Der mit den Wölfen tanzt

Loge 17 ist die Kolumne von Harry Bergmann. In Nummer 4 geht es um ein bisserl rechtsrechts-extreme und super integrierte Graue Wölfe, aber vor allem darum, was eigentlich ein "Überstürzter Neumann" ist.

Harry Bergmann
am 09.07.2020

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„Das geht so nicht weiter!“, dachte ich mir unlängst. „Ich muss endlich auch was für die Kultur tun!“

Eine Präsidentin in Salzburg riskiert sogar das Leben von Tausenden, um Festspiele auf und über die Bühne zu bringen, und ich sitze in der Loge 17, schaue täglich auf das Burgtheater und unternehme nichts. Aber was könnte ich tun, grübelte ich, und mein Blick versank im Schaum der Melange, die vor mir auf meinem Bürotisch stand.

Na klar, das ist es! Ich werde mich für die Verbreitung der Kaffeekultur einsetzen.

Sie brauchen gar nicht so gelangweilt gähnen, nur weil sie glauben – als gelernte Wienerin oder gelernter Wiener – alles über Kaffee zu wissen.

Also: Was ist ein „Überstürzter Neumann“? Ja, sie haben richtig gelesen, „Überstürzter Neumann“ !

Ich gebe Ihnen ein wenig Zeit zum Nachdenken und löse in der Zwischenzeit eine Ankündigung aus der vorletzten Kolumne ein. Es geht um nicht weniger als die Analyse der geopolitische Bedeutung von Loge 17.

Die Loge ist das Epizentrum der Macht. Im Umkreis von ungefähr 500 Meter befinden sich das Parlament, das Rathaus, das Bundeskanzleramt, die Präsidentschaftskanzlei, das Außenministerium, das Ministerium für Bildung und Wissenschaft, von diversen Parteizentralen ganz zu schweigen.

Deshalb – und nur deshalb – kann ich so äquidistante Kommentare über die Insassen dieser Gebäude machen.

Halt, da kommt gerade jemand herein, den ich vom Bundeskanzleramt kenne. Sehe ihn hier zum ersten Mal. Der vertrauten Begrüßung durch die Ober nach zu schließen, dürfte er aber ein Stammgast sein.

Apropos Ober: man erkennt wieder jedes Detail ihres Mienenspiels. Sie müssen nämlich nicht mehr ihre Plastik-Visiere tragen. Ich hatte mich ehrlich gesagt schon daran gewöhnt und nahm sie als Teil ihrer Physiognomie wahr. Augen, Nase, Mund, Lippen, Visier. Ich habe eher jetzt Schwierigkeiten, sie ohne Visier wiederzuerkennen.

Aber zurück zu dem Herrn aus dem Bundeskanzleramt. Jenem Bundeskanzleramt, wo einige Tage zuvor die Grauen Wölfe zu Gast waren. Die sind schon ein bisserl rechtsrechts-extrem, aber das inkommodierte die Gastgeber keineswegs. Diese Grauen Wölfe – ich persönlich finde den Namen ja unpassend aggressiv für einen türkischen „Club der toten Dichter“ (ein Film Anfang der 90er Jahre, wo es um einen Club ging, dessen Mitglieder sich heimlich im Wald trafen, um leidenschaftlich über Poesie zu sprechen und die toten Dichter zu würdigen, Graue Wölfe eben) – waren zu einem offenen Gedankenaustausch geladen.

Wien-Favoriten am 26. Juni 2020. – Foto: APA/Georg Hochmuth

Es ging um ein Treffen in Favoriten, das einige Tage vorher stattgefunden hatte, wo sich auch andere türkische Clubs zu einem hitzigen Diskussionsabend eingefunden hatten. Im Bundeskanzleramt fand nun ein Debriefing dieses Abends mit dem Innenminister und der Integrationsministerin statt. Der Innenminister, der ja keine Scheuklappen hat – insbesondere jetzt, wo die Polizeipferde mitsamt ihren Scheuklappen nach Serbien weggaloppiert sind – wollte die türkische Sicht zum Thema Rassismus, Antisemitismus und Antifaschismus kennenlernen. Eigentlich wilderte er da im Bereich von Kanzleramtsministerin Edtstadler, die sich aber noch von ihrem Trauma erholen musste, dass der Tod ihres Opas eigentlich eine Blaupause der Gaskammern in Ausschwitz war.

Die Integrationsministerin war nicht so sehr am Inhalt interessiert, die Grauen Wölfe sind ja eh super integriert. Ihr ging es vor allem um das Studium der türkischen Rhetorik. Rhetorik ist und war immer schon ihre große Passion.

Kaum war dieses ergebnisoffene Gespräch beendet, traten schon wieder jene auf den Plan, denen man es nie recht machen kann. Der Verein gehöre verboten, also nicht der Verein von Nehammer und Raab, sondern die Grauen Wölfe. Die gehören alle eingesperrt! Manche gingen in ihrer Mieselsucht sogar so weit, zu behaupten, dass der Wolfsgruß – ah, ich habe vergessen Ihnen zu erklären, dass die Wölfe auch einen adäquaten Gruß haben – eine geheime Parole sei, um sich Eingang in das Kanzleramt zu verschaffen. Alles natürlich erfunden, erstunken und erlogen.

Was bleibt, ist die traurige Erkenntnis, dass die Lage der Nation eine schiefe ist. Und sie wird täglich schiefer und schiefer. Auch wenn wir ein Volk von geübten Skifahrern (Schieffahrern?) sind, ist mir dabei sehr mulmig zumute. Aber damit bin ich Ihnen ja schon das letzte Mal auf die Nerven gegangen

So, sie hatten genug Zeit, um sich über den „Überstürzten Neumann“ schlau zu machen. Ich verrate es Ihnen: da kommt zuerst Schlagobers in die Tasse und dann wird ein Doppelter Espresso drübergegossen. Natürlich rechtfertigt das in keinster Weise den Namen und daher vermute ich, dass der gute Neumann das Lokal überstürzt verlassen hat, um die Konsumation nicht bezahlen zu müssen. Quasi Zechpreller-Mokka.

Das nächste Mal schreibe ich dann über den Unterschied zwischen einem türkischen und kurdischen Kaffee, oder warum der Begriff „Ausschuss-Ware“ eine neue Bedeutung hat oder über etwas wirklich Interessantes.

Ihr Harry Bergmann


Harry Bergmann. Früher der Nachname von Demner, Merlicek & Bergmann. Jetzt einfach Bergmann. Weiß nach 4 Jahrzehnten ganz genau, was er alles über Werbung noch immer nicht weiß. Hobby-Schreiber. Da weiß er noch viel weniger und findet das gerade deshalb so spannend. Lebt in Wien und Herzlia/Israel.

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