Wer zuletzt bruhahat, bruhahat am besten

Es gibt einen ganz pragmatischen Grund, die Häme gegenüber den Roten langsam ausklingen zu lassen: Ohne eine stärkere SPÖ trägt die nächste Koalition mit ziemlicher Sicherheit die Farben Blau und Schwarz.

Harry Bergmann
am 14.06.2023

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Innenpolitische Farbenlehre: Mehr Rot heißt weniger Blau | Foto: Helmut Fohringer/APA

Ich falle heute gleich mit der Tür ins Haus und trage Ihnen – ausnahmsweise schnörkellos – mein Anliegen vor: Könnten wir bitte aufhören nur – und mit „nur“ meine ich „ausschließlich“ – über die SPÖ zu reden.

Könnten wir auch aufhören, uns „Bruhaha“ prustend auf die Schenkel zu klopfen? Ich verstehe ja, dass man denkt: „So vertrottelt kann nicht einmal ein Einzelner sein, geschweige denn eine ganze Gruppe von Menschen gleichzeitig.“ Und wenn man sich das denkt, dann ist natürlich der nächste Gedanke auch nicht mehr weit: „Wenn es nicht so blöd abgelaufen sein kann, dann muss was gelaufen sein.“

Aber wer hatte da was am Laufen? Das Babler-Lager kann es ja nicht gewesen sein, dann hätte doch Doskozil nicht zuerst gewonnen. Das Doskozil-Lager kann es schon gar nicht gewesen sein, dann wäre Babler doch jetzt nicht SPÖ-Vorsitzender. Oder glauben Sie, dass das Doskozil-Lager gesehen hat, dass Babler gewinnt und daraufhin wild entschlossen war, die gesamte SPÖ in die Luft zu jagen? Aber wer kann von denen so gut Englisch, dass er die New York Times und die Washington Post ausführlich informiert?

Sie sehen, es ist sinnlos, wir kommen nicht drauf.

Vielleicht erscheint eines Tages ein Video von Doskozil und Babler in einer Finca auf Ibiza.

Doskozil: „Ich geh’ lieber zur FPÖ.“

Babler: „Ich geh’ lieber zur KPÖ Neu.“

Beide im Chor: „Aber die Rendi-Wagner muss vorher weg!“

Sei es, wie es sei. Es ist jetzt genug. Wir nehmen die steile Lernkurve, die uns die Sozialdemokratie in den letzten Wochen beschert hat, dankend an und ziehen mit der Karawane weiter.

Wir wissen jetzt, dass der Unterschied zwischen 601 Stimmen und 602 Stimmen ziemlich genau eine Stimme ist.

Wir kennen jetzt den Unterschied zwischen Stimme und Streichung.

Wir wissen jetzt, dass eine Excel-Liste spuken kann. Wenn man was Falsches eingibt, spukt sie auch was Falsches aus. Das ist ein technischer Fehler, da kann man gar nichts machen. Wir wissen jetzt, dass die Sozialdemokratie zum Teil auf den Philosophien von Marx beruht und müssen nicht nicht-erneuerbare Energie verschwenden, um uns künstlich aufzupudeln, wenn einer sagt: „Ich bin Marxist.“

Wir wissen, dass jeder oder jede von uns vor Jahren unter Umständen was anderes gesagt hat, als er oder sie heute – unter anderen Umständen – sagen würde. Man nennt das Lernen. Deshalb will ja auch keiner von uns Politiker werden.

Leute! Schluss, aus, Opernhaus. Wir können unsere Zeit nicht mit dem ständigen Bruhaha über die Rot-Hoppalas verplempern. Wir haben auf Wichtigeres zu schauen. Wir müssen auf die Demokratie schauen. Wir sollten uns in den nächsten Monaten auf eine einzige Farbe konzentrieren und die ist Blau.

Wir sollten im Moment auch vergessen, dass Türkis wieder Schwarz geworden ist und Schwarz sich anschickt, das neue Blau zu werden. Darüber können wir uns später den Kopf zerbrechen. Es geht um das Blau, das ursprünglich Braun war – das Original-Blau – und das mehr und mehr zur Lieblingsfarbe der Österreicher wird.

Sollten Sie völlig konträrer – also blaufreundlicher – Meinung sein, dann sind Sie wohl nur ein zufälliger Leser dieser Kolumne, den ich möglicherweise durch das Bruhaha in der Headline amüsiert und damit in die Irre geführt habe. Dafür möchte ich mich entschuldigen.

