Auf lauten Sohlen

Man wird nur eine Marke, wenn man ordentlich „klappert“. Das weiß Humanic schon lange, die Virologen erst seit kurzem.

Harry Bergmann
am 18.11.2020

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Schuhe sind also das neue Klopapier. Kurz vor dem Start des zweiten Lockdowns wurden in Wien die Schuhgeschäfte gestürmt. Frei nach dem Motto „Koste es, was es solle!“. Nicht alle Schuhgeschäfte, nur die vom Franz. Der Franz hat sich nämlich gedacht, dass der richtige Schuh für das Home Office ein unentbehrliches Accessoire ist.

Erstens, weil so ein neues Schuhwerk ja wirklich Freude macht, insbesondere in der freudlosen Zeit, in der wir gezwungen sind zu leben, zweitens weil viele von uns einander zuhause in den nächsten Wochen auf die Zehen steigen werden, ein festes Schuhwerk sicher nicht blöd ist und drittens, weil eine alte Tradition – leider muss ich es sagen – vom Aussterben bedroht ist, dass nämlich neue Schuhe „eingetragen“ werden müssen.

Früher war das nur dem Adel vorbehalten. Da trug der Herr Graf (oder was Höheres) einem seiner Bediensteten auf, das neue Paar nach bestem Wissen und Gewissen einzutragen. Was auch deshalb so gut funktionierte, weil der Lakai ja meistens rückwärts zur Tür gehen musste, was den neuen Absätzen wirklich guttat. Über das Phänomen, dass die beiden die gleiche Schuhgröße haben mussten, gibt es leider keine Aufzeichnungen.

Schuhe kaufen zum Zuhausebleiben: Shopping vor dem großen Lockdown | Foto: APA/ Roland Schlager

Nicht, dass Sie jetzt glauben, der Franz sei ein Monarchist oder so. Im Gegenteil. Der Franz ist ein aufrechter Demokrat. Und als solcher wollte er dem gemeinen Volk diesen Trage-Luxus nicht vorenthalten. Zur Demokratisierung der Bock (Gewerkschafter-Sprache!) gehört natürlich auch der Faktor Leistbarkeit. Da wollte der Franz sich auch nicht lumpen lassen und verzichtete auf einen Schuh. Genauer gesagt bekam man beide Schuhe, musste aber nur einen bezahlen. Natürlich hätte dem guten Franz sein ganzer Altruismus nichts geholfen, wenn er nicht vorher vehement die Werbetrommel gerührt (oder geschüttelt) hätte.

Wenn ich mich da eines, in der Werbung üblichen, Kalauers bedienen darf: die billigen Sohlen kamen auf lauten Sohlen daher. So strömten die Schnäppchenjäger aus allen Bezirken herbei und stellten sich, in langen Schlangen, stundenlang an. Natürlich belastete das lange Stehen das alte Schuhwerk, aber andererseits konnte man die Schuhe seiner Vorderleute ebenso lange betrachten und den zukünftigen Kaufrausch in eine bestimmte Stilrichtung kanalisieren.

Die lauten Sohlen sind überhaupt ein Wahrzeichen unserer Zeit. Aus allen Richtungen hört man es klappern. Es genügt einfach nicht mehr, etwas zu tun oder zu erforschen oder zu wissen, man muss es landauf landab hörbarst verbreiten. Das gilt übrigens in den letzten Monaten auch für Berufe, die bisher auf den seriösen, leisen Sohlen ihrer wissenschaftlichen Arbeit nachgegangen sind.

Wenn Sie jetzt an Virologen und Epidemiologen denken, dann will ich Ihnen nicht widersprechen. Drosten, Streeck, Sprenger, Willich, Allerberger, Zangerle und und und. Die Popstars der Pandemie. Sie sind zu Marken geworden. Und sie verhalten sich wie Marken. Sie versuchen sich zu positionieren. Das heißt aber auch, sich von anderen Marken wegzupositionieren. Eine Alleinstellung finden. Virologinnen, die im Fahrwasser anderer Virologinnen argumentieren, erfüllen damit vielleicht tugendhaft die wissenschaftliche Verpflichtung zur Objektivität, aber ihre Namen werden keine Headline zieren, in keinem Zitat vorkommen, keinem Politiker als Schutzschild dienen. Sie werden die Hall of Fame nicht einmal von Weitem sehen.

Effekt: 3 Virologen, mindestens 4 Meinungen. Effekt des Effekts: man kann sich die Begriffe „evidenzbasiert“ oder „datenbasiert“ sonst wohin stecken. Effekt des Effekts des Effekts: die Politiker haben den Würfel zu ihrem persönlichen Berater gemacht. Effekt des Effekts des Effekts des Effekts: wir sind noch verunsicherter, als wir es ohnehin schon sind. Effekt des Effekts des Effekts des Effekts des Effekts: die Gesellschaft ist gespalten wie die Anhänger zweier rivalisierender Fussballmannschaften. Lachen Sie eigentlich über das 0:6 der deutschen Fussball-Nationalmannschaft gegen Spanien oder weinen Sie? Okay, es kann Ihnen auch völlig egal sein, was aber bei einer tödlichen Pandemie einigermaßen schwieriger ist.

Es wird wohl bis ans Ende der Pandemie so weiter gehen. Ob dieses Ende bitter schmecken wird oder süß, hängt auch wieder davon ab, auf welchen Experten man lieber hört. Wissenschaft ist ein Markt wie jeder andere, würde Trump sagen und er hätte zum ersten Mal sogar recht. Einige der Marktteilnehmer wissen genau, dass diese Pandemie ein „window of opportunity“ ist und werden alles tun, um in diesem Wettbewerb zu reüssieren. Wir werden wohl die letzten sein, die erfahren, wer die Guten und wer die Bösen sind.

Ich wollte noch was zum Franz sagen: dem Franz war das im Nachhinein sehr peinlich. Er hat sich öffentlich für den Lockvogel vor dem Lockdown entschuldigt. Ich finde, das sollte Schule machen: jeder Händler der eine „price off“ Aktion auf möglichst lauten Sohlen macht, soll sich nachher für den großen Erfolg öffentlich entschuldigen. Eine bessere Werbung für die nächste Preisschweinerei gibt es eigentlich gar nicht.

Chapeau, Franz!

Das nächste Mal werde ich vielleicht mit der Kolumne ein paar Tage zuwarten. Meine Kinder haben mich über das Prinzip des Verknappungsmarketings aufgeklärt. Glaube, schon einmal darüber gehört zu haben. Erscheint mir jedenfalls sehr plausibel. So haben Sie ein paar Tage mehr, um sich von mir zu erholen und ich ein paar Tage mehr, um etwas Interessantes zu finden. Kann und will es aber nicht versprechen.

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher Demner, Merlicek und Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Nach 40 Jahren in der Werbung auf der Suche nach etwas Neuem. Ältester Kolumnisten-Lehrling auf falter.at. Geboren in Israel. Mit 3 Jahren nach Österreich und hier gerne geblieben. Witwer einer unvergleichlichen Frau, Vater von 3 wunderbare Söhnen und Schwiegervater einer wunderschönen Schwiegertochter. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


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