Heute ist Hitlerhaus-Tag: Rabinovici, Ackerl, Renoldner zum Thema

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 720

Armin Thurnher
am 04.05.2022

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Hitlerhaus in Braunau, Foto Thomas Ledl Wikipedia

Nach meinen Bemerkungen zu dieser Sache schrieb mir Doron Rabinovici. Nachdem ich ankündigte, seinen Brief zu veröffentlichen und dies Andreas Maislinger erzählte, den ich zufällig in Innsbruck traf, schrieben mir auch der ehemalige oberösterreichische Landesrat Josef Ackerl (SPÖ) und die Leserin Christa Renoldner aus Salzburg zum Thema.

Mir, der ich für ein Haus der Hitler-Komik, für ein Haus der Unvernunft plädiert hatte, scheint diese Causa exemplarisch für den Satz „Wie man’s macht, macht man’s falsch“ zu sein – eine bessere Voraussetzung für eine Debatte kann ich mir nicht vorstellen. Sie wogt zwar schon länger hin und her, aber entschieden ist sie nicht. Also greifen wir hiermit einmal ein.

Zuerst der Brief von Doron Rabinovici:


Lieber Armin,

ich stimme mit Andreas Maislinger in Bezug auf Hitlers Geburtshaus nicht überein. Es wäre fatal, aus Braunau ein Walhalla des Antifaschismus zu machen und es ist ein vollkommen falsch verstandener Antinazismus, dem Geburtshaus dieses Massenmörders eine eigene Museumsstätte oder Einrichtung zu widmen. Hier kommt ein Antifaschismus  zum Vorschein, der dem Diskurs der nazistischen Ideologie in die Falle geht.

Die Idee, das Haus in Braunau einen besonderen Sinn zu verleihen, könnte abstruser nicht sein. Nicht nur, weil nicht einmal sichergestellt ist, ob Hitler hier wirklich geboren wurde. Das Problem ist prinzipieller. Gedacht muss nicht des Geburtsortes von Hitler werden, sondern der Stätten seiner Verbrechen. Dort ist es, wo Antinazis sich versammeln. Geburtsstätten besuchen wir bei Menschen, die wir ehren und achten. Wir erinnern uns jedes Hauses, indem Mozart ein paar Tage verbrachte und der Bank, auf der Sigmund Freud gerne am Rande Wiens saß, um von hier aus die Stadt zu überblicken. (Freud hätte sicher einige ironische Gedanken zu diesen Gedenkpraktiken…)

Hitlers Geburtshaus ist eine Pilgerstätte der Neonazis, denn sie verehren diesen Verbrecher. Ich hätte nichts dagegen, wenn dieses Haus dem Erdboden gleichgemacht wird. Es ist mir egal. Wichtig ist, dass dieses Haus, von dem wir nicht einmal wissen, ob Adolf Hitler überhaupt darin zur Welt kam, zu einer lächerlichen Kultstätte der Neonazis wurde. Es müsste über diese extremistisch erbärmlichen Aufmärsche eine Dokumentation geben und es bräuchte ein Zeichen des demokratischen Österreichs gegen die Neonazis. Deshalb ist es nur richtig, wenn ein Polizeigebäude des demokratischen Österreich an dieser Stelle steht, denn hier hat die Exekutive ein Wegweisebefehl und ein Versammlungsverbot für Neonazis durchzusetzen. Das wäre zu fordern. Nicht die negative Aufwertung einer Neonazi-Kultstätte durch unsere Seite ist die richtige Reaktion, sondern das Vorgehen gegen die rechtsextreme Agitation.

Lebte ich mit meinem jetzigen Wissen 1944 und ich hätte die Möglichkeit, Hitler zu töten, so müsste ich es wohl versuchen. Auch, wenn ich mit meinem heutigen Wissen 1933 auf Adolf Hitler gestoßen wäre, wäre es richtig gewesen, ihn zu erschießen.

Was aber, wenn ich plötzlich – mit einer Zeitmaschine – in den späten April 1889 versetzt wäre und vor dem Baby stünde, aus dem einmal der Massenmörder Hitler werden sollte, würde ich dann den Säugling ermorden? Würdest Du, Armin, den Neugeborenen erwürgen? Könnte Andreas Maislinger ihn abstechen? Ich hoffe nicht, denn das Kind hat mit unserem Kampf gegen den Nazismus eben nichts zu tun. Es hatte damit nichts zu tun. Das Geburtshaus ist für uns irrelevant und hat es auch zu sein. Das Geburtshaus einem besonderen Sinn zuzumessen, folgt der Logik des Nazismus, folgt dem Glauben an die Vorsehung, der zufolge es biologisch bestimmte Übermenschen gibt und jene, die von Anfang an mit einem Makel behaftet sind, also es auszumerzen gilt. Ich will alles vermeiden, was diesen Eindruck bestärkt.

Mir scheint, Braunau ist für manche zum Mekka ihres Antifaschismus geworden und das Geburtshaus ist ihre Kaaba. Aber dieses Gebäude taugt nicht zum heiligen, schwarzen Stein einer humanistischen Gesinnung.

Es geht hier nicht nur um eine taktische Frage, sondern um eine ideologische Falle, in die wir nicht tappen dürfen. Wenn wir uns der Weltanschauung des Nazismus nicht beugen wollen, dann hat das Geburtshaus Hitlers kein besonderer Ort zu sein. Der Personenkult, der sogar den Säugling anbetet oder dämonisiert, entspricht nicht unserer Logik.

Ich empfehle Dir dazu den späten sowjetisch belarussischen Film „Komm und sieh“ von Elem Klimow – falls Du ihn nicht kennst: die für mich wichtigste cineastische Aufarbeitung des Vernichtungskrieges. In den letzten acht oder neuen Minuten ist hier zu sehen, wie der Hauptprotagonist, das in wenigen Tagen zum Greisen gealterte Soldatenkind, auf ein Hitlerbild zielt und mit jedem Treffer schießt er Hitler zurück in die Vergangenheit, bis er ins Porträt von Klara Hitler mit ihrem Baby Adolf schaut und nicht mehr abdