Die Energie folgt der Aufmerksamkeit

Harry Bergmann über den autofreien Tag und Tempo 100 auf der Autobahn in der Ölkrise 1974 – und warum Politiker damals auch mit unpopulären Maßnahmen populär bleiben konnten.

Harry Bergmann
am 25.07.2022

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Der autofreie Tag, hier auf der Wiener Ringstraße im Jahr 2014 | Foto: Harald Schneider/APA

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es war der Dienstag. Ich hatte mir den Dienstag als autofreien Tag ausgesucht. Alle sollten es wissen – die Polizei musste es sogar wissen – und deshalb schmückte ein großes DI prominent die Windschutzscheibe meines kleinen Alfa Romeos.

Es war natürlich ein gebrauchter Alfa Romeo, aber das spielt für die Geschichte, die ich hier erzählen will, keine Rolle. Ich sage es auch nur deshalb, damit Sie mich nicht für einen Schnösel halten, was allerdings für die Geschichte, die ich hier erzählen will, auch keine Rolle spielen würde. Andererseits, wer will von einem Schnösel überhaupt etwas erzählt bekommen?

Die Geschichte spielt vor etwa 50 Jahren. Wenn Sie es genau wissen wollen, vor 48 Jahren.

Damals gab es noch kein Parkpickerl und auch noch keine Autobahnvignette. Wenn also etwas auf der Windschutzscheibe pickte, dann war es automatisch prominent. Der damalige Handelsminister Josef Staribacher, der uns diesen autofreien Tag pro Woche und das dazugehörige Pickerl aufs Aug‘ gedrückt hatte, wurde als „Pickerl-Peppi“ nicht minder prominent.

Damals konnte man auch mit unpopulären Maßnahmen populär bleiben. Man musste nur vorher schon etwas für die Gesellschaft getan haben, um populär zu werden. Es war 1974 und wir mussten Energie sparen. Wir waren im Ölschock. Einige waren, wie kann es in Österreich anders sein, ohne Schock nur „im Öl“, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Was war passiert?

Die erdölexportierenden Länder, die in der OPEC zusammengeschlossen waren, hatten als Reaktion auf den Jom Kippur-Krieg einen Ölboykott gegenüber allen westlichen Staaten ausgerufen. Es waren also wieder einmal „die Juden am Unglück der Welt schuld“. Warum mussten sie – die Juden – sich auch verteidigen, wenn sie an ihrem höchsten Feiertag angegriffen wurden und dann auch noch den Krieg gewinnen?

Die armen Saudis und Kuwaitis und Irakis und wie die von Gott mit Öl Verwöhnten noch alle hießen – wer konnte es ihnen verübeln? – waren wegen der erneuten Niederlage so angefressen, dass sie die Ölmenge drosselten und den Ölpreis verdreifachten. Zumindest wurde man damals aber noch nicht ermordet und zerstückelt.

Bleiben wir aber beim Ölschock und bei seiner zum Teil heilenden Wirkung. Was immer mit dieser unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten passiert sein mag, damals wurde noch wirklich etwas gemacht, wenn etwas zu machen war und nicht nur geschwurbelt, geschwafelt, gelabert und palavert, wie heute. So wurden auch die Energieferien eingeführt. Eine Woche im Februar schulfrei, damit die Schulen Heizöl einsparen. Die Ferien gibt es noch immer, aber heute geht es nicht ums „Energie sparen“, sondern ums „Energie tanken“.

Nach vier Wochen ununterbrochen Hackeln nach den Weihnachtsferien – das sind immerhin 28 Tage – ist das doch nicht zu viel verlangt, oder? Und schon kehrt sich die Februar-Woche in ihr absolutes Gegenteil um. Statt „Energie sparen“, „Energie verprassen“. Hollodaridio hollodaro rein ins Auto, rein in die Gondeln, rauf auf den Berg, ran an die Schneekanonen, Après-Ski bis der Arzt kommt. Wer scheißt sich da noch um Inflation, Infektion, Klima, Kurzarbeit oder gar keine Arbeit.

Apropos „rein ins Auto“. Natürlich gab es auch Tempo 100 auf der Autobahn. Meiner Erinnerung nach ging das sogar ohne großes Volks-Murren über die Bühne. Na ja, ich murrte ein bisschen. Sie wissen schon: Alfa Romeo.

Das war lange bevor die neue Lichtgestalt der österreichischen Innenpolitik Laura Sachslehner die Welt mit ihrer Anwesenheit beglückte. Und noch länger bevor sie die weisen Worte sprach: „Tempo 100 auf Autobahnen bringt wenig Nutzen und sorgt nur für Ärger bei den Betroffenen.“ Laura, Laura, wo nimmst Du nur immer wieder das Talent her, auf dem „falschen Dampfer“ (Daniel Landau auf Twitter) zu sein.

Wenn Du, liebe Laura, zum Beispiel Marcus Wadsak, der sich nicht nur mit dem Wetter, sondern auch mit dem Klima beschäftigt, folgen würdest, dann hättest Du folgendes gelesen: „Ein PKW, der statt 130 km/h nur 100km/h fährt, stößt im Schnitt um fast die Hälfte weniger Stickoxide aus, produziert gut ein Drittel weniger Feinstaub und verbraucht rund ein Viertel weniger Sprit.“ Schau Laura, gleich zwei Krisen auf einen Schlag: Klima und Energie.

Aber vielleicht tue ich Dir unrecht, liebe Laura, und jemand über Dir hat gesagt: „Laura, unsere Umfragewerte sind eh schon so unterirdisch, wenn ich jetzt noch was von Tempo 100 sag‘, dann ist mein Ofen noch früher aus, als alle anderen Öfen im Winter. Und wenn ich nix sag, dann krieg ich wieder einen auf den Preisdeckel, dass man über alles laut nachdenken dürfen muss. Bei Dir ist eh schon wurscht, was Du sagst. Also sag’s Du…“

Wann hat die Politik aufgehört, dass zu machen, was notwendig ist, was für die Gesellschaft am besten ist, auch wenn es nicht populär ist? Vielleicht hat das alles mit dem Satz zu tun, der mir in letzter Zeit nicht aus dem Sinn geht: „Die Energie folgt der Aufmerksamkeit.“ Verstehe ich das eh richtig, dass man seine Energie hauptsächlich darauf verwendet, was einem wichtig ist? Und wenn einem nur die nächste Umfrage, die nächste Wahl wichtig ist, dann bleibt einem viel zu wenig Energie, um die Probleme anderer – und diese anderen sind wir alle – zu lösen, und wenn schon nicht lösen, dann zumindest das Bestmögliche zu versuchen.

Diese fehlgeleitete Aufmerksamkeit wird uns nur immer tiefer in die vielen Krisen hereinreiten. Klingt nicht sehr beruhigend, ist es auch nicht.

Eine energiegeladene Woche wünscht Ihnen dennoch

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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