Das Spiel

Ein roter Rechter spielt gegen einen blassblauen, etwas tattrigen Herrn. Wie soll das enden?

Harry Bergmann
am 05.11.2020

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Da gibt es dieses Spiel. Es findet alle 4 Jahre in Amerika statt, wird aber in die ganze Welt übertragen. Das globale Publikum lernt dabei sehr viel über Amerika. Geographisch, demographisch, anthropologisch, soziologisch und schlussendlich auch individual- bzw. massenpsychologisch.

Ich mag dieses Spiel sehr. Sitze tagelang vor dem TV-Gerät und manchmal – ich gestehe es – beginne ich wieder Nägel zu kauen, obwohl meine Eltern viel in einen Kinderpsychologen investiert haben, um es mir abzugewöhnen. Ich weiß nicht, ob ich damit gemeint bin, aber ich lese jetzt öfter, dass das Spiel als „nail-biter“ bezeichnet wird.

Alles beginnt mit einer vereinfachten Landkarte von Amerika. Das Spielfeld. Das ist am Rand blau und in der großen Mitte rot. Ich freue mich, wenn ich Städte oder Staaten wiedererkenne. Die spielfreie Zeit von jeweils 4 Jahren lässt einen doch immer wieder viel vergessen. Man kann daraus auch ein tolles Ratespiel für zuhause machen, so eine Art „Stadt, Land“. Neben den Städte-Klassikern wie New York, Los Angeles, Chicago und den bekannten Staaten wie Kalifornien, Texas und Florida, gibt es auch härtere Nüsse zu erraten, wie Michigan, Wisconsin, Arizona oder Pennsylvania. Angeblich erkennt man sie am „swing“. Es gibt auch eine etwas martialischere Version des Spielfelds, da ist das ganze Land in „battlegrounds“ aufgeteilt. Dann ist es weniger „Stadt, Land“, sondern eher ein Strategiespiel. Für Fortgeschrittene gibt es das alles auch im Originalton. Die blaue Version auf CNN und die rote Version auf FOX.

Ich sollte vielleicht endlich einmal das Spiel erklären. Also, es gibt 2 Kandidaten oder Kandidatinnen (eher selten, daher ausnahmsweise nachgereiht). Ein roter Kandidat. Ein blauer Kandidat. Und dann gibt es noch ein weißes Haus. Welcher der beiden Kandidaten zuerst im weißen Haus ist, hat gewonnen. Nein, falsch: welcher der beiden Kandidaten gewonnen hat, kommt in das weiße Haus. Nein, auch falsch: wenn einer der beiden Kandidaten den anderen anruft und ihm zum Sieg gratuliert, dann hat der Angerufene gewonnen und kommt ins weiße Haus. War früher einfacher, wird aber seit 2016 komplizierter und komplizierter.

Der Rote Spieler, der kein Sozialist, sondern ein notorisch lügender Rechter ist. Foto: Sean Ferigan | Unsplash

Sie werden jetzt fragen, wie es dazu kommt, dass der eine den anderen anruft und gratuliert. Dazu müsste ich Ihnen jetzt die Zahl 270 und den Begriff „Wahlmänner“, die nicht einmal Männer sein müssen, erklären. Das ist mir, ehrlich gesagt, zu kompliziert. Glauben Sie es mir einfach. Bei Anruf Sieg.

Zurück zu 2016. Da hat das ganze Theater mit diesem Wahl-Spiel begonnen. Und sehr viele aus dem Publikum haben seit damals null Bock auf diesen Eiertanz.

Warum? Na ja, 2016 hat der Falsche gewonnen. Ein Roter, der bei diesem Spiel übrigens kein Sozialist, sondern ein strammer Rechter ist. Ich will Sie nicht verwirren, aber die Roten bezeichnen dort die Blauen als Sozialisten oder besser gleich als Kommunisten. Andere Länder, andere Sitten. Egal, vor diesem falschen Roten haben schon viele andere Rote gewonnen. Das war eigentlich nie ein Problem, aber dieser Rote war und ist ein notorischer Lügner, ein Angeber, ein Steuerhinterzieher, ein Rabauke, ein Rassist, einfach ein schlechter Mensch, wenn man das so sagen darf. Und außerdem hat dieser Frauenfeind ausgerechnet gegen eine tolle Frau gewonnen, die sogar schon vorher in dem weißen Haus gewohnt hat.

Dass man seit damals den Glauben an die Meinungsforschung, die einen großartigen Sieg der Frau prognostiziert hat, noch immer nicht verloren hat, ist eines der Mysterien dieses Spiels. Mittlerweile ist man gut beraten, wenn man genau das Gegenteil der Prognose annimmt.

Abgesehen davon ist der Rote mit dem orangen Gesicht eine Nervensäge, die sich an keine Spielregeln hält, was echt mühsam ist. Besonders in diesen Tagen, weil er jetzt wieder gegen einen Blauen antreten muss.

Der Blaue ist ein bisserl blass, also blassblau, und manchmal auch schon ziemlich tattrig. Aber das spielt keine große Rolle, denn es geht gar nicht um den Blauen. Es geht nur darum, den Roten endlich loszuwerden. Und dafür ist jeder Blaue gut genug, dachten die Blauen, die ihn nominiert haben.

So und jetzt nähern wir uns der Problemzone dieses Spiels. Und zwar der Problemzone für uns. Uns Österreicher, uns Europäer oder uns, Rest der Welt. Wir verstehen die Amerikaner nicht. Wir verstehen nicht und wollen auch nicht verstehen, dass der rote Teil der Landkarte das echte Amerika ist. Der blaue Teil ist ein Teil von Europa, der zufällig auf einem anderen Kontinent gelandet ist. Der „falsche“ Rote wird von den „richtigen“ Amerikanern verehrt, ja vergöttert. Er kann lügen, dass sich die Balken biegen und sie werden ihm folgen und alles für ihn tun. Auch sehr unnette Dinge. Und wir schauen zu und sind jedesmal von Neuem überrascht.

Während wir so reden, schaut es aus, als ob der Blassblaue in dem diesjährigen Spiel gewinnt, obwohl er nicht viel mehr bieten kann, als nicht der Rote zu sein. Aber mit den neuen Regeln, die alle bisherigen Regeln außer Kraft setzen, ist noch nix fix. Der Rote spielt nämlich gerade ein Spiel im Spiel „Haltet den Dieb!“ und will alles stoppen, bevor der Blaue die 270 (Sie wissen schon, die die ich Ihnen nicht erklärt habe) erreicht hat. Außerdem hat er schon festgehalten, dass er erstens den anderen nicht anrufen, weil der angeblich nur ein Vierteltelefon hat und zweitens zu Gericht gehen wird. Da viele der echten Amerikaner, man erkennt sie leicht an ihrem roten Nacken, bis an die Zähne bewaffnet sind, können Sie sich lebhaft vorstellen, wie das Spiel noch enden kann.

Ich bin wirklich froh, dass das alles nur ein Spiel ist. Nicht auszudenken, was aus dieser Welt wird, wenn das eines Tages wirklich passieren würde.

Ich bin jetzt zu aufgeregt, um Ihnen zu sagen, worüber ich beim nächsten Mal schreiben werde. Vielleicht geht es um irgendwas zwischen der Justizministerin und dem Innenminister oder ich zitiere einfach lange Passagen aus „Schuld und Sühne“.

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


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