte, hatte ich zugegebenermaßen nicht den blassesten Schimmer. Noch nicht. Ich weiß am Anfang meiner Kolumnen fast nie, wohin sie mich tragen. Die Finger denken – manchmal zumindest – und ich wundere mich oft selbst, welcher Text da am Bildschirm meines Laptops erscheint.

Vielleicht wäre die Frau die Erklärung für das alles gewesen. Wenn schon nicht für alles, dann doch zumindest für den Auslöser der Revolte, des Putschs, des Aufstands, der Meuterei oder wie immer man das russische Kuddelmuddel bezeichnen will. Wenn man etwas rational schwer fassen kann, dann liegt es oft daran, dass es gar nicht rational ist, sondern emotional. Und was ist emotionaler, als die Liebe. Große Feldherrn haben schon vieles aus Liebe – ob aus erfüllter oder enttäuschter Liebe – gemacht. Da muss man gar nicht bis Caesar, Marcus Antonius und Cleopatra zurückgehen.

Also nehmen wir einmal an – so lange nicht das Gegenteil bewiesen ist, können wir ruhig davon ausgehen – dass die alten Leningrader Haberer Prigoschin und Putin in die gleiche Frau verliebt sind.

Prigoschin ruft Putin an und versucht sich in Small Talk: „Wie schmeckt Dir meine neue Sorte Hot Ukrainian Dog?“

Putin: „Deine Sorgen möchte ich haben! Falls man es Dir noch nicht gesagt haben sollte, es ist Krieg, auch wenn die Ukraine behauptet, dass es sich nur um eine Militäraktion handelt. Aber wenn Du mich schon so fragst, mir schmeckt schon die längste Zeit nicht, was Du mir auftischt. Vor allem Dein ständiger Wickel mit Schoigu geht mir auf die Nerven.“

Putin spielt damit nicht nur auf die ständige Unzufriedenheit von Prigoschin mit der Armeeführung an, sondern insbesondere darauf, dass der Wagner-Chef seine Söldner mit dem Schlachtruf „Kusch Schoigu“ heiß macht. Das ist ein Insider, denn Schoigus Mittelname ist Kuschugetowitsch. Kein Schmäh, Sergei Kuschugetowitsch Schoigu.

Prigoschin: „Na gut, das ist eh nicht der Grund für meinen Anruf. Ich wollte, dass Du etwas über unsere gemeinsame Freundin herausfinden lässt. Ich glaube, die hat jemanden.“

Putin, der einen besseren Zugang zum Geheimdienst und viel mehr Freizeit als Prigoschin hat, der ja für Putin den Krieg in der Ukraine führen muss, verspricht, sich der Sache anzunehmen.

48 Stunden später ruft Dmitri Peskow Prigoschin an. Immer wenn es etwas Unangenehmes zu sagen gibt, schickt Putin seinen Sprecher Peskow vor.

Peskow beginnt vorsichtig: „Wo sind Sie?“

Prigoschin: „Wo soll ich schon sein? Ich versuche eroberte, wieder zurückeroberte, wieder zurückzurückeroberte, wieder zurückzurückzurückeroberte Gebiete zurückzurückzurückzurückzuerobern, Sie Schreibtischhengst.“

Peskow, nicht ungeschickt: „Weil wir gerade von Hengst sprechen: Ja, es stimmt, sie hat einen Liebhaber.“

Prigoschin, mit Schaum vor dem Mund (seit dem Häfn ist er ein bisserl ein Häferl): „Wer ist dieses Würschtl?!“ Es ist nicht klar, ob er wirklich „Würschtl“ gesagt hat. Sein Russisch ist – gelinde gesagt – nicht das Russisch von Tolstoi oder Dostojewski und wenn er Schaum vor dem Mund hat, schon gar nicht. Vielleicht hat er auch Hanswurst gesagt, obwohl Hanswurst?

Peskow: „Ich glaube, es wird Ihnen nicht gefallen. Es ist Schoigu. Aber von mir haben Sie es nicht.“

Prigoschin, der ohnehin einen Gachen auf Schoigu hat, dreht durch: „Dieser Versager, dieser Feigling, dieser korrupte Kriegsverlierer, dieses Nichts! Der ist ja noch schiacher, als ich.“ Wenn man bedenkt, wie Prigoschin aussieht, kann man den Grad seiner Erregung ermessen.

Er schnappt sich ein paar Tausend Wagners und marschiert nach Moskau, um Schoigu den politischen, militärischen und amourösen Garaus zu machen.

Zweihundert Kilometer vor Moskau läutet wieder sein Telefon, diesmal ist es Lukaschenko. Dieses Telefonat macht meine schöne Kolumne endgültig zunichte. Es ist nicht klar, was er Prigoschin genau gesagt hat, aber es muss irgendetwas mit Österreich und Asyl zu tun gehabt haben. Jedenfalls verliert Prigoschin die Lust Schoigu fertigzumachen und beordert alle Wagners wieder zurück in den Stall. Götterdämmerung statt Walkürenritt.

Sie finden das grotesk? Ich sage ihnen, was in einer Welt, die immer grotesker wird, wirklich grotesk ist:

Da gibt es eine Söldnertruppe mit dem Namen Wagner, weil der Gründer dieser Söldnertruppe ein glühender Hitler-Verehrer ist. Die Truppe dieses Hitler-Verehrers überfällt die Ukraine, um – wie es der Auftraggeber dieser Söldner, Wladimir Putin, so schön sagt – „die Ukraine zu entnazifizieren“.

Regime-Kritiker werden vergiftet oder in Arbeitslager gesteckt, Demonstranten, die den Krieg Krieg nennen, werden verhaftet und ausgerechnet eine schwerbewaffnete Truppe und ihr Anführer dürfen ungestraft auf Moskau marschieren und dabei auch noch aus Jux und Tollerei ein paar Hubschrauber der regulären Armee abschießen?

Prigoschin wird schon bald wieder auf den Titelseiten der Weltpresse aufschlagen, weil er die Ukraine von Weißrussland aus angreifen und damit den nächsten Akt dieser Schmierenkomödie schreiben wird.

Und wenn Ihnen das noch nicht grotesk genug ist, dann überlegt der Innenminister der glühenden und blühenden Alpenrepublik, ob er Prigoschin, sollte er um Asyl ansuchen, ein Einzelfall-Prüfungsverfahren angedeihen lassen würde.

Der Einzige, der in dieser dystopischen Situation kühlen Kopf, Weitsichtigkeit und Weisheit bewahrt, ist der Regierungschef dieses Innenministers der glühenden und blühenden Alpenrepublik: „Atomwaffen dürfen nicht in falsche Hände gelangen.“ Und er stellt auch mit aller Entschlossenheit fest: „Wir lassen nicht zu, dass eine innerrussische Angelegenheit auf österreichischem Boden ausgetragen wird.“

Aber vielleicht träume ich das alles nur, wie damals, als ich träumte, dass die Stimmen beim SPÖ-Parteitag falsch ausgezählt wurden.

Vielleicht.

Meint Ihr

Harry Bergmann

 


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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