Der Türkise Jockey auf dem Türkisen Pferd

Unser Kolumnist schreibt über eine Wahl, die keine Wahl ist und ein Rennen, das vielleicht schon gelaufen war, bevor es überhaupt begann.

Harry Bergmann
am 07.08.2021

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Ein prunkvoller Raum, die Fauteuils sehen unbequem aus. Der Moderator versucht sein Bestes. Foto: NEOS

Ich habe so einen Raum noch nie gesehen. Ich habe schon viele prunkvolle Räume gesehen. Ich habe schon viele kleine Räume gesehen. Aber so klein und doch so prunkvoll noch nie. In diesem kleinen, prunkvollen Raum sollte gleich etwas Großes beginnen. Groß, zumindest für so ein kleines Land. Groß, weil es ein komplettes Abbild dieses kleinen Landes ist. Groß, weil es die Medien groß gemacht haben. Groß, weil das Medium, um das es geht, selbst ein großes Medium ist. Groß, weil es eigentlich um viel mehr als dieses große Medium geht.

Die Wahl zum Generaldirektor des ORF. Wieso Wahl? Es ist keine Wahl. Eine Wahl ist ein demokratischer Prozess. Es ist eine Bestellung. Eine Bestellung, wie in einem Restaurant. Ich will etwas und bestelle es. Die Bestellung zum Generaldirektor, die früher eine Bestellung zum Generalintendanten war, was dem Ganzen gleich eine andere qualitative Färbung, eine andere kulturelle Bedeutung gegeben hat. Apropos „Färbung“: genau darum geht es, weil der Besteller eine politische Farbe hat. Also doch nicht wie im Restaurant. Im Restaurant bestellt der Konsument, der Gast. Bei der Bestellung des Generaldirektors oder der Generaldirektorin des ORF bestellt einer, der gar nicht im Restaurant sitzt, was dem Gast zur Konsumation vorgesetzt werden soll. Nein, noch komplizierter: da sagt einer, der gar nicht im Restaurant sitzt, einer Gruppe von anderen, wen sie bestellen soll, der dann dem Gast, um den es eigentlich geht, das serviert, was dem Gast möglicherweise gar nicht schmeckt, dafür aber dem, der gar nicht im Restaurant sitzt und dem in Wirklichkeit das Restaurant, die Köche und das gesamte Personal völlig wurscht sind. Alles klar?

Aber zurück in diesen kleinen großen Raum. Da gibt es vorne ein Podium, mit unbequemen – zumindest unbequem aussehenden – Sesseln, wo sich gleich ein Moderator und sechs Kandidaten, die sich der Wahl stellen, die keine Wahl ist, hinsetzen werden. Vorher spricht aber noch die Hausherrin des Abends, Frau Meinl-Reisinger, ein paar nette Worte, an das Saalpublikum, das aber kaum vorhanden ist, weil es vor allem um jenes Publikum geht, das die Veranstaltung per Stream verfolgt. Die Kandidaten setzten sich hin und denken: „Morgen Abend sitze ich in einem viel bequemeren Fauteuil, weil ich in einem Fernsehstudio, vor wesentlich mehr Publikum, genau das machen werde, was ich jetzt gleich machen werde, nämlich um den heißen Brei herumreden.“

Dieser heiße Brei ist der Modus dieser Wahl, die keine Wahl ist. Da sitzen etwas mehr als dreißig sogenannte Stiftungsräte zusammen, die fast alle von Parteien entsandt wurden und über die einige andere sagen, dass sie so abstimmen werden, wie es dieser Partei genehm ist.

