Ein Sonnensonntag in Leipzig

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1002

Armin Thurnher
am 02.05.2023

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Leipzig im Sonnenschein verlassen. Den Koffer über den gepflasterten Augustusplatz hinübergerollt, während die Glocke auf dem Kroch-Hochhaus scheppernd die Viertelstunde schlug, noch einmal die Aufschrift genossen „OMNIA VINCIT LABOR“, das war der Sozialismus, dachte ich, aber es war die Idee des Bankiers, der das Haus in den 1920ern erbaut hatte, während von Sozialismus an diesem Montag nichts zu spüren war, der Erste Mai fand woanders statt, hier ist man sowieso sozialismusmüde.

Im Hotel beim Frühstück versprengte Reste der Buchmessenbesatzungen, aber auch des Riesenteams von Helene Fischer, die hier wohnte, angeblich samt der Protagonistin, die man, mutmaßten andere Protagonistinnen beim Frühstück, nicht erkennen würde, käme sie uns nicht halbnackt und in Leder entgegen, sondern ohne Makeup im normalen Frühstückskostüm aus Kater, Melancholie und Pflicht. Der Tross von Helene Fischer ist so groß, dass sie es vorzog, in Leipzig einen fünftägigen Showblock abzuhalten, es wäre zu teuer, sich von Stadt zu Stadt zu bewegen. Kommt Helene nicht zu den Fans, müssen die Fans zu Helene kommen. Die Show soll sagenhaft sein, mit Trapezkünsten und allem eine Art Pop-Zirkus. OMNIA VINCIT POPSTAR.


Gern denke ich an das Gespräch mit Lothar Müller über mein Buch Anstandslos. Es ist nun das fünfte öffentliche Gespräch in kurzer Folge, das ich führen durfte, und ich bin für jedes dankbar. Dieses berührte die politischen Grundfragen aus nicht-österreichischer Sicht, was mir sehr recht war. Ich durfte erklären, was josephinische Beamte sind und warum ich für das Kurz-Äralein auch das Wort Neobarock verwendet habe. Was die österreichisch schwürkise Wendung für Europa bedeutet, wohin die Verniederösterreicherung führt und warum unser Ländlein bei Gegenreformationen, wie immer lächerlich, stets vorn dabei ist. Lothar Müller fragte ernsthaft, aber nicht ohne Ironie, mit kenntnisreichem Interesse an Österreich, aber fern jedes Austroexotismus.


Ich hätte am Samstag kommen und wieder gehen können, aber ich blieb noch am Sonntag. Zu viele Versprechen in dieser Stadt, zumindest ein paar wollte ich für mich einlösen. Bach im Bachmuseum, zu Fuß von der Thomas- in die Nikolaikirche gehen, nirgends eine Musik von ihm hören (außer naturgemäß im Museum vom  Tonband).

Tapetenstücke aus den demolierten Häusern der Bach- und der Bose-Familie, die man gerettet hatte und nun ausstellt wie ein Stück Fresko aus einer verschütteten Stadt. Die Platte des Bachgrabs in der Thomaskirche, wo seine Kantaten und Passionen aufgeführt wurden, die Leichenkleidschnalle und der Fingerhut aus dem Grab auf dem stillen Johannisfriedhof, wo man Bach samt Frau exhumierte, um ihn in der Thomaskirche zu bestatten. Und der berührende Zusatz, 1945 sei der goldene Ring, den man ebenfalls im Grab fand, gestohlen worden.

In der Nikolaikirche hoffte ich auf eine Messe mit Bach. Es war aber eine Konfirmationsfeier mit zeitgenössischen Gesängen, der Pfarrer predigte, verkleidet als Wanderer im karierten Hemd mit Rucksack, über die Bedeutung des Kompasses. Da wanderte ich hinaus.


Erinnerung an die Partie nach Mürren (Eiger, Mönch, Jungfrau), Aquarell von Felix Mendelssohn Bartholdy, gemalt 1847

Das schönste Denkmal ist das Mendelssohn-Haus, weil es noch als ganzes erhalten ist. Was wir dem Dirigenten Kurt Masur verdanken, einer eindrucksvollen Künstlergestalt, die auch 1989 ihren Stempel aufdrückte, als er das Gewandhaus protestierenden Straßensängern öffnete und sie so vor der Brutalität der Polizei schützte. Masur ist in ein paar Räumen des Hauses eine eigene kleine Ausstellung gewidmet.

Mendelssohns Aquarelle zeigen den Umfang seiner Fähigkeiten und die Möglichkeiten einer umfassenden humanistischen Erziehung; er war nicht nur Klaviervirtuose, Dirigent, Komponist, Pädagoge und Forscher. Früh erhielt der Hochbegabte Zeichenunterricht. Seine Zeichnungen und Bilder von der Reise in die Schweiz halten durchaus das Niveau der zeitgenössischen Kunst. Dass er Bach in Leipzig wiederentdecken musste, und seine Renaissance einleitete, indem er die Matthäuspassion wieder aufführte, ist bekannt.

Die Ausstellung zeigt rekonstruierte Zimmer der Familie Mendelssohn (bis auf die Küche, die leider, nur Rezepte, z.B. für Dampfnudel, die Mendelssohn liebte, zum Abreißen bietet). Aber sie widmet eine große Abteilung Mendelssohns Frau Cécile und seiner Schwester Fanny Mendelssohn-Hensel, deren Bedeutung für das Berliner Musikleben der Zeit nicht überschätzt werden kann.

Das Schumann-Haus in der Inselstraße ist vergleichsweise arm an Originalgegenständen und reich an pädagogischen Filmchen und Installationen, auf die ich gut verzichten hätte können. Dass das Hauptgewicht auf Clara Wieck-Schumann liegt, ist hingegen verständlich, wird diese bedeutendste Pianistin ihrer Zeit doch längst wieder als Komponistin anerkannt und geschätzt. Ich dachte wehmütig an die Zeit, in der ich mit Freunden ihr g-Moll-Trio spielen durfte und bewunderte den Abguss ihrer großen Hand, deren Spannweite ihr pädagogischer Vater mit Hilfe von Instrumenten dehnte. Bei ihr ging’s gut, Claras Mann Robert verdarb sich mit so etwas den Ringfinger und musste seine Ambitionen auf eine Pianistenkarriere begraben.


Der Zug nach München kam pünktlich aus Berlin, lief pünktlich in München ein und ermöglichte es mir, meinen Anschlusszug problemlos zu erreichen. Ich war irritiert und erst wieder erleichtert, als dieser mit 20 Minuten Verspätung in Bregenz eintraf.


Im Übrigen bin ich der Meinung, man muss die Wiener Zeitung vor der Regierung retten.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll. Ihr Armin Thurnher

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