Mir wern kan Lineker brauchen!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 963

Armin Thurnher
am 13.03.2023

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Gary Lineker auf der Website des Guardian Sonntag Abend Screenshot © The Guardian

Gary Lineker war ein englischer Mittelstürmer der feinen Art. In seiner 16 Jahre dauernden Profi-Karriere erhielt er weder eine gelbe noch eine rote Karte, wobei er für Spitzenclubs wie Leicester, Everton, Barcelona, Tottenham antrat, mit 80 Länderspielen und 48 Toren einer der erfolgreichsten Spieler war, 1986 er mit sechs Toren Schützenkönig der Fußball-Weltmeisterschaft.

Später wurde er Sportmoderator bei der BBC. Auch in den Social Media glänzte er mit Bonmots; das Wort vom Fußball, das ein Spiel für 22 Leute sei, das am Ende die Deutschen gewinnen, kennt jeder. Schon sein Twitter-Motto zeigt, dass hier ein witziger Bursche am Werk ist, der über trockenen britischen Humor verfügt (wenn man einen 63-jährigen einen Burschen nennen darf): „Once kicked a ball about. Now talk about kicking a ball about.“

Linekers Samstagsendung „Match oft the Day (MOTD)“  ist die populärste Sportsendung der BBC in England. Kürzlich setzte Lineker einen Tweet ab, in dem er der englischen Innenministerin Suella Braverman Methoden attestierte, die an die 1920er und 1930er Jahr erinnerten. Braverman hatte gefordert, Menschenrechte für in Großbritannien ankommende Bootsflüchtlinge auszusetzen. Lineker machte außerdem darauf aufmerksam, dass die Zahlen dieser Immigranten vergleichsweise vor allem im Verhältnis zum Propagandaaufwand gering seien (die Zeit im Bild 1 von gestern stellte das freilich anders dar: ein riesiges Immigrationsproblem von in Schlauchbooten über den Kanal kommenden Immigranten).

Zwar hat Lineker die ausdrückliche Zusicherung der BBC, dass sein Twitter-Account seine Privatsache ist, dennoch sah die BBC-Führung mit diesem Tweet Linekers eine rote Linie überschritten und suspendierte ihn. Die BBC-Chefs hatten nicht mit den Reaktionen gerechnet: Linekers permanente Diskussionspartner Ian Wright und Alan Shearer, wie er ebenfalls prominente Ex-Starfußballer, verweigerten die Teilnahme an der Sendung aus Solidarität mit Lineker. Die Fußballergewerkschaft schloss sich an, ihre Mitglieder verweigerten Interviews, sodass die BBC am Wochenende keine MOTD-Sendung zusammenbrachte und nur einen dünnen 20 Minuten langen Ersatz sendete.

Der Senderchef entschuldigte sich, Premier Rishi Sunak wies in all seiner Aalglätte darauf hin, es handle sich um eine Gelegenheit der BBC, er hoffe, das werde sie regeln können. Die Regierung habe nichts mit der Sache zu tun, aber ihre Flüchtlingspolitik sei in Ordnung.

Dennoch wurde die Sache zum öffentlichen Fanal. Empörte Lineker-Fans hielten der BBC entgegen, dass sie Parteinahmen von konservativen Mitarbeitern geduldet hatten, die zum Beispiel aufforderten, Labour-Chef Jeremy Corbyn nicht zu wählen, weil der Kommunist sei. Unversehens wurde zum Thema, dass die Regierung die BBC in ihrem konservativen Griff hat; konservativen Tabloids wiederum haben den Zensurversuch an Lineker zum Thema gemacht, um von der fatalen Idee der Regierung abzulenken, die Menschenrechte abzustufen (was Karl Nehammer in übelster Sebastian-Kurz-Manier ebenfalls versucht).

Anhänger Linekers wiesen darauf hin, dass hier wieder einmal die Tote-Katzen-Methode angewendet wurde, die hierzulande Gerald Fleischmann perfektioniert, Chef-Katzenmetzger im Dienste der ÖVP.

Mittlerweile dürfte sich die Sache zwar nicht beruhigt, aber gelöst haben, denn auf Twitter war zu lesen, dass Gary Lineker sich darauf freut, nächsten Samstag wieder MOTD zu moderieren. Die BBC konnte den Konflikt nicht gewinnen; zu wichtig ist ihr Linekers Popularität, ein Privatsender hätte ihn gewisse gern genommen, was für die BBC nicht nur ruinös gewesen wäre, sondern auch ihre eigene verlorene Reputation noch stärker ins Blickfeld gerückt hätte.

*

Nicht die Ausländerpolitik der Regierung war das Thema, sondern die Meinung eines Fußballmoderators auf Twitter. „World’s gone mad“, kommentierte Lineker. Da kann sich Armin Wolf noch was abschauen, wenngleich seine Tweets, soweit ich sie überblicke, ja ohnehin voll gemäßigt und total rundfunkgesetztauglich sind.

Wäre es vorstellbar, dass, sagen wir Oliver Polzer Karl Nehammer einen Tote-Katzen-Jongleur nennt oder Kristina Inhof gegen die frauenfeindliche Politik der Frauenministerin Susanne Raab ausreitet? Da haben wir schon das ganze ORF-Dilemma.

Seit Boris Johnson und Sebastian Kurz, diesen Brüdern in Wahrheitsliebe, inspirieren die englischen Konservativen die unseren. Sie sind origineller und deutlich beredter, aber das hindert unsere nicht an Nachahmungsversuchen. Sowohl die von der ÖVP angepeilte kickloide Flüchtlingspolitik als auch den Zugriff auf den ORF haben ihnen die Tories vorgemacht. Nur dass es unseren hiesigen Nachbildern an Saft und Originalität mangelt. Der Weg zur Austro-Medienhölle ist gepflastert mit laffen Erscheinungen. Ein Königreich für einen Lineker!

Ein Königreich für einen Lineker!


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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