Die „Geh, bitte!“- Demokratie

Ist doch alles nicht so tragisch, nicht so bedenklich, nicht so korrupt. Diese ur-österreichische Zauberformel macht's möglich.

Harry Bergmann
am 05.10.2021

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Ich gestehe, ich bin ein begeisterter Zaungast der deutschen Bundestagswahl. Schon seit vielen Wochen beobachte ich dieses Shakespeare’sche Königs-Drama. Sie werden jetzt vielleicht einwenden, dass ich – dem Ort des Geschehens entsprechend – lieber eine Anleihe bei einem der großen deutschen Dichterfürsten nehmen sollte. Und ja, Schiller hat die derzeitigen Gespräche über eine Ampel- oder Jamaika-Koalition schon im Jahre 1798 vorweggenommen: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte.“ Aber diese Geschichte von Aufstieg und Fall, von politischem Mord und Rache, von Nachfolge und Intrige … nein, nein, ich bleibe da lieber bei Shakespeare.

Gibt es eine bessere Dramaturgie als den Aufstieg und den Fall der Grünen und den gleichzeitigen Fall und Aufstieg der Roten?

Gibt es eine größere Enttäuschung als den gescheiterten Versuch der alten Königin, ihr Lieblingskind auf den Thron zu setzen, um durch eine schwache Nachfolgerin ihrer Ära noch mehr Glanz zu verleihen?

Gibt es etwas Blutrünstigeres als den Kampf der möglichen schwarzen Thronfolger, den kein Einziger überlebt hat?

Gibt es etwas persönlich Tragischeres als die politische Umnachtung, in die der letzte der schwarzen Diadochen – der mit dem unbegründeten, hysterischen Lachen – im Angesicht der entscheidenden Schlacht gefallen ist?

Gibt es etwas Seltsameres als die Verweigerung des roten Feldherrn, sich am Kampf zu beteiligen?

Gibt es eine unheimlichere Stille, als die, die von diesem Mann ausgeht, der einfach nur zusieht, wie seine Gegner ins eigene Schwert fallen?

Gibt es etwas unfreiwillig Komischeres, als diesen kleinen, roten Mann im Moment des Triumphes zu beobachten, wie er inmitten der siegestrunkenen Menge seiner Anhänger die Arme gegen den Himmel streckt, als würde er in der Schulklasse nicht sicher sein, ob er wirklich aufzeigen soll?

Doch noch kann Olaf, der Schweiger, den Thron nicht besteigen. Denn jetzt ist die Zeit der Intriganten, der Querulanten, der schlauen Füchse gekommen, die unheilvolle Allianzen schmieden, die das Undemokratischste aus einer Demokratie herauskitzeln und – ehe man sich‘s versieht oder besser: ehe es sich Olaf, der Fade versieht – den Sieg in eine Niederlage verwandeln.

Der kann schon was, der Shakespeare! Seien Sie mir also bitte nicht böse, wenn ich melodramatisch werde, aber ich kann es nicht anders sagen: es laufen mir kalte Schauer der Begeisterung über den Rücken.

Ich betrachte einen Wahlkampf, die Wahl selbst und das anschließende Bilden von Regierungen immer als etwas Energetisches. Eine Art Energiefeld. Dort, wo die Energie ist, dort geht die Aufmerksamkeit hin. Da kann es Trielle geben, soviele man will, am Ende ist das Zentrum der Energie immer ein Duell. Die Frage „Jamaika oder Ampel?“ ist schließlich auch nichts anderes. Bekommt Olaf, das verstockte Orakel oder Armin, der verschwitzte Schwätzer die grüngelbe Braut?

