Sperrt die Schulen auf!

Weitergedacht: Der Blog von Barbara Tóth


BARBARA TÓTH

02.04.2020

Foto: Archiv

Es gibt derzeit wirklich einfachere Übungen, als Diskussionen anzuregen, die darauf hinauslaufen, die Corona-„Massnahmen“ in speziellen Bereichen zu lockern. Geschweige denn, sie kritisch zu hinterfragen. Das Krisen-PR-Management der Regierung hat ganze Arbeit geleistet. Wie formulierte es Innenminister Karl Nehammer letztens so zackig? Bürger und Bürgerinnen, die sich nicht an die „Maßnahmen halte, seien „Lebensgefährder“, die von Polizistinnen „zur Ordnung gerufen und daran erinnert werden müssen, dass sie dafür verantwortlich sind, ob Menschen überleben oder sterben“. Und Experten, die die Strategie der Regierung anzweifeln, wurden am Montag dieser Woche von Bundeskanzler Sebastian Kurz als „Verharmloser“ abgekanzelt. So tönt eine Regierung, die das Volk mehr als Untertanen denn als mündige Bürgerinnen versteht.

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Zu fordern, dass Schulen nach Ostern keinesfalls weiter de facto geschlossen bleiben dürfen, weil ohne Unterricht, wirkt dann schnell wie Hochverrat. Wie kann man nur, im Ausnahmezustand, überhaupt darüber nachdenken, dass Kinder und Jugendliche wieder in Schulen unterrichtet werden sollen?

So denkt offenbar auch Bundeskanzler Kurz, der Bildungsminister Heinz Faßmann nach Recherchen des Falter schon letzte Woche angewiesen hat, eine Fortführung des digitalen Unterrichts bis Mitte Mai, am liebsten aber bis Schulschluss vorzubereiten. Faßmann hält noch wacker dagegen und argumentiert, wie etwa am Donnerstag im Standard, für ein vorsichtiges, langsames Hochfahren der Schulen, etwa im Schichtbetrieb, vor- wie nachmittags und vor allem für jene Schüler, die vor der Matura oder dem Wechsel in eine weiterführende Ausbildung stehen. Sie stünden vor „ganz wesentlichen biografischen Entwicklungen“, die lassen sich nicht einfach um ein paar Monate verschieben.

Das Bildungsministerium denkt dabei aber auch an all jene Kinder, die keinen Laptop, ja nicht einmal einen ruhigen Ort zum Lernen zu Hause haben, deren Eltern nicht gut genug Deutsch sprechen, um ihnen zu helfen, die vielleicht tagsüber ihre Geschwister beaufsichtigen müssen statt zu lernen. Sie fielen in den nächsten Monaten ganz weit zurück. Ihnen hälfe schon ein täglicher „Boxenstopp“ mit ihren Lehrern, wie ihn Ex-Neos Chef Matthias Strolz fordert.

Um „ganz wesentliche biografische Entwicklungen“ geht es aber auch in den Familien der betroffenen Schüler. Wenn die Schulen nach Ostern nicht schrittweise wieder Unterricht anbieten, heisst das für Familien: heiter weiter in der neuen Normalität, die sich für viele Paare, die zuvor in einer gleichberechtigten Partnerschaft lebten, schon in der Corona-Woche 3 wie die Rückkehr ins Biedermeier der Nachkriegszeit anfühlt.

Was sich jetzt einschleift, könnte Folgen haben. Knapp 48 Prozent aller Frauen arbeiten Teilzeit, Aber nur 10 Prozent der Männer. Wer übernimmt da wohl bis September das Home-Schooling, neben Haushalt, Kinderaufsicht und Kümmern um andere Angehörige? Eher die Frau als der Mann. Denken wir uns die explodierende Arbeitslosigkeit und eine drohende Depression dazu. Wer kommt am Arbeitsmarkt stärker unter Druck? 

Krisenzeiten stärken klassische Rollenmodelle und sind aus diesem Grund für Frauen immer besonders gefährlich. Werden solche feministischen Argumente in den Krisenstäben diskutiert? Gibt es einen Promotor, eine Promotorin für Gleichberechtigung in der Regierung? Die Frauenministerin, nach eigenen Angaben dezidiert keine „Feministin,“ ist es nicht. Die Gefahr ist deshalb groß, dass beim „Wiederhochfahren“ Österreichs nach Ostern eine Öffnung der Geschäfte einer Öffnung der Schulen vorgezogen wird.

Vom Eindämmungs-Effekt her macht es übrigens keinen Unterschied, ob nach Ostern zuerst Schulen und dann Geschäfte ab Anfang Mai oder umgekehrt öffnen. In beiden Fällen reduzieren sich die Freizeitkontakte um den gleichen Wert, am wichtigsten bleibt, Abstand zu halten und die Vulnerablen zu schützen. Aber Kinder haben keine starke Lobby, Frauen ebenfalls nicht, die Wirtschaft hingegen schon. 

Im Bildungsministerium hat man ursprünglich damit gerechnet, dass etwa zehn Prozent der Schüler in den Klassen bleiben werden, weil ihre Eltern in „systemrelevanten“ Berufen arbeiten (Polizisten, Pflege, Ärzte, Lebensmittelversorgung) oder sie als Alleinerziehende oder ohne familiäres Betreuungsnetz keine andere Wahl haben. Großeltern sind schließlich gefährdet und sollten sich bis in den Herbst ganz sicher nicht um ihre Enkelinnen und Enkel kümmern.

Tatsächlich sind es aber weniger als ein Prozent, die derzeit das Betreuungsangebot der Schulen nutzen. Österreichs Eltern waren also echte „Over-Achiever“, sie haben in einer unglaublichen Kraftanstrengung den Ausfall von Kindergrippen, Kindergärten und Schulen kompensiert. Sie haben das im Glauben gemacht, sich irgendwie bis nach Ostern rüber hanteln zu müssen. Jetzt sind viele inzwischen so verängstigt, dass sie ihre Kinder nach Ostern erst gar nicht in die Schule schicken würden, selbst wenn es dort wieder Unterricht auf freiwilliger Basis gäbe.

Mitschuld an dieser Verunsicherung ist genau jene „Todes-Rhetorik“, die das Krisen-PR-Management Kurz von Anfang an dominiert. Das ist wirklich gefährdend. Im Allgemeinen für die Debattenkultur im Land, im konkreten für alle Kinder, denen nicht nur der Unterricht, sondern auch die Schule als sozialer Ort, als zweites Zuhause und als Chancen-Geberin fehlt.