Das Spitalswesen und wie man selbst zu einem wird

Ein Krankenhausaufenthalt zeigt: Das Virus macht doch nicht alle gleich

Harry Bergmann
am 04.10.2020

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Ich liege auf Zimmer 220. Keine Ahnung wie ich da hereingekommen bin. Meine letzten Erinnerungen sind der Portier, der auf die Vorschrift bestand, meine tolle MP2 Maske gegen so einen billigen hellblauen Supermarkt-Fummel auszutauschen und eine besonders nette Schwester, die mich bis auf die Haut ausgezogen, mein rechtes Bein markiert, mir dann diese Delinquenten-Uniform – vorne zu, hinten offen – angelegt und die Frage gestellt hat: „Wollen Sie eine Beruhigungspille?“ Ich hatte mich schon am Vortag der OP auf die Antwort „Ja, bitte.“ festgelegt. Aber da war ich eigentlich nervöser, als unmittelbar vor der Hinrichtung. Zwei (!) Minuten später war ich in tiefer Bewusstlosigkeit. Niente, Nada, Nix.

Ich kann dieses Ding nur empfehlen. Sie müssten sich halt bei der Schwester nach dem Namen der Pille erkundigen und damit rechnen, dass sie sich vorher splitternackt ausziehen müssen.

Nach dem Filmriss, das Aufwachzimmer. Die Welt hat einen wieder. Zumindest eine Zwischenwelt. Man sieht sich um und der Blick bleibt minutenlang bei den seltsamsten Dingen hängen. Eine Kante, ein Tisch, eine große Wanduhr, die einem die Zeit zeigt, die man aber nicht begreift.

Irgendwann tauchte ich auf. Es ging eine Ärztin vorbei, deren unsympathisches Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam. Ja genau, das war die, die mir beim Aufklärungsgespräch eine lange Liste genüsslich, quälend langsam und laut vorgelesen hatte, was alles bei der Operation schiefgehen könnte und mit welchen Konsequenzen ich zu rechnen hätte. Beinamputation hatte etwa den Stellenwert einer leichten Verkühlung. Haben Sie den alten James Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“ gesehen? Da war diese russische Agentin, die aus ihrem Schuh ein kleines Bajonett rausspringen lassen konnte. Ich glaube, es war ihre Schwester. So will man in keiner Welt aufwachen, auch wenn es nur eine Zwischenwelt ist.

Aber dann passierte etwas neben mir, das mich mit dem Spital versöhnte. Im Nebenbett lag ein Bub mit Down Syndrom. Sein Aufwachen war herzzerreißend. Er schrie alle paar Sekunden laut auf und wälzte sich herum. Daneben saß eine Frau in ganz normaler Zivilkleidung und streichelte ihn unaufhörlich. Seine Mutter, nehme ich an. Dass sie dort im „Sperrgebiet“ sein durfte – natürlich mit Maske – fand ich großartig. Irgendwie streichelte sie uns alle, die wir dort das Licht der Welt wiedererblickten.

Der Souverän im Spital müsste ja eigentlich der Patient sein. Ist er natürlich nicht. Foto: APA/ Helmut Fohringer

So, jetzt liege ich, wie gesagt, auf 220. Manchmal, wenn mich der Hafer sticht oder die Physiotherapeutin stichelt, gehe ich auf und ab. Das Ganze sieht aus, wie ein Casting für die Neuverfilmung von „Der Glöckner von Notre Dame“. Das Tempo ist schwindelerregend. Gestern machte ich eine Ganztageswanderung auf die Spitalsterrasse. Sie ist 100 Meter von meinem Zimmer entfernt. Dazu passt eine Stelle aus dem Buch „Krankheit als Symbol“, die sagt, dass man während des Spitalsaufenthalt nach einer Hüft-Operation sich ohnehin mehr auf die inneren Schritte, die inneren Reisen konzentrieren soll.

Eine der ersten inneren Reisen führte mich ganz weit weg in das Walter Reed Militärspital, in dem jetzt der Corona-Leugner Trump liegt. Er bekommt dort eine Behandlung, wie kaum ein anderer auf diesem Planeten. Diese Behandlung gilt natürlich dem Amt und nicht dem lieben Donald, aber sie zeigt, dass das Virus doch nicht alle gleich macht. Wenn er einen milden Verlauf hat, was ihm alle wünschen, die sich nicht auf eine moralische Stufe mit ihm stellen wollen, dann steht einem Sieg am 3. November überhaupt nichts mehr im Wege. Und Biden und seine Frau beten ja ohnehin für ihn. Was für ein bigottes Land!

Je länger man hier „drinnen“ im Spital ist, desto mehr fallen einem die Ähnlichkeiten mit „draußen“ auf. Die Gesellschaftsordnungen ähneln sich sehr. Der Souverän müsste ja eigentlich der Patient sein. Ist er natürlich nicht. Nicht einmal der mit der fetten Zusatzversicherung, der sich seinen Arzt selbst ausgesucht, also gewählt, hat. Die Macht ist ziemlich klar verteilt. Die hat der Arzt.

Es ist wie draußen. Diejenigen, die die Macht haben, teilen sich in Mechaniker und „Menschen“. Ich habe, gottlob, einen Menschen und das tut für meine Heilung nicht viel weniger als sein Skalpell. Ich gebe zu, ich habe leicht reden, er ist nämlich außerdem einer der allerbesten Feinmechaniker. Das schließt sich nicht aus.

Je verunsicherter eine Gesellschaft ist, desto weniger braucht sie die reinen Mechaniker der Macht. Wir Patienten und Patientinnen hier drinnen sind alle verunsichert. Der eine mehr, die andere weniger. Wir sind nämlich schon dort, wo die da draußen befürchten hinzukommen.

Aber eines ist im Spital doch anders. Die, die hier die Macht haben, haben über sich noch die, die wirklich die Macht haben. Die Politik. Und die macht Dinge möglich oder unmöglich. Da kannst du Mensch sein, wie du willst.

Und deshalb macht mich die Situation draußen so wütend. Die Politik ist mehr mit dem Machterhalt beschäftigt, als damit, was man mit dieser Macht alles richtig machen kann. Es sind nicht unbedingt die falschen Parteien, sondern nur die falschen Menschen in diesen Parteien.

Aber manchmal, nur für einen winzigen Augenblick, dreht sich das Rad nochmals um. So einen Augenblick habe ich gerade auf CNN gesehen. Der mächtigste der Mächtigen, Donald Trump, begibt sich in die Hände von Ärzten und wird ein Spitalswesen wie du und ich.

Das nächste Mal schreibe ich im Stehen. Das soll ich nämlich jetzt üben. Ich soll dabei unbedingt auf die richtige Gewichtsverteilung zwischen links und rechts achten. Ich muss die Mitte finden. Wäre auch eine gute Übung für unsere Politiker. Was ich schreibe, weiß ich noch nicht. Wird schon irgendwas sein und wenn ich großes Glück habe, fällt mir sogar was Interessantes ein.

Darf ich bitte nochmals an die Flüchtlingskinder erinnern?

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.


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