Die „Loge 17“ schreibt ein jüdischer Mitbürger (deshalb wohl auch der Bezug zu einer Kaffeehausloge), dessen vordergründigstes politisches Interesse darin besteht, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass anzuklagen. Ein jüdischer Mitbürger, der nicht farbenblind ist und sehr wohl weiß, dass es diese Auswüchse auch in anderen Farben gibt, aber eben nicht in dieser grauslichen Konzentration.

Es liegt mir fern, Sie als Rassist oder Antisemit zu bezeichnen, aber sie werden verstehen, dass jemand mit meinem Hintergrund nicht versteht, warum Sie Rassismus-Schürer, Antisemitismus-Schürer und Fremdenhass-Schürer in Kauf nehmen, um gegen die Regierenden zu protestieren.

Volles Verständnis habe ich natürlich dafür, dass Sie jetzt nicht weiterlesen.

Also nochmals meine Bitte an alle anderen: Fokussieren wir uns auf Blau. Fokussieren wir uns gegen die Blau-Gesinnung.

Wir haben natürlich keinen Einfluss auf die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner und den charmanten und sehr umgänglichen Generalsekretär Stocker, die beide offensichtlich Charles Bronson-Fans sind und rotsehen und nichts als rotsehen. Sie, die uns vor einem Babler-Kommunisten-Albtraum warnt, in dem wir aufwachen werden und er, der uns sogar in Nordkorea aufwachen sieht.

Aber nachdem Schwarz ohnehin mehr und mehr ins Blau übergeht, ist das alles erwartbar und durchsichtig. Nicht so durchsichtig sind so manche „gutgemeinten“ Ratschläge, wie man die FPÖ „richtiger“ behandeln müsste.

In einem unlängst erschienen Artikel verurteilte ein ÖVP-Abgeordneter – der es aufgrund seiner Biografie besser wissen muss, aber offensichtlich nicht besser wissen will – die Rede von Michel Friedman bei der Mauthausen-Gedenkveranstaltung im Parlament.

Er, der ÖVP-Abgeordnete, verwehrt sich gegen „leichtfertige Parallelen“ zwischen der frühen Nazi-Zeit und heutigen politischen Entwicklungen. Ausgerechnet er.

Er, der ÖVP-Abgeordnete, stellt die Sinnhaftigkeit infrage, die FPÖ in die Nähe der Nationalsozialisten zu stellen. Ausgerechnet er.

„Wohin bitte, Herr ÖVP-Abgeordneter, sollen wir die Kickls, die Landbauers, die Waldhäusls Ihrer Meinung nach stellen?“

Und was hat das mit den Roten zu tun? Viel. Sehr viel.

Ohne eine stärkere SPÖ trägt die nächste Koalition mit ziemlicher Sicherheit die Farben Blau und Schwarz. Mit einer stärkeren SPÖ gäbe es zumindest noch andere Optionen.

Ob die SPÖ mit Babler oder Doskozil ein stärkeres Bollwerk gegen Blau wäre, kann ich nicht sagen. Muss ich auch nicht sagen, denn jetzt ist es Babler. Oder wird noch einmal gezählt?

Ich bin kein SPÖ-Delegierter, ich bin kein SPÖ-Mitglied, ich habe schon SPÖ, die Grünen und die Neos gewählt, ich bin deshalb möglicherweise der Falsche, es zu sagen, aber ich glaube, dass Babler eine gute Wahl für die SPÖ ist. Man muss seine Werte nicht unbedingt teilen und wählt vielleicht genau aus diesem Grund die SPÖ nicht, aber wenn man sie wählt, dann weiß man zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder, warum man sie wählt.

Er trägt sein Herz auf der Zunge und bringt endlich wieder Leben in die Bude. In einem kürzlich erschienenen FALTER-Newsletter wird ihm, der oft auch Unbedachtes sagt, geraten, ein bisschen was von Christian Deutsch, der nichts sagt, damit er nichts Unbedachtes sagt, zu lernen. Bitte, nur das nicht!!

„Wer zuletzt bruhahat, bruhahat am besten“. Also geben wir Babler und seinem Team doch zumindest eine Chance dazu.

Meint

Ihr Harry Bergmann

PS: Wir könnten uns – wenn wir aufgehört haben zu lachen – auch wieder um die Korruption in diesem Land kümmern.

PPS: Ich lese gerade, dass Babler in der Klubvollversammlung 100 Prozent Zuspruch erhalten hat. Ich höre schon Stocker „Nordkorea! Nordkorea!“ schreien.


 

Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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