Zwei Ringparabeln aus unseren Tagen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1010

Armin Thurnher
am 12.05.2023

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Auf meinen Bericht vom Leipzig-Besuch hin erhielt ich einen wunderbaren Brief von Egon Christian Leitner, dem Grazer Schriftsteller, der hier schon das eine oder andere Mal gewürdigt wurde. Er erzählte mir eine Geschichte, die mich an eine selbst erlebte ähnliche und doch ganz andere Ringfindungsgeschichte erinnerte. Aber zuerst die vom Leitner:


»Bei der Hinfahrt nach Leipzig habe ich auf einem kleinen Autobahnparkplatz in der Nähe von, ich glaub, Passau (Deggendorf) meinen Verlobungsring verloren. Wusste aber zeitlich und örtlich nicht mehr auf welchem Parkplatz. Konnte erst am übernächsten Tag den richtigen Parkplatz ausfindig machen, hab mit einem Freund zusammen dort fast eine Stunde vergeblich gesucht. Von daheim dann hab ich die Autobahnmeisterei anzurufen versucht, die hatte aber erst Tage später, am 2. Mai, wieder Dienst. Hab mich dann zur Autobahnpolizei durchgefragt. Die bei der Meisterei und bei der Polizei waren aufgewühlt und hilfsbereit. Ich hab zuerst gemeint, am Telefon die Frauen seien sentimental, aber die Männer waren noch viel aufgeregter; ich würde sogar meinen, verzweifelt: Die Polizisten sagten, bei ihnen werde nie etwas abgegeben; was verloren gegangen sei, sei unwiederbringlich. Wunder ausgeschlossen. Aber sie würden so bald wie möglich auf dem Parkplatz suchen. Die hatten eine Fahndung wegen eines Tankstellenüberfalls, nachher sind die wirklich auf den Parkplatz gefahren. Und 2 Stunden nach meinem Anruf hat mich ein Polizist angerufen, er habe den Ring gerade eben gefunden, zu zweit haben die gesucht. Und das war fast eine Woche, nachdem ich ihn verloren hatte. Und der lag am linken(!) Straßenrand im Grünen, und zwar so, dass er von keinem LKW kaputtgefahren und von keinem ausgestiegenen Fahrer gesehen wurde. So ein Glück hab ich gehabt. Und den Ring haben sie mir nicht einmal eingeschrieben geschickt, war bloß ein Kuvert mit Adresse, trotzdem angekommen. Und zwischendurch hat mich ein Polizist nervös angerufen, eben weil die den Ring nicht eingeschrieben aufgegeben haben. Und ein paar Tage später noch einmal, ob ich ihn wohl bekommen habe. Die haben sich selber so gefreut. Die Polizistinnen wie die Polizisten. Als ob’s um ihre eigenen Ringe und Ehen und Lieben ginge. Ich trag übrigens meinen Verlobungsring seit 26 Jahren und meinen Ehering seit 25, beide eben, sicherheitshalber. Das hab ich aber der Polizei nicht erzählt, zumal ich ja wirklich beide Ringe brauche; hab halt den Verlobungsring gleich als Ehering ausgegeben (nach 37 Jahren Zusammensein). Dieses happy end wollt ich Ihnen berichten. Freilich auch in der Absicht, ob Sie’s irgendwie weitererzählen möchten. Die Verkehrspolizeiinspektion Deggendorf wars. Polizei Freund und Helfer hat da gestimmt wie nur was.«


Da fiel mir ein, was mir einmal mit einem Ring widerfahren war. Meine damalige Freundin und spätere Frau Irena Rosc hatte mir einen Ring geschenkt, wie er zu Kaisers und Krieges Zeiten üblich war. Menschen hatten im Ersten Weltkrieg ihr Gold abzuliefern, um die Kriegskassa der Habsburger zu füllen. Sie erhielten für die abgegebenen Goldringe solche aus Eisen, graviert mit der Parole „Gold gab ich für Eisen“, die über der ganzen martialischen Aktion stand und auch die eisern bellizistische Gesinnung ausdrückte, deren es in Kriegszeiten immer bedarf.

Noch mehr bedarf es in Kriegszeiten aber der Schlaucherln, die so tun, als dächten sie nur an das allgemeine Wohl, aber in Wahrheit nur an sich denken.

Foto: Dorotheum

Solche gaben ihren Goldring nicht dem Kaiser, sondern dem Juwelier, der ihn mit einer eisernen Hülle überzog, auf der die erwähnte Parole stand. Zumindest malte ich mir das so aus. Das ringtragende Schlaucherl zeigte nach außen seine scheinbar patriotische Opfergesinnung, opferte aber nichts und kam sich schlauer vor als die anderen.

Einen solchen Ring, innen Gold, außen Eisen, hatte Irena mir geschenkt, und ich hatte ihn verloren. Eine Zeit später bekamen wir unser neues altes Haus, Irena kam von Wien allein an und sah bei ihrer Ankunft ein Reh, das sie lange anblickte und zu locken schien. Geh in den Garten, schien es ihr sagen zu wollen, und so ging sie in den Garten, obwohl sie dort nichts zu tun hatte. Richtete den Blick auf ein Beet, und dort lag der Ring. Innen Gold, außen die Aufschrift „Gold gab ich für Eisen“. War es der, den ich verloren hatte? Ein anderer? Hatte ihn eine Elster gestohlen, kilometerweit fortgetragen und in unserem neuen Gärtchen fallen lassen?


Zwei Ringparabeln. Die eine sagt: Hilfe wider alle Hilflosigkeit gibt’s manchmal doch. Deshalb: die Hoffnung niemals aufgeben, und die Hilfe niemals unterlassen! Und die zweite: wir verstehen viel, aber viel weniger als wir meinen. Zeit gab ich für Gedächtnis. Was innen golden zu glänzen scheint, sieht nach außen aus, als wär’s bloß Eisen. Oder auch: was bloß Blech zu sein scheint, hat oft einen wertvollen Kern. Oder schlicht: was weiß ein Fremder.


Im Übrigen bin ich der Meinung, man muss die Wiener Zeitung vor der Regierung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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