Hasta ka Pista, Baby

Österreich steht vor der größten Entscheidung seit Erfindung der Berge: Skisaison eröffnen oder nicht?

Harry Bergmann
am 30.11.2020

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„Immer diese Österreicher!“ wird sich die EU denken, wenn sie denken könnte. Obwohl, wenn sie denken könnte, dann müsste sie ja eigentlich denken: „Immer diese Ungarn und Polen!“. Aber was ist schon die plumpe Rechtsstaatlichkeit gegen einen eleganten Rechtsschwung auf einer Tiroler „Pischte“.

Österreich steht vor der größten Entscheidung seit Erfindung der Pandemie. Nein, seit der Erfindung des alpinen Skilaufs. Nein, seit Erfindung der eigennützigen Gastfreundschaft. Nein, seit Erfindung der Berge.

Wird es einen Winter geben? Wird es eine Wintersaison – das ist der pekuniäre und daher angeblich einzig zu beachtende Teil des Winters – geben, oder eine verspätete Wintersaison, oder eine Skisaison ohne Bergbahnen, oder Bergbahnen ohne Skifahren? Flachländer können nicht einmal im Entferntesten ermessen, in welcher prekären Lage sich dieses kleine Land im freiwillig nach rechts verschobenen Zentrum Europas befindet. Umgeben vom feindlichen Ausland. Dem „hässlichen Deutschen“. Dem „feigen“ Italiener. Dem „intriganten“ Franzosen. Die alle so machen, als ob dieses kleine Land eben nicht das Herz, sondern der entzündete Blinddarm Europas wäre. Soll Österreich wieder einmal das erste Opfer werden? Soll die Schweiz wieder die Zinsen dieser paneuropäischen Austria-Ächtung kassieren?

Ein Foto aus besseren Zeiten, als Kitzbühl noch für unkontrollierte Exzesse statt für unkontrollierte Ansteckung galt | APA/EXPA/Stefan Adelsberger

Wie gut, dass unser Schicksal in umsichtigen politischen Händen liegt. Mit Weitsicht und unter Abwägung aller Parameter – vom weihnachtlichen Konsumrausch bis zum alpinen Höhenrausch, von der zentralistischen Straßenwalze bis zur föderalistischen Wasserwaage – zieht unsere Regierung eine sichere Spur durch den nicht vorhandenen Tiefschnee.

Während Karl Lueger in seinem überbordenden Altruismus noch meinte: „Wer ein Jud‘ ist, bestimme ich“, so tönt es jetzt aus dem Tourismusministerium mit nicht minderem Nationalbewusstsein: „Wer bei uns skifährt, bestimmen immer noch wir.“

Der Westen von Österreich hält jedenfalls den Atem an. Die roten Köpfe der tiroler, salzburger, vorarlberger Landespolitiker, der Hoteliers, der Gastronomen, der Seilbahnbetreiber sind aber nicht nur Ausdruck dieses dadurch bedingten Sauerstoffmangels, sondern nachvollziehbare Wut und Kränkung.

Hat man nicht alles getan, um die Verantwortlichen auch zur Verantwortung zu ziehen? Hat man nicht aus den Fehlern gelernt? Hat man nicht die Abgeordneten der Landtage komplett ausgetauscht und darauf geachtet, dass niemand einen anderen persönlich kennt, um Seilschaften zu verhindern? Hat man nicht durchdachte und nachvollziehbare Sicherheitskonzepte vorgetragen, die nur deshalb niemand zu Gesicht bekommen hat, weil sie sonst sofort von allen Alpenländern kopiert worden wären? Hat man nicht überlegt das Kitzloch in eine Pandemie-Gedächtnisstätte umzuwandeln? Hat man nicht angeboten, die ersten Corona-Impfungen jenen isländischen Touristen zu überlassen, die das Virus fahrlässig in ganz Europa verteilt haben, obwohl die einzige wirklich unabhängige Untersuchungskommission festgestellt hat, dass es äußerst zweifelhaft ist, dass sich diese Touristen in Ischgl angesteckt haben. Ja, leckch mi am Oarsch, was soll man denn noch tun?

Wenn wir eines aus der Pandemie gelernt haben, dann ist es, dass man Experten nicht zu Wort kommen lässt. Dieses in dutzenden, spannungsgeladenen Pressekonferenzen erprobte Prinzip stößt aber bei Wintersport-Fragen an seine Grenzen. Denn in Österreich ist jeder ein Wintersport-Experte. Aus diesem Grund fand unlängst eine zoom-Konferenz von „Sakrosankten“ statt, die sich dem Thema „Schulterschluss gegen den Winterschluss“ mit aller gebotenen Sensibilität genähert haben. Aus Gründen der Diskretion, sind die Namen der Teilnehmer leicht verändert.

Hier einige Ausschnitte:

K. Schranzhocke: „Ich kenn mich aus beim Sperren. Ich war schon g‘sperrt, da seids ihr noch alle g’fahren. Der Platter soll sich einfach mit dem Kurz auf den Balkon vom Bundeskanzleramt stellen und die Massen jubeln.“

Tonai Abseiler (von ganz oben in Hochdeutsch): „In Kitz sind alle fürs Zusperren, aber zuerst alle hereinlassen und dann nicht mehr herauslassen.“ (Sein Lachen klingt irgendwie sphärisch).

Hans Moonboot: „Schauts Leitln, geht’s mit mir am Berg. Des is beeeerig und bäääärig. Da brauchts nur die Musik im Herzen und ka Seilbahn.“

Hermi Nahtohr: „Die Elli is mei Freundin. Wenn die wettet, dass mir heuer noch skifohrn, dann wett i a. Die is mei Bank.“

Ing. Stenmark: (schweigt)

P. (Name und Aufenthaltsort nur der ORF-Sportredaktion bekannt, befindet sich derzeit in einem Zeugenschutzprogramm): „Der österreichische Berg und dazu zähle ich natürlich auch den Südtiroler Berg ist unbezwingbar und wird sich nicht von den bayrischen, italienischen und französischen Neidhammeln in die Knie zwingen lassen.“ (Zu sich selbst): „Hat a Berg a Knie?“

Präsident Schrecknagel: „Seids Ihr wahnsinnig? Alles zusperren? Wovon sollen meine 15 Enkeln leben?“

Marcel Knirscher: „I fahr eh nimma, mir is des alles wurscht.“

Wie zu erwarten hat auch dieser virtuelle „Runde Tisch“ keine eindeutige Präferenz herausarbeiten können. Wer wird den Machtkampf also gewinnen? Die kesse Köstinger oder der schnöde Söder? Das schnelle Geld oder die dunkle Ewigkeit? Der Einkehrschwung in der Mittelstation oder die Einlieferung in die Intensivstation? Die erste Tiefschneespur oder der dritte Lockdown? Das „mir san mir“ oder das „wir sind wir“?

Das nächste Mal schreibe ich schon im verlängerten Lockdown. Sehne mich nach der Loge 17, zeige die ersten oder zweiten Ermüdungserscheinungen und versuche mir nichts anmerken zu lassen. Ob dabei irgendwas Interessantes herauskommt, kann ich beim besten Willen nicht sagen.

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, kein Studienabbrecher, aber in der Werbung dennoch Autodidakt. Seit 2 Jahren nicht mehr in der Werbung, aber schon wieder Autodidakt. Diesmal beim Schreiben. Lebt in Wien und in Israel, außer es ist gerade in einem der beiden Länder ein Lockdown.


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