Wenn Ihnen der Gedankensprung bis Berlin zu weit ist, dann nehmen wir doch Oberösterreich: die größte Reibungsenergie – wenn wir einmal den Bundeskanzler und die Korruptions-Staatsanwaltschaft samt all den beiden Ämtern geschuldeten Respekt beiseite lassen – ist derzeit die zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern. Und schon wird eine bis dato unbekannte MFG zu einem Kraftwerk und springt mühelos über die 5-Prozent-Hürde in den Landtag. Im verzweifelten Versuch, noch einen Zipfel der Aufmerksamkeit zu erhaschen, klagt Herr Kickl den Herrn Rosam – pardon, Herrn Professor Rosam – weil dieser laut vermutet hat, dass Kickl – ganz gegen sein ständiges Anti-Impf-Gezeter – selbst geimpft ist oder sein könnte. Zu spät, die Energie dieses Themas war schon bei den „echten Impfgegnern“. Die Neos, die mit diesem Energiefeld nichts zu tun hatten und auch einsehen mussten, dass es in dieser Wahl kein anderes gibt, mussten bis zum frühen Abend zittern, ob sie überhaupt in den Landtag kommen. Zur SPÖ fällt mir in diesem und jedem anderen Zusammenhang im Moment nichts ein.

Der Vergleich zwischen der politischen Energie Deutschlands und Österreichs ist so eine Sache. Im Guten wie im Bösen, beeile ich mich hinzuzufügen. Es ist wie ein Ländermatch zwischen den Beiden. Die Deutschen können gar nicht so außer Form sein, dass es gegen die Ösis nicht irgendwie noch reicht. Und selbst die österreichischen Fußballer, die in der deutschen Bundesliga Woche für Woche gut spielen, sind in der Nationalmannschaft energetische Jammerlappen.

Es gibt etwas zwischen Bodensee und Neusiedlersee, das ein immer wiederkehrender Energiedämpfer – ach was, immer wiederkehrender Energiekiller – ist, der uns Österreicher davon abhält, die volle Dimension einer Sache zu erkennen oder gar anzuerkennen. Das Böse ist nicht ganz so böse. Das Falsche ist nicht ganz so falsch. Das Ungerechte ist nicht ganz so ungerecht. Das Undemokratische ist nicht ganz so undemokratisch.

Es sind nur zwei kleine Worte, die das bewerkstelligen: „Geh, bitte!“

Natürlich müssen diese beiden Worte richtig ausgesprochen oder gedacht werden. Etwa so: „Ge, biiiiiite!“ Ein Verdrehen der Augen, eine abfällige Handbewegung oder ein enerviertes Kopfschütteln kann als Unterstützung natürlich nicht schaden. Denn eigentlich ist es die Abkürzung von: „Ich bitte Dich, lass mich damit in Ruhe.“ Oder: „Ich bitte Dich, was regst Du Dich so auf, so arg ist es wirklich nicht.“ Oder einfach: „Is do eh wurscht.“

„Der Pilnacek hat Infos weitergegeben.“ „Geh, bitte!“

„Der Kurz war frech zum Staatsanwalt.“ „Geh, bitte!“

„Haben die Skilift-Betreiber diesmal ein ernstzunehmendes Sicherheitskonzept?“ „Geh, bitte!“

„Die Impfgegner demonstrieren ungeniert mit Rechtsradikalen.“ „Geh, bitte!“

„Impfzwang ist verfassungswidrig, oder?“ „Geh, bitte!“

„Der Dosko ist echt untergriffig zur Pam.“ Geh, bitte!“

„Die haben schon wieder den Sommer verschlafen.“ „Geh, bitte!“

Meine lieben Leserinnen und Leser, das ist – meines Wissens zumindest – die erste interaktive Kolumne des Landes, wenn nicht sogar der ganzen Welt. Denn Sie sind aufgefordert, Ihre „Geh, bitte!“-Version jetzt einzustudieren. Am besten Sie üben vor dem Spiegel, um die unterstützende Augen-, Hand- und Kopfbewegung zu finden, die Ihnen am besten liegt.

Haben sie einmal das „Geh, bitte!“ im Griff, werden Sie sicher ein demokratiepolitisch relevantes Thema finden, das diesen Dämpfer verdient.

Viel Spaß wünscht,

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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