Hinflug oder Rückflug?

Wenn ein Kolumnist eine Reise tut, dann wird er zum Korrespondenten.

Harry Bergmann
am 20.04.2021

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Hin- oder Rückreise? Foto: APA/Helmut Fohringer | Montage: Falter

Reportagen schreiben ist nicht mein Ding. Lesen schon, aber schreiben eben nicht. Dazu bin ich vielleicht auch zu wenig daran interessiert, zu berichten, was gerade ist, sondern mehr interessiert, zu beschreiben, wie sich das anfühlt, was gerade ist. Sie haben natürlich völlig recht, dass mich kein Mensch gebeten hat, eine Reportage zu schreiben. Schade, es würde sich gerade echt anbieten.

Ich sitze im gut gefüllten Austrian Flug OS 861 von Wien nach Tel Aviv. Vor zwei Stunden, am Flughafen in Wien war gähnende Leere. Die Abstandsregel wurde offensichtlich auf 200 Meter erhöht. Eine heilige Ruhe. Ich habe sogar jemanden bei der Security vorgelassen, obwohl der es genauso wenig eilig hatte wie ich. „Nach Ihnen! Nein danke, nach Ihnen!“ Nur kurz Stress am Gate, ob ich auch wirklich alle Papierln habe, die man so braucht.

Während ich das schreibe, bin ich schon über Bulgarien, habe eine Kleinigkeit gegessen, schaue aus dem Fenster und denke so vor mich hin. Auf dem leeren Sitz neben mir liegen ein paar Pässe, die ich noch sortieren muss. Mein österreichischer Pass, mein israelischer Pass, mein österreichischer Impfpass, mein Blutgruppenpass, mein Prothesen-Pass ( ich nenne eine neue rechte Hüfte mein eigen, die sich blöderweise immer wichtig macht und einen Alarm auslöst). Ich fliege vom Lockdown in die Normalität. Nicht in die neue Normalität, von der man uns seit einem Jahr erzählt, sondern in die alte Normalität, in die echte. Ich fliege in die Freiheit, in die Ungezwungenheit, in die Nähe statt dem Abstand, in die Hoffnung, in den Frühling, der sich so aufführt, wie woanders der Hochsommer nicht. Über 30 Grad. Ich fliege vom selbsternannten Testweltmeister zum international anerkannten Impfweltmeister. Ich fliege von einem kleinen Land mit großer Vergangenheit in ein noch kleineres Land mit ständig bedrohter Zukunft. Ich fliege von einer innenpolitischen Misere – da sind Sie vielleicht anderer Meinung, weil ich Sie bisher einfach nicht davon überzeugen konnte – in eine andere innenpolitische Misere. Ich fliege von einem außenpolitisch eher marginalen Land (außer der, den wir zum Kanzler gemacht haben und der den Mund zu voll nimmt, schafft noch den unfreiwilligen, harten Öxit) in ein geopolitisch pulverfassiges Land. Ich fliege von einem Land, das nur einen nicht-demokratischen, dafür von obigem Kanzler umso stärker bewunderten freundschaftlichen Nachbarn hat, in ein Land, das nur nicht-demokratische feindliche Nachbarn hat.

Was mich ganz persönlich betrifft, fliege ich von einer Heimat in die andere. Ich bin in Israel geboren, aber ich lebe seit meinem 3. Lebensjahr in Wien. Damit verbunden sind zwei existenzielle Fragen. Fliege ich von zuhause weg, oder fliege ich nachhause? Ist es ein Hinflug oder ein Rückflug?

Biblisch genommen – oder sagen wir lieber der jüdischen Überlieferung nach – lebe ich seit geraumer Zeit in der Diaspora. Nachdem mich Kaiser Hadrian im Jahre 135 n.Chr. aus Palästina hinausbugsierte, habe ich an eine Rückkehr in meine Heimat geglaubt. Wenn man das mit dem Messias, der auch noch kommen muss, damit alles ordnungsgemäß abläuft, der Einfachheit halber weglässt, ist es also eigentlich ein Rückflug.

Geht man vom Lebensmittelpunkt aus, der insbesondere in der Pandemie natürlich Wien lag, dann ist es ein Hinflug. Wenn man sich an die Reiseempfehlungen von Kickl und seinen Spießgesellen hält, dann ist es sogar ein Oneway Flug nach Durt-obe-wos-es-hinkehrts.

Wenn es um die Wurzeln geht, dann ist es ein Rückflug. Denn ich bin ja nicht zufällig in Israel geboren worden. Meine holocaustüberlebenden Eltern haben dort 1949 ein neues Leben anfangen wollen. Ein Leben, in dem ein Kind in einem wehrhaften Frieden aufwachsen kann. Schmecks, Kropferter.

Wenn es um die Impfung geht, hätte es schon vor vielen Wochen ein Hinflug werden sollen. Aber dann hätte ich 10 Tage in ein Quarantäne-Hotel gehen müssen. Da erinnerte ich mich an ein Video, in dem ich Andi Herzog in einem israelischen Quarantäne-Hotel gesehen, gehört und dank deutschsprachiger Untertiteln auch verstanden habe und konnte den Flug gerade noch rechtzeitig stornieren.

Wenn ich an Österreich denke, dann bin ich dem Land für alle Chancen, die es mir geboten hat dankbar. Ich glaube aber auch sagen zu dürfen, dass ich dem Land einiges zurückgeben konnte. Ich denke, wir sind quitt.

Mit Israel ist das anders. Fast alle meine israelischen Freunde, die in meinem Alter sind, mussten in vier Kriegen für jenes Israel ihr Leben riskieren, das ich heute am Strand, im pulsierenden Tel Aviv – vor allem aber ohne antisemitische Hintergrundgeräusche – genieße. Ich schulde also dem Land noch etwas. So gesehen ist es doch ein Flug nachhause, also ein Rückflug.

Gelandet. Auf dem Ben Gurion Airport wieder gähnende Leere. Bis zu der Halle, wo alle einen PCR-Test machen müssen. Hunderte stehen in Schlangen an! Wo kommen die alle her? Hat man die engagiert, damit sich kurz vor meiner Freiheit noch eine letzte große Hürde auftut? Ich bemerke, dass es sich um Reisegruppen handelt, die sich gerade erst formieren.

Also an allen vorbei – Skiliftanstellerfahrung zahlt sich aus – hingesetzt, Rachen und Nase hingehalten (komisch, viel sanfter als in Wien oder gar in Tirol) und 5 Minuten später bin ich draußen. Das Ergebnis bekomme ich aufs Handy, spätestens wenn ich zuhause angelangt sein werde. Morgen zwischen 10 und 12 wird jemand zu mir nachhause kommen, der einen Antikörper-Test machen wird, dessen Resultat ich 6 Stunden später wieder aufs Handy bekommen werde. Wenn ich genug Antikörper in meinem Körper habe, dann darf ich meinen österreichischen gelben Impfpass in den berühmten, israelischen, grünen umwandeln. Das ist der, den der oben schon zweimal erwähnte Kanzler andächtig in Händen hielt, als er seinen israelischen Freund besuchen durfte. War natürlich ein Hinflug.

Ich fange an zu verstehen, wie Impfen und Testen eigentlich sein sollten. Ja, und eine Reportage schreiben macht eigentlich doch Spaß.

Leila tov,

Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.

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