Ich bin müde

Was es bedeutet, wenn der Antizionismus in der Schickeria ankommt und warum die nebeneinander wehenden Flaggen am Dach des Bundeskanzleramts vielleicht doch Sinn ergaben

Harry Bergmann
am 01.06.2021

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Ich bin es müde.

Ich bin es müde, über Israel zu reden. Israel zu verteidigen. Man kann kein Plädoyer halten, wenn die Geschworenen einem nicht zuhören, sondern lieber ihr mitgebrachtes Transparent ausrollen, das Israel in allen Punkten – auch Punkten, die nicht einmal in der Anklageschrift gestanden sind – verurteilen. Am Ende sind immer die Juden schuld. Warum? Scheißegal.

Nestroy hatte ja so recht: „Gerichte können kein Gerücht zum Schweigen bringen.“

Früher, als Deutschland noch das Maß aller Dinge im Fußball war, definierte man ein Fußballspiel so: 22 Mann laufen hinter einem Ball her, das Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnen immer die Deutschen. Die Juden sind also das Gegenteil der Deutschen. Aber damit fange ich jetzt nicht auch noch an.

Antizionismus ist in der Schickeria angekommen. In der Twitteria sowieso. In der Cafeteria wohl auch. Und vielleicht sogar schon in der Pizzeria. Ich definiere Schickeria für mich so: das sind die Chicen, die Salonlöwen und -löwinnen, die sich selbst Wichtigst-Nehmenden, das sind die, die glauben, zu allem eine Meinung haben, aber sich dabei mit keinem Gramm Wissen unnötig belasten zu müssen. Diese Typen und Typinnen – ich musste schmerzlich feststellen, dass sich auch in meinem Bekanntenkreis die eine oder der andere befindet – die alles durchgedacht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass Israel an dem Hamas-Angriff selbst schuld ist – waren in letzter Zeit sehr spendabel. Viele Wortspenden für #MeToo, für #FridaysForFuture, für #BlackLivesMatter. Und jetzt mindestens auch noch eine für die Juden.

Ich sage „Juden“, damit gar kein Zweifel aufkommt, dass Antizionismus nichts anderes als Antisemitismus ist. Auch wenn viele – sehr eloquent – versuchen, raffinierte Trennwände aufzustellen, um sich im vermeintlich politisch höherstehenden Antizionismus verstecken zu können.

Ich bin es müde, erklären zu müssen, dass Antizionismus heißt, Israel das Existenzrecht zu verweigern und nicht Netanjahu und dessen Politik zu kritisieren, was allen, die wissen wovon sie reden, völlig unbenommen ist.

Ich bin es müde, meine eigene dezidierte Meinung über Netanjahu (ich bin absolut unverdächtig, ein Befürworter von ihm und seiner Politik zu sein) zu sagen, aber gleichzeitig ständig darauf hinweisen zu müssen, dass Israel eine funktionierende Demokratie ist, die dieses Problem eben demokratisch lösen wird.

Und siehe da, seit Sonntag am Abend schaut es sogar so aus, als würde ich damit schneller recht behalten, als ich es selbst angenommen habe. Es gibt eine Mehrheit gegen Netanjahu. Es gibt eine Ministerliste, die doch tatsächlich nicht nur aus Jasagern besteht, die Hoffnung macht, dass Gräben zugeschüttet werden, gerade weil die Koalition so divers ist. Ob es der Schritt in die richtige Richtung ist, werden wir sehen. Aber es ist zumindest ein Schritt.

Bevor sie meiner müde werden, mache ich jetzt auch einen Schritt und wechsle lieber das Parkett. Von Israel nach Österreich. Also Parkett ist eigentlich für beide Länder, nicht ganz treffend. Israel war noch nie fein – im Sinne von elegant – und Österreich ist schon längere Zeit nicht mehr fein. Also ist es mehr der Wechsel vom Wüstensand zum Sand in den Augen. Jetzt beginne ich auch die beiden einträchtig nebeneinander wehenden Flaggen am Dach des Bundeskanzleramts zu verstehen.

Es gibt natürlich jeden Tag was Neues in Österreich. Da alles in den letzten zwei Jahren in eine einzige Richtung geht, gewinnt man aber schnell den Eindruck der Einförmigkeit. „Eh alles beim Alten!“ war mein erster Eindruck, als ich von Israel zurückkam.

Gut, ich hatte nicht mitbekommen, dass mittlerweile schon gegen zehn türkise Schwarze oder schwarze Türkise ein Ermittlungsverfahren läuft und sich die Grünen ihre Gesichtsmasken nicht nur über Nase und Mund, sondern auch über Augen und Ohren ziehen müssen, damit ihr Name Hase bleibt.

Ich habe, wofür ich mich entschuldigen möchte, auch den UA-Ausschuss ein bisschen aus den Augen verloren. Aber er lebt noch und es gelten wohl immer noch die gleichen Regeln für die Befragten: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, Lügen ist Platin, mit der halben Wahrheit lügen ist Californium 252 (das habe ich extra für Sie gegoogelt, da kostet ein Gramm bis zu 21 Millionen Dollar).

Das alles gilt insbesondere für die Prätorianergarde des Bundeskanzlers. Schon zu Zeiten des Kaisers Augustus war das eine handverlesene Truppe. Heutzutage werden die Prätorianer nicht handverlesen, sondern handy-verlesen.

Apropos verlesen: habe ich mich verlesen, dass der Bundeskanzler selbst bei einer Verurteilung, zu der es ohnehin nicht kommen wird, darauf besteht, Bundeskanzler zu bleiben? Das wäre ja nicht einmal Trump eingefallen.

In leichter Abwandlung der Inaugurations-Rede von John F. Kennedy würde man vielen dieser UA-Befragten gerne zurufen: „Frag nicht, was Du für Dich tun kannst, sondern was Du für Dein Land tun kannst.“ Das kann man vielen Mächtigen in vielen Ländern zurufen, die sogar an viel größeren Rädern drehen, aber das macht es deshalb nicht besser.

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen und gar nicht unrecht damit haben: „Wann wird er endlich müde die Bundesregierung anzukläffen?“ Zum einen, wird meine Gekläffe ja kaum wahrgenommen – und deshalb bin ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser ja so dankbar, dass Sie es lesend ertragen – und zum anderen soll man den steten Tropfen nicht unterschätzen.

Diese Kolumne habe ich – eigentlich gar nicht so müde – wieder in der Loge 17 geschrieben. Aber das merkt man eh gleich, oder?

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Loge17 finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!