Gurkerln in der Saure-Gurken-Zeit

Von chauvinistischen Sportkommentatoren und einer Wiederwahl am Küniglberg, der nichts mehr im Wege steht

Harry Bergmann
am 21.06.2021

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Teamchef Franco Foda eine Tage vor dem Gurkerl Foto: APA/ROBERT JAEGER

Wenn ich eine aktuelle Kolumne schreiben wollte, dann müsste ich über die EURO 2021 schreiben. Wenn ich aber über die EURO 2021 schreiben würde, dann müsste ich über die österreichische Nationalmannschaft schreiben. Wenn ich dann über die österreichische Nationalmannschaft schreiben würde, dann müsste ich über die chauvinistisch ausgehungerten, österreichischen Sportkommentatoren im ORF schreiben.

Chauvinistisch ausgehungert, weil Marcel Hirscher zurückgetreten ist und Dominic Thiem im Moment keine Kugel trifft – schlimmer, offensichtlich keine Kugel treffen will.

Der ganze Chauvi-Rückstau muss sich jetzt wie ein zähflüssiger, ungenießbarer Schleim über die Fußballer ergießen.

Diese Journalisten-Spezies (homo non reflektiertus) hat keine eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit, sondern eine doppelte. Die Realität, die alle sehen, sieht sie – die Spezies – nur partiell. Sie wird hingegen von einer Art halluzinativen Realität geleitet, die zum Fremdschämen ist.

Nehmen wir zum Beispiel das Spiel Niederlande gegen Österreich. Die Oranjes sind immerhin ehemaliger Vizeweltmeister. Aber in der Einschätzung dieser Kommentatoren, müssen sie sich mit der „Augenhöhe“ unserer Kicker begnügen. Dass das Spiel in Amsterdam stattfindet, also ein Heimspiel für die Holländer ist, spielt genauso keine Rolle, wie die Hochform, in der sich die Flachländer befinden. „Da nehmen wir einen Punkt mit“, ist die einhellige Prognose. Sogar der über jeden Zweifel erhabene Herbert Prohaska lässt sich zu einem 1:1-Tipp hinreißen. „Sagen wir einmal so: wenn Holland einen 90-minütigen Blackout hat und die Unsrigen über meinen langen Schatten springen können, dann ist es nicht ganz so unmöglich, wie es ausgeschlossen ist.“

Was aber, wenn das alles nicht Ignoranz, sondern Auftrag ist? Am 10. August ist die Wahl zum neuen ORF-Generaldirektor. Der derzeitige und schon vorherige und schon vorherige und schon vorherige Generaldirektor will wiedergewählt werden. Da ist es sicher kein Nachteil, der Regierung einen kleinen Gefallen zu tun.

Der folgende Dialog hat nicht stattgefunden, darf gar nicht stattgefunden haben und sollte er dennoch stattgefunden haben, dann ist er den beteiligten Personen mit Sicherheit nicht erinnerlich.

„Hallo“, sagt der Generaldirektor und kommt gleich zum Punkt. „Ich habe mit dem Bundeskanzler und dem Sportminister gesprochen. Es gibt ein paar Richtlinien für das Spiel gegen Holland.“

„Ich kenne nur Outlinien. Was sind Richtlinien?“ antwortet der Kommentator aus purer Lust und Tollerei.

„Das Spiel muss der Regierung aus einer momentanen Verlegenheit helfen. Es ist alles schon in die Wege geleitet. Sie müssen nur mehr blödsinnig übertriebene Kommentare über die Spiel- und Charakterstärke der Österreicher machen. Das können Sie doch, oder?“

„Darf ich zum Beispiel dreimal hintereinander sagen, dass ein Österreicher einem Holländer das „Gurkerl gegeben“ hat?“

Liebe an Fußball nicht so interessierte Leser und Leserinnen, die es, nur der Fußballgott weiß warum, bis zu dieser Textstelle durchgehalten haben: Als ein „Gurkerl“ bezeichnet man einen Spielzug, bei dem man den Gegenspieler den Ball zwischen den Beinen durchspielt. Warum das „Gurkerl“ heißt, ist schon deshalb unerklärlich, weil ein Gurkerl am Würstlstand ein „Krokodü“ genannt wird.

Der Generaldirektor: „Ich habe zwar keine Ahnung, von welcher grünen Gurke sie da reden – ich kenne da einige – aber machen Sie, was sie wollen. Am Ende muss es ein Türkiser Triumph sein, von dem die Grünen gar nichts haben. Ich habe es versprochen.“

„Und wenn wir verlieren? Immerhin ist der Rasen ja grün. Die Farbe dieser Oberloser.“

„Dann war es die Schuld des israelischen Schiedsrichters.“

„Soll ich die neuen Trikots erwähnen?“

„Unbedingt. Sie müssen die Österreicher – wenn sie im Angriff gut kombinieren – als Türkise bezeichnen. Zum Beispiel so: die Türkisen haben den erfolgsgewohnten Zug aufs Tor. Aber verschweigen Sie den Schwarzanteil der Leiberln, auch wenn er sehr groß ist. Sonst haben Sie nämlich kein Leiberl mehr.“

„Und wenn die österreichische Mannschaft kaum aus der Verteidigung herauskommt oder wenn wir gar ein Tor kassieren?“

„Dann nennen Sie sie, die Rot-Weiß-Roten. Betonung auf Roten! Aber möglichst verächtlich.“

„Entschuldigung, aber waren Sie nicht auch einmal ein Roter?“

„Das geht Sie erstens nichts an und zweitens bin ich farblich regierungselastisch. Sonst kommt man zu nichts hier in den Bergen, wo die Luft immer dünner wird.“

„Bergen?“

„Küniglberg. Apropos Berge. Streuen Sie ein, dass der Bundesadler – der einköpfige, nicht der doppelköpfige vom Justizpalast – noch mächtiger, noch beeindruckender, noch majestätischer ist, seitdem auch er in Türkis gekleidet ist.“

„Ok. War es das?“

„Nein, jetzt kommt das Wichtigste: wenn die Österreicher zu oft über Links zum Ziel kommen wollen, dann müssen Sie vehement eine Verlagerung nach Rechts fordern. Nur über Rechts kommt der Sieg!“

„Ich will aber nicht zu politisch werden. Da verstehe ich zu wenig davon.“

„Vor dem 10. August ist alles politisch, merken Sie sich das. Und außerdem verstehen Sie von Fußball noch viel weniger.“

Wie gesagt, der Dialog hat nie stattgefunden. Aber eines ist schon komisch: es ist alles genau so eingetreten.

Die blödsinnigen austro-chauvinistischen Kommentare, das depressive Schweigen des in die Realität zurückgeholten Kommentators nach dem Elfmeter-Tor gegen Österreich, der berühmte Schritt zu kurz, der dieses Land seit vielen Jahren begleitet, das eigentlich ungerechte 2:0, das aber plötzlich alle, die mehr oder weniger Türkis angezogen waren als ehrenhaft empfunden haben, das Gurkerl und die Spielverlagerung nach rechts in der zweiten Halbzeit.

Einer Wiederwahl am 10. August steht eigentlich nichts mehr im Weg.

Ihr Harry Bergmann

Diese Kolumne entstand in der Loge 19 in einer Bar in Luino am Lago Maggiore. Am Mittwoch am Abend habe ich übrigens genau dort ein Italien-Match gesehen. Wunderbare, fröhliche, unbeschwerte Stimmung des dörflichen Fernsehpublikums. Aber vielleicht war der Kommentator von der Lega Nord und ich habe einfach nicht verstanden, welche Chauvi-Parolen er von sich gegeben hat.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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