Erneuerbare Energie

Gedanken nach einer herausfordernden und auslaugenden Woche

Harry Bergmann
am 08.11.2020

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Golf ist die ideale Freizeitbeschäftigung für Donald Trump. Man bewegt sich, aber nicht zu viel. Es gibt immer wieder Möglichkeiten zu schummeln, vor allem beim Zählen. Und man gewinnt immer. Letzteres natürlich nur, wenn man Donald Trump ist und eine die Mitspieler gewinnen lassen müssen. Es heißt, dass man nur eine Runde Golf mit jemandem spielen muss, um seinen Charakter in- und auswendig zu kennen. So gesehen hätten wir uns eigentlich die letzten vier Jahre ersparen können.

Ich sehe folgende Szene vor mir: Trump kommt von einer seiner „gewonnenen“ Golfrunden ins Weiße Haus zurück. In einem der endlosen Gänge staubt gerade einer der unzähligen Hausbediensteten eine der unzähligen Vasen ab. Trump geht auf dem Mann zu, klopft ihm jovial auf die Schulter, reißt ihm die Maske herunter, zeigt ihm ein „thumbs up“ und geht grinsend weiter. „Mr. President,“ sagt der Mann, mehr zu sich selbst, als Trump schon in „sicherer“ Entfernung ist, „Sie verlieren gerade die Wahl 2024.“ Trump stutzt kurz und geht, etwas nachdenklich, weiter. Dann fällt ihm ein, dass er mehr Stimmen als je ein Republikaner vor ihm gewonnen hat und setzt sofort wieder dieses schiefe Grinsen auf. Ein blöder Tagtraum, ich weiß. Aber im November habe ich oft noch blödere und vor allem vernebeltere Tagträume.

Die Wahl 2020 ist vorbei, oder so gut wie vorbei, oder erst dann vorbei, wenn kein Bürgerkrieg ausgebrochen ist und schon redet man von der Wahl 2024 und ob Trump antreten wird oder nicht. Abgesehen davon, dass einem wenigstens ein paar Tage gegönnt sein sollten, sich über das einzig Positive in diesem Jahr, das es bisher auf 236 Seuchenkolumnen von Armin Thurnher gebracht hat, zu freuen, hat der Blick in die Zukunft natürlich auch was.

Werden die Demokraten das Zuschütten der tiefen Gräben so gut geschafft haben, dass sie sich 2024 schon „trauen“ können, Kamala Harris zu nominieren? Werden die Republikaner gelernt haben, dass man sich nicht lange an der Macht halten kann, wenn man ständig seine eigene rote Linie überschreitet? Wird Donald Trump nie wieder den Mann, der die Vase abgestaubt hat, vergessen und verstanden haben, dass er 2024 nur gewinnen kann, wenn er 2020 mit einem Rest an Anstand verloren hat? Werden wir Corona besiegt haben und nicht in einem noch viel größeren Schlamassel sitzen? Wird die Welt insgesamt eine bessere geworden sein, weil 2020 ein Stachel im Fleisch entfernt wurde?

Ich habe meine eigene Theorie, warum Wahlen – schon im Vorfeld – gewonnen oder verloren werden. Ich glaube nicht an Zahlen. An die der Meinungsforschung schon gar nicht. Ich glaube an eine andere „Währung“. An Energie. Die Aufmerksamkeit folgt der Energie. Die Zahlen folgen der Energie. Die Medien folgen der Energie. Die Wähler folgen der Energie. Der guten Ordnung halber sollte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich der einzige Anhänger meiner Theorie bin.

Vor ein paar Jahren verfasste ich für einen amtierenden Bundeskanzler, der vor einer Wahl gegen einen jungen Mann stand, ein Grundsatzpapier, in dem ich meine „Energie-Theorie“ zum Besten gab. Ungeschickterweise stellte ich fest, dass die Energie beim Gegenkandidaten zu finden sei. Was soll ich Ihnen sagen? Höchstwahrscheinlich hat der kurze Zeit später nicht mehr amtierende Bundeskanzler genau aus diesem Grund das Papier nie zu Gesicht bekommen. Und wenn doch, hat er sicher nur milde gelächelt. Erfinderschicksal!

Ich bin deshalb nicht sehr zuversichtlich, dass Sie, verehrte Leserin und Sie, verehrter Leser, mir glauben werden, wenn ich Ihnen sage, dass die US-Wahl 2020 eine reine Energiesache war. Dass ein Halunke, ein Ehrabschneider, ein Tunichtgut, ein Präsident des Ungemachs, wie dieser 45. Präsident es war, ein Land in „bad vibes“, ich sag halt „negative Energie“ dazu, versetzt, ist eh klar. Aber dass der Gegenkandidat Biden genau wegen der Urgewalt dieser schlechten Energie, die von 74.000.000 Menschen in eine Welle von Sehnsucht nach ein bisschen positiver Energie umgewandelt wurde, ins Weiße Haus geschwappt wurde, müsste doch für meine Theorie sprechen.

Dem CNN-Moderator Van Jones kamen Tränen der Erleichterung, als klar war, dass Trump nicht wiedergewählt wurde |  Foto: Screenshot CNN

Hätten Sie aber CNN zur richtigen Zeit geschaut, dann müssten wir jetzt gar nicht darüber diskutieren. Der afro-amerikanische CNN Kommentator Van Jones brach bei der Bekanntgabe des Biden-Siegs in Tränen aus: „This morning it’s easier to tell your kids, character matters, telling the truth matters, being a good person matters…….you are spending so much of your life energy just trying to hold it together. And this is a big deal for us, just to be able to get some peace.“

Diese Kolumne steht am Ende einer Woche, die uns viel Energie gekostet hat. Der Lockdown, das Attentat, das Hin und Herr über Schuld und Verantwortung, die erste Zahl der Corona-Neuinfektionen über 8000 und die nicht enden wollende US-Wahl.

Aber es gibt good news: Die menschliche Energie ist erneuerbar.

Das nächste Mal schreib ich vielleicht wieder über meine Betrachtungen der österreichischen Innenpolitik. Es gibt natürlich viel Befähigtere, Befugtere und Objektivere als mich, das zu tun. Aber ich schreibe, wie es sich für mich – und vielleicht auch andere – anfühlt .Und das ist halt subjektiv. Aber vielleicht schreib ich eh was Anderes und unter Umständen sogar Interessantes.

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


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