Augen zu und durch

Pünktlich zum Beginn der kalten Jahreszeit steht der Themenkomplex "Corona & Après-Ski" wieder ganz oben auf der heimischen Prioritätenliste. Wer denkt da schon an Landtagswahlen?

Harry Bergmann
am 22.09.2021

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Muss man nicht richtig schreiben: Après Ski | Foto: APA/ Jakob Gruber

„Sie irrlichtern durch diese Pandemie!“ So regte sich dieser Tage ein FDP-Politiker über einen AfD-Politiker auf, als dieser in einer Talk-Show von der „sogenannten Pandemie“ faselte. Man sollte den guten FDP-Mann einmal nach Österreich einladen, das wird ihn – was Deutschland betrifft – beruhigen.

Während sich die Amerikaner sorgen, ob ihnen die Chinesen die Peanut-Butter vom Brot nehmen, die Franzosen sich sorgen, wo sie schnell 50 Milliarden Euro hernehmen sollen, die gerade für wieder abbestellte U-Boote versunken sind, die UN sich sorgt, dass wir vor der größten Kaskade von Krisen stehen, die Israelis sich sorgen, dass die neue Koalition zu zerbrechlich sein könnte, die Russen sich schon lange nicht mehr sorgen, wie die nächste Duma-Wahl ausgeht, die Deutschen sich aber sehr wohl sorgen, wie es nach Merkel weitergehen soll, sorgt sich Österreich um sein geliebtes Après-Ski.

Endlich sehe ich sie wieder im Fernsehen. Die Capos der Bergbahnen, die Gipfelherren der Alpengipfel. Die heimlichen und unheimlichen Kaiser von Österreich. Und sie sind wieder schlecht gelaunt. Man sieht sie eigentlich immer nur schlecht gelaunt. Denn wenn sie am Ende einer Saison beisammensitzen, sich fröhlich die Hände reiben, einander gegenseitig auf die Schulter klopfen und die Einnahmen zählen, dann sieht man sie natürlich nicht. Denn dann wollen sie unter sich sein und brauchen keine Kamera im Raum oder ein Mikrofon vor dem Mund. Während sie die Geldscheine der Größe nach ordnen, lachen Sie über Holländer und Engländer, die betrunken einen Skipass gleich dreimal kaufen, über Griechen, die spätestens zwei Tage nach dem Erwerb einer Saisonkarte im Streckverband liegen und natürlich über die „Deitschen“, die den ganzen Sommer angespart haben, um wieder nach Ischgl zurückkehren zu dürfen.

Und was erzürnt die Götter diesmal? Es fängt mit „G“ an und endet auch gleich mit demselben „G“. Die 1G-Regel. Wo kämen wir denn hin, wenn das Après-Ski Vergnügen, der Urenkel des 5-Uhr-Tees, der Moonboot-Klassiker, die industrielle Alkoholvernichtung, der tiefste Höhenrausch, das Tinder ohne Internetverbindung, das Hochamt der Gaballier-Anbeter nur mehr Geimpften vorbehalten sein soll? Na, aber hallo!

Dabei hat die 1G-Regel ohnehin nur ein paar Tage als Gedankenmodell die alpine Höhenluft verpestet. Geworden ist daraus ein Stufenplan. Hast Du keinen Plan, dann mach Dir einen Stufenplan! Zumeist ist es ein 3-Stufenplan, der so konzipiert ist, dass die ersten beiden Stufen bereits Stunden nach der Veröffentlichung mühelos übersprungen werden. Das macht aber insofern nichts aus, weil der Plan so kompliziert und verwirrend ist, dass die übersprungenen Stufen eh niemand verstanden hat und die aktuelle Stufe niemand verstehen will und weil sie niemand verstehen will, macht jeder, was er will. Dazu bräuchten die Seilbahn-Kuenringer natürlich keinen Plan, denn sie machen ohnehin immer was sie wollen. Augen zu und durch.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: die Impfgegner sind der Menschenschlag der Stunde, die von der rechten und ganz rechten Politik meistumworbene, kräftigst gehätschelte Wählergruppe. Es gibt eine Partei am rechten Rand, deren Repräsentanten lassen sich zwar impfen, aber nicht in den linken oder rechten Oberarm, sondern hinter dem Rücken. Hinter dem Rücken der Öffentlichkeit, der sie einreden, dass es sich um Genmanipulation handelt und dass jeder, der die Impfung verweigert, ein wahrer Freiheitsheld ist. Der Oberste dieser Schelme klagt sogar jeden, der behauptet, dass er geimpft sei. Dass die Partei auch ein bisserl Fremdenhass predigt, läuft unter dem Motto, das früher, als es ihn noch gab, den Greißler um die Ecke so sympathisch gemacht hat: „Gnä Frau, derf’s a bisserl mehr sein?“

Ja, und dann gibt es auch noch Oberösterreich. Das Bundesland, in dem der Bezirk Braunau liegt. Bevor ich der nächstliegenden Assoziation freien Lauf lasse, beeile ich mich zu erwähnen, dass Braunau hier nur im Zusammenhang mit seiner schlusslichtwürdigen Impfquote von 48 Prozent erwähnt sei. Ja, mit der Herdenimmunität haben sie es einfach nicht so in der Gegend.

In diesem Oberösterreich findet in ein paar Tagen die Landtagswahl statt. Eine Richtungswahl, wie von allen wahlwerbenden Parteien gesagt wird. Wieso ist eigentlich seit jeher jede Pimperlwahl eine Richtungswahl, wenn sich die Richtung eh nur alle heiligen Zeiten ändert? Aber lassen wir das.

Eine dieser wahlwerbenden Parteien verdient – im Zusammenhang mit meinem heutigen Thema – besondere Beachtung. Sie heißt MFG. Und schon haben wir den ersten Wahlschwindel, denn „mit freundlichen Grüßen“ haben diese Leute nicht viel am Hut. MFG steht für Menschen, Freiheit und Grundrechte. Das Manifest liest sich ebenfalls ziemlich geschmeidig: „Im politischen Spektrum Österreichs fehlt eine Kraft, die sich für Demokratie und Grundrechte einsetzt, den wissenschaftlichen Diskurs und freie Meinungsäußerung fördert.“ Dissidenten also. Vielleicht wollten sie sich auch ursprünglich in Russland für einen Sitz in der Duma bewerben und sind auf unergründliche Weise in Oberösterreich gelandet.

Nein, nein, sie sind hier goldrichtig gelandet. Denn hinter diesem Demokratie-Geschwurbel stecken stinknormale Impfverweigerer und höchstwahrscheinlich auch noch welche, die in den nahen Bergen beim Après-Ski ungehindert und ungebremst die Sau rauslassen wollen.

Sehen sie, so schließt sich der Kreis, der in einem sehr kleinen Land wie Österreich eben naturgemäß auch sehr klein sein muss.

Ob die „mit freundlichen Grüßen“ tatsächlich einen Sitz im Landtag bekommen, fragt sich mit freundlichen Grüßen

Ihr Harry Bergmann

PS.: Schade, dass es für eine Idee zur Wahlwerbung schon zu spät ist. In Deutschland habe ich letzte Woche Plakate für eine Partei gesehen, die wirklich herzerwärmend (zumindest das Herz eines Werbers) waren. Die Partei heißt „Die Partei“. Und Ihr Slogan lautet: „Wählt Die Partei – sie ist sehr gut!“


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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