Send in the Clowns

Je mehr Kandidaten es gibt, desto sicherer können Sie sein, dass die Partei niemanden hat, der sich wirklich eignet.

Harry Bergmann
am 12.07.2022

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Boris Johnson fährt auf einem Gabelstapler. What could possibly go wrong? (Archivbild aus dem Jänner 2022.) Foto: Matt Dunham / POOL / AFP

Noch immer in Patmos. Mittlerweile bereits im Was-ist-eigentlich-heute-für-ein-Tag-?-Modus. Herrlich! Allerdings verbunden mit dem kleinen Nachteil, der in Wahrheit ein großer Vorteil ist, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, was sich so tut in der Welt. Und wenn ich einmal etwas aufschnappe, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das überhaupt richtig verstanden habe. Vor kurzem, zum Beispiel, war da irgendetwas mit unserem Bundeskanzler – ist er ja noch, oder? – der uns zum gemeinsamen Alkohol- und Drogenkonsum aufgefordert haben soll. Aber das habe ich sicher falsch verstanden, wäre auch ziemlich schräg für einen Regierungschef, selbst wenn es sich nur um diese Regierung handelt.

Das letzte, was ich wirklich bewusst und aufmerksam mitbekommen habe, hat mich an Oscar Wilde erinnert. Sie kennen Oscar Wilde? Natürlich kennen Sie Oscar Wilde. Und wenn Sie Oscar Wilde kennen, dann kennen Sie vielleicht auch sein Stück „The Importance of Being Earnest“. Und wenn Sie „The Importance of Being Earnest“ kennen, dann kennen Sie möglicherweise auch das Zitat: „I am sick to death of cleverness. Everybody is clever nowadays.“ Ich dachte dabei sofort an Boris.

„D-e-r Boris?“, werden Sie jetzt fragen und ich könnte mich blödstellen und zurückfragen: „Meinen Sie Boris Becker?“ oder ich könnte einen auf Hochkultur und Geschichtswissen machen. „Boris Godunow?“ Nein, nein, es ist schon Boris Johnson. Wenn der nicht eine Figur ist, die gerade aus einem Oscar Wilde-Stück herausgestolpert ist, dann weiß ich auch nicht. Ein narzisstischer, hochgebildeter, exzentrischer, skrupelloser, egozentrischer, arroganter, chronisch fauler, dauerlügender Lebemann und Politclown. Der „Economist“ titelte, nachdem Boris den Bettel hingeschmissen hatte, mit „Clownfall“. Der Wuschelkopf (Copyright: Armin Thurnher) ist eben ein Lügner mit Unterhaltungswert. Die Trumps, Netanjahus, Berlusconis, Erdogans, Orbans und auch unser Zauberlehrling Basti – nennen wir sie der Einfachheit halber „die autokratisch Angehauchten“ – sehen gegen ihn aus, wie das, was sie wirklich sind: Dumpfbacken.

Aber auch das mit Boris konnte auf die Dauer nicht gut gehen, und so endete „The Importance of Being Boris“ wie es Oscar Wilde schon vorausgesehen hatte: „The good ended happily, and the bad unhappily. That is what Fiction is.“ Aber das Leben ist eben nicht Fiktion, nicht einmal das Polit-Leben. Natürlich treten Politclowns nicht einfach so zurück, sie müssen – meist unter dem Gejohle des Publikums – aus der Manege getreten werden. Der arme Boris bekam es besonders knüppeldick ab, wollte er doch in ein paar Wochen auf seinem offiziellen Landsitz heiraten. Auf Staatskosten natürlich.

Warum die Welt zusehends von Clowns regiert wird? Um dieser Frage nachzugehen, müssten wir uns zuerst einmal darauf einigen, was ein Clown überhaupt ist. Daher habe ich – um Ihnen diese Arbeit zu ersparen – nachgelesen. Ich habe mir gleich einmal den „weißen Clown“ vorgeknöpft. „Ein Weißclown ist der sich als seriös und intelligent darstellende Teil eines Clown-Kollektivs, der sich zudem als deren penetrant autoritärer Chef präsentiert. Weißclowns treten nahezu immer mit zumindest einem ,dummen August‘ auf.“

An dieser Stelle muss ich das Recherchierte kurz unterbrechen, um Ihnen zu schwören, dass ich beim „dummen August“ keinen Hintergedanken gehabt habe. Nicht den geringsten. Das wäre schwarzer Humor. Und Schwarz und Humor schließen sich – zumindest in Österreich – im Moment gänzlich aus.

Aber jetzt weiter mit dem Weißclown: „Seine Partner kommandierend, wendet er dem Publikum häufig den Rücken zu und scheint es auch sonst kaum zu beachten. Dadurch wirkt er, wie auch durch gespielte Ernsthaftigkeit, eitel und arrogant, also als Karikatur des Vertreters einer Elite.“

Haben Sie schon jemals eine bessere Definition eines Politikers gelesen? Ich nicht.

Mir gefällt auch besonders der Hinweis, wie Pressekonferenzen in Zukunft abgehalten werden sollten, nämlich mit dem Rücken zum Publikum. Dass man das Publikum – also uns, die wir diese Clowns auch noch wählen – ohnehin kaum beachtet, zählt ja schon heute zum Standard-Repertoire eines Durchschnitt-Politikers.

Wenn Sie aber glauben sollten, dass so ein Clown leicht zu ersetzen wäre, wenn er endlich die politische Bühne verlassen hat, nur weil Sie gestern wieder etliche dieser Gattung in einer Nachrichtensendung oder einer Talk-Show im Fernsehen gesehen haben, dann irren Sie sich gewaltig. Nehmen wir doch wieder den guten Boris als Role Model zur Hand. Da stellt sich gerade ein gutes Dutzend als seine Nachfolgerin oder Nachfolger an. Je mehr Kandidaten es gibt, desto sicherer können Sie sein, dass die Partei niemanden hat, der sich wirklich eignet. Oder finden die Republikaner jemanden, um Trump endlich in die Wüste zu schicken? Oder die Likud-Partei jemanden statt Netanjahu?

Es gibt nämlich ein interessantes Phänomen: je größer der Clown, desto höher der Wahlsieg.

Vielleicht wird es irgendwann einmal sogar heißen „To boris an election“ wenn ein nichtssagend Schillernder einen nichtsagenden Langweiler krachend besiegt. Was das über die jeweiligen Wähler aussagt, soll bitte ein Gescheiterer hinterfragen.

So, jetzt regiert einmal der Sommer die Welt und die nächste Wahl ist so weit weg, wie es die parlamentarische Mehrheit will. Da liegen sicher noch ein paar Coronawellen, Hitzewellen, Teuerungswellen, Protestwellen und vor allem unzählige, spannende Sommergespräche, von denen wir kein einziges missen wollen, dazwischen.

Einen schönen Urlaub wünscht Ihnen

Ihr Harry Bergmann

Übrigens: natürlich hätte ich auch über Boris Becker schreiben können. Nicht so raffiniert, aber auch ein bemerkenswerter Lügner.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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