Wiederum andere sagen, dass es doch immer schon so gewesen ist. Worauf wieder ganz andere ganz entrüstet mit „Nein“ antworten. „Nein, diesmal genügt eine einfache Mehrheit und es wird offen abgestimmt, weil man sich dieses wochenlange, mühsame Verräter-Suchspiel ersparen will. Das hat es in dieser Form noch nie gegeben.“

Diese Meinung wird von jenen unterstützt, die sich ein wenig mit der Arithmetik auskennen und zu wissen glauben, dass es eine Partei gibt, die diese einfache Mehrheit hat. Besonders gewiefte sitzen seelenruhig da und erklären: „Schaut, Ihr Hascherln, diese Stiftungsräte haften sogar dafür, dass nur jemand Qualifizierter berufen wird. Habt Ihr schon einmal etwas vom Herrn Sidlo gehört?“

Und völlig andere, die in den letzten Monaten immer wieder eines Schlechteren belehrt wurden, sagen – teils sarkastisch, teils aggressiv, teils resignierend: „Des schau i mir an!“

Vier der sechs Kandidaten, die auf den unbequemen Sesseln Platz genommen haben, können unterschiedlicher nicht sein.

Da ist eine Frau, die viel zu redlich ist, um das zu werden, worum es hier geht.

Da ist ein Mann, den so ziemlich alle kennen, weil er das schon ist, was die anderen gerne werden würden, und zwar schon viel länger als seine Vorgänger Bacher, Oberhammer, Podgorski, Zeiler, Weis und seine Vorgängerin Lindner, weil er etwas hat, das – wäre er ein Auto – alle Autojournalisten als sensationell kleinen Wendekreis bezeichnen würden.

Da ist ein anderer Mann, der nach jeder Vorstellung seiner Person sagen muss: „Nein, ich bin nicht der Kandidat der FPÖ.“

Und schließlich der Mann, den zwar keiner kennt, den aber noch alle „kennenlernen werden“ und der wie bestellt und nicht abgeholt herumsitzt, aber tatsächlich zum neuen Generaldirektor des ORF bestellt werden wird. Ein Mann, der bemüht ist, sehr salopp zu wirken, und das durch ein – sagen wir einmal – saloppes Hochdeutsch zum Ausdruck bringen will.

Der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass es noch zwei Kandidaten gibt, die man sich aber schon deshalb nicht merken muss, weil sich in ein paar Tagen der Energieaufwand für das Vergessen nicht wirklich lohnt. Will sagen: da könnte genauso gut ich antreten.

Und natürlich gibt es den Moderator, der sich echt bemüht, die Kandidaten dazu zu bringen, endlich etwas zu sagen und nicht nur zu reden, aber einsehen muss, dass das an diesem Abend nicht passieren wird.

Es wird viel geredet. Über Digitalisierung, über einen coolen Newsroom, darüber wer und vor allem wie viele für die Information verantwortlich sein sollen, über Strukturen, über Einsparungen, wobei sich einer der Kandidaten Gedanken darüber gemacht hat, warum die Moderatorinnen immer etwas Anderes, Neues anziehen müssen. Sollte Nadja Bernhard den Stream angesehen haben, dann hat sie sicher in diesem Moment erstaunt ihre Brille abgenommen.

Das inhaltlich Tiefstgehende an diesem Abend war die peinliche Schweigeminute, die entstand, als der Türkise Jockey auf dem Türkisen Pferd gefragt wurde, ob das Rennen nicht eh schon für ihn gelaufen ist, bevor es überhaupt begonnen hat.

Am Dienstag werden wir mehr wissen. Und zwar nicht nur, wer der nächste Generaldirektor oder die nächste Generaldirektorin wird, sondern wie das Geiseldrama, in dem wir uns alle befinden, um eine weitere Episode fortgesetzt worden ist.

Ich jedenfalls habe für mich etwas ungemein Wichtiges aus dieser Elefantenrunde mitgenommen. Ich setze mich das nächste Mal möglichst nah zum Notausgang dieses Zoos.

Meint

Ihr Harry Bergmann

PS: Ich habe Ihnen übrigens den kompletten Titel dieser Kolumne unterschlagen: Der Türkise Jockey auf dem Türkisen Pferd oder wie ich lernte, dass Glaubwürdigkeit bei einem öffentlich-rechtlichen Sender überhaupt ein Diskussionspunkt sein kann.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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