Der große Bumms

Wie es ist, in einem Land zu Leben, in dem es selbst die Jahrhundertpandemie nicht auf den obersten Platz der Problemskala geschafft hat

Harry Bergmann
am 09.05.2021

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Ein großer Bumms, Auftritt der Helikopter und Kampfjets: Alltag in Israel | Foto: Yassine Khalfalli | Unsplash

Es war ein dumpfer Ton. Eigentlich ein dumpfer Bumms. Ganz weit weg im Norden. Dann noch einer und noch einer. Begleitet von einem anderen Geräusch oder nur der Einbildung dieses Geräusches. Wenn eine Druckwelle einen Ton machen würde, dann diesen. Ein gewaltiges Pusten mit Nachhall. Der berühmte Perkussionist Martin Grubinger hätte das jetzt viel besser beschreiben können, wenn er hier gewesen wäre. Aber es war nur ich da. in einem Strandcafé in Herzliya Pituach, dem Ort, in dem ich wohne. Ja, in einem Strandcafé. Ich kann ja nicht ewig im Café Mocca – das nicht am Strand (hebräisch: chof) ist – in der Loge 18 herumlungern.

Bomben? Ja, vielleicht. Aber wo? Syrien, Libanon? Ich habe nicht gelesen, dass „oben“ was los wäre. Abgesehen davon, dass „oben“ immer was los ist. Man müsste Tim Cupal fragen. Er weiß das. Außerdem hat er einen Grünen Pass und kann überall hinein. Wenn er es also zufällig nicht weiß, kann er ja drinnen jemand fragen.

Das wäre was, wenn Grubinger und Cupal diese Kolumne schrieben. Ich weiß, liebe Leser, Sie denken sich das schon die längste Zeit.

Aber zurück zum Bumms. Zuerst dachte ich „Vielleicht ganz normale Sprengungen ?!“, denn keiner in dem Strandcafé zuckte auch nur mit der Wimper. Und es waren viele Wimpern da. Ich sollte vielleicht noch etwas hinzufügen. Etwas, das ich schon lange mit dem großartigen Dr. K., der mir die Ehre gibt, mein HNO-Arzt zu sein, besprechen wollte. Er konzentriert sich zu sehr auf das, was ich nicht höre, statt sich dem größeren Problem zu widmen, dass ich manchmal Dinge höre, die sonst niemand hören will. Aber vielleicht ist dafür eher meine wunderbare Psychotherapeutin, Frau Dr. P., zuständig.

Wenn es Martin Grubinger und Tim Cupal nichts ausmacht, würde ich gerne Dr. K. und Frau Dr. P. in das Autorenteam nachnominieren.

Im Moment würde ich allerdings noch gerne allein weiterschreiben dürfen. Ich habe nämlich einige Minuten nach dem Bumms einen Beweis geliefert bekommen, der meine Wahrnehmungs-Zweifel sofort in Luft aufgelöst hat. Oder besser: in der Luft. Eine Formation von Kampfhubschraubern flog nach Norden. Stellen Sie sich das bitte nicht so vor, wie wenn am 26. Oktober ein paar mit der tarn-braun-grau-grünen Farbe umlackierte Hubschrauber der Bergrettung Ischgl über den Heldenplatz fliegen und der Bundespräsident, als oberster Befehlshaber, aus dem Fenster der Hofburg schaut und seiner Luftwaffe milde zulächelt. Nein, eher wie bei „Apocalypse Now“, aber verständlicherweise ohne Wagner-Musik und leider echt.

Dazu der unüberhörbare, krachende Lärm der unsichtbaren – weil viel zu weit oben oder schon längst viel zu weit im Norden – Kampfjets. Das kann man sich bei uns in Österreich, wo Symphonien im Musikvereinssaal gespielt werden, schwer vorstellen, aber das sind nun mal die Symphonien, die bei uns im israelischen Luftraum gespielt werden. Symphonien des israelischen Alltags. Keiner hat ein Abonnement bestellt, aber jeder muss es sich anhören.

Warum erzähle ich Ihnen all das, wo ich mich doch verpflichtet habe, Ihnen Ihre pandemische Zukunft offenzulegen, indem ich über die pandemische Gegenwart von Israel berichte?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen wird Österreich am 18. Mai geöffnet und für mich schließt sich damit ein window of opportunity, das mir einen Vorsprung von etwa sechs Monaten verschafft hat. Sie, werte Leser, können die Segnungen der Freiheit bald am eigenen Leib verspüren und brauchen sich nicht mehr fragen, ob ich Ihnen die Wahrheit (hebräisch: ämät) erzähle oder nicht.

Ein weiterer Grund ist, um Ihnen zu zeigen, dass Corona, so schlimm es auch gewesen sein mag, in der israelischen Problemskala wirklich nicht an oberster Stelle gestanden ist. Hier ist Krieg (hebräisch: milchama). Und auch wenn scheinbar Frieden (hebräisch: shalom) ist, ist milchama.

Und schlussendlich ist es wohl so, dass die fünfte Kolumne über Israel nicht mehr den richtigen Bumms hat. Ich spüre, dass ich Ihre Aufmerksamkeit verliere. Da dachte ich mir, dass ich mit ein paar erprobten israelischen Klischees wie der Armee, Gefechtsstellungen, Kampfhubschraubern, die mit Raketen bestückt nach Norden fliegen und ohne Raketen nach einer Stunde oder so zurückfliegen, Kampfpiloten, die stundenlang mit Schallgeschwindigkeit unter dem Radar fliegen können, dass ich also mit diesen Klischees etwas Interesse für Israel, und damit für mich, zurückgewinnen kann. Sehr populistisch, aber meistens „geht’s rein“. Wenn Sie allerdings der Neigungsgruppe „Tschin Bumm Krach“ angehören, wäre es am besten, Sie vergessen meine Kolumnen und warten auf die nächste Staffel von „Fauda“.

„Fauda“ ist übrigens arabisch und heißt „Chaos“. Ich wiederstehe der Versuchung, hier einen sofortigen Übergang auf Österreich zu machen.

Einen Bumms habe ich nämlich noch. Einen politischen Bumms. Netanjahu wird nicht der nächste israelische Premierminister sein! Die Bibiisten sind in Schockstarre. Unter einem Bibiisten versteht man nicht einfach einen Netanjahu-Wähler, sondern eine Person, die dem Bald-Ex-Premierminister eine Art messianischen Status zuspricht. Ich will Sie jetzt nicht noch mit dem Alten Testament quälen – obwohl, warum nicht? – aber der jüdische Glaube verbietet es, anzunehmen, dass der Messias schon auf Erden wandelt.

Sei es, wie es sei, Netanjahu wurde abgewählt. Es brauchte 29 Monate, 4 Wahlen und unzählige, fehlgeschlagene Kabalen, bis Israel wiedereinmal Schauplatz eines Wunders geworden ist. Die Kurzform ist: Netanjahu ist über sich selbst, seinen Allmachtsanspruch, seine Justizverhöhnung, Korruption, und seine ständigen Spielchen mit politischen Freunden, geschweige denn Feinden, gestolpert.

Wenn ich also von der pandemischen Zukunft kurz in die politische Zukunft wechseln darf: es sollten sich eine Reihe von österreichischen Politikern weniger mit dem Aufstieg von Netanjahu beschäftigen, sondern mit seinem Fall. Das ständige Tempelhupfen über immer wieder neue „rote Linien“ ist kein Kinderspiel mehr.

Bevor ich also meinen Hinflug oder Rückflug nach Wien antrete, noch eine kleine Entschuldigung. Ich hatte Ihnen versprochen, in den nächsten zehn Kolumnen Harald Mahrer, der durch das schiefe Licht, in das er ständig gerät, seltsame Schatten wirft, zu erwähnen. Ich habe es bei der letzten Kolumne vergessen und jetzt ist es mir auch erst im letzten Moment eingefallen. Ich gelobe Besserung.

Ihr Harry Bergmann aus dem gelobten Land


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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