Die Vergraslung der Verniederösterreicherung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 964

Armin Thurnher
am 14.03.2023

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Etwas verzagt, aber auch erfreut beginne ich heute. Verzagt wegen einer Publikationspanne. Gestern wurde eine wenig korrigierte Version dieser Kolumne veröffentlicht. Ich übernehme, um den Kärntner Landeshauptmann zu zitieren, dafür die volle Verantwortung. On second thought: Irgendwas muss schuld sein, denn ich habe die Korrekturen vorgenommen. Vielleicht habe ich vergessen, auf „Aktualisieren“ zu drücken? Unwahrscheinlich, da ich mir in Ermangelung eines Lektorats die Kolumne stets im Voransicht-Modus ansehe.

Wie auch immer, ich nehme die Schuld auf mich, oder nein, ich nehme die Verantwortung auf mich. Von Schuld sprechen wir später. Nicht in der Kolumne, im Leben.

Erfreut bin ich, weil Gary Lineker sich gegen die BBC durchgesetzt hat. Den Fall hatte ich gestern hier zuammengefasst, und dabei war auch stehengeblieben, dass Lineker selbst frohgemut behauptet hatte, er werde weiter auf Sendung bleiben. Das hatte ich herausgestrichen, da dieser Tweet schon vom 9. März stammte. Da es trotzdem stehenblieb, wurde es wahr. So kann es gehen. Dass etwas nicht stimmte, haben Sie vielleicht auch daran bemerkt, dass dem Newsletter kein Bild beigefügt war, obwohl ich doch meinte, eines beigefügt zu haben. Aber ich übernehme wie gesagt alles außer der Rechnung.


Mehr Freude: Lineker zeigt Stil. Er rückte nicht von seiner Kritik an der Immigrationspolitik der englischen Tories ab. Als er wiedereingesetzt wurde, bedankte er sich für die Solidarität seiner Kommentatorenkollegen und des gesamten BBC-Sportteams und sprache klare Worte. Hier der Text, den er twitterte:

„Nach ein paar unwirklichen Tagen bin ich sehr froh, dass wir einen Weg gefunden haben, diese Situation zu überwinden. Ich möchte Ihnen allen für die unglaubliche Unterstützung danken, insbesondere meinen Kollegen von BBC Sport für die bemerkenswerte Solidaritätsbekundung. Fußball ist ein Mannschaftssport, aber ihre Unterstützung war überwältigend.

Ich moderiere seit fast drei Jahrzehnten Sport bei der BBC und bin unermesslich stolz darauf, für den besten und fairsten Sender der Welt zu arbeiten. Ich kann es kaum erwarten, am Samstag wieder auf dem MOTD (Match of the Day, Anm)-Stuhl zu sitzen.

Ein letzter Gedanke: So schwierig die letzten Tage auch waren, es ist nichts im Vergleich dazu, wenn man vor Verfolgung oder Krieg aus seiner Heimat fliehen und in einem fernen Land Zuflucht suchen muss. Es ist herzerwärmend, das Mitgefühl von so vielen von Ihnen für solche Notlagen zu sehen.

Wir bleiben ein Land mit überwiegend toleranten, gastfreundlichen und großzügigen Menschen. Ich danke Ihnen. “


Mehr Verzagen: Der Mut im ORF und in der Medienpolitik, wo ist er? Wie dort allseits an der schwürkisen Porpagandawalze mitgedreht wird (na gut, fast allseits), das kann einem das Grün ins Gesicht treiben. Schwürkis ist nur ein Wort-Zeichen dafür, dass ich nach Adjektiva für diese Veranstaltung suche; unter Kurz-Strache hatte ich das Wort „türkischblau“, das für ein besonders tiefes Tiefblau steht. Betrachte ich den Himmel über Sankt Pölten, kommen mir zwei Gedanken: Erstens, dass der Himmel vielleicht doch die Polit-Hölle ist. Und zweitens, dass ich mein Türkischblau bald wieder aus der Kiste holen kann.

Was den ORF betrifft, schreitet seine Verniederösterreichung fort. Als sichtbares Zeichen erscheint Richard Grasl immer wieder in Diskussionssendungen. Diesfalls, im Zentrum, figurierte er als stellvertretender Kurier-Chefredakteur, obwohl er doch auch Geschäftsführer des Profil ist. Solche Kinkerlitzchen wurden einst bei Profil mit einem Streik beantwortet, als es um Peter Rabl ging, einen – verglichen mit Grasl – journalistischen Titanen.

Aber nun sitzt der Herr Grasl im Fernsehen und macht ÖVP-Propaganda der frechsten Sorte, während er zugleich in Interviews beteuert: „Ich fühle mich niemandem verpflichtet. Außer der Wahrheit und der Sachlichkeit“. Kürzlich hatte er nach einem breit publizierten Nobelitaliener-Luncherl mit Sebastian Kurz die großartige Idee, den Führungsstreit in der SPÖ mit dessen Putsch- und Meuchelplan „Projekt Ballhausplatz“ gleichzusetzen.

Die Moderatorin fragte Grasl: „Ihr Thesensatz lautete eben also, das, was sich bei der SPÖ abspielt, dagegen war das Ballhausprojekt von Sebastian Kurz ein Kindergeburtstag, inwiefern?“ Und Grasl antwortete: „Zum einen ist es gut vergleichbar, weil wenn ich mich erinnere, die Zeit 2016, da war der Reinhold Mitterlehner Parteichef, der war von einigen Flügeln in der Partei gelitten, aber die ÖVP hat gewusst mit dem werden wir wahrscheinlich keine Wahl gewinnen gegen einen Christian Kern und es gab einen jungen Angreifer, den Sebastian Kurz, der mit vielen Methoden, auch mit Umfragen, die in die Öffentlichkeit gespielt wurden, dass die ÖVP mit ihm besser abschneiden würde als mit Mitterlehner. Also das erinnert irgendwie sehr daran. Es wurde allerdings nicht so auf offener Bühne ausgetragen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Mitterlehner oder Kurz (…) von Heckenschützen, von schmutzige Methoden (geredet haben, Anm.), der Landeshauptmann bedroht (…) Funktionäre und Mandatare …“

Prima! Mitterlehner und Kurz haben mit offenem Visier miteinander gekämpft, allerdings, ohne zu lärmen. Irgendwie wurden zwar Umfragen in die Öffentlichkeit gespielt, aber es ging doch recht sauber und proper zu. Anders als bei der SPÖ.

Die Wahrheit und die Sachlichkeit können da nicht klagen. Alles Fleisch es ist wie Grasl und alle Wahrheit verdorrt wie Gras, während das Grasl in der schwürkisen Sonne glänzt.

Niemand lachte ihn aus „Im Zentrum“, die Urteilsfähigkeit wird im ORF zunehmend mehr vom Pförtner draußengehalten, und dass es außer Schwarz-Blau auch andere Regierungskoalitionen geben könnte, widerspricht der Wahrscheinlichkeit, der Sachdienlichkeit und dem Fesser Filzmaier.


Ein bisschen Freude noch zum Schluss: Ludwig Hartinger, dessen schönen neuen Lyrikband ich hier vor kurzem unter regem Zuspruch des Publikums empfehlen durfte, liest heute Abend in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur gemeinsam Cvetka Lipuš: 19:00, Herrengasse 5, 1010 Wien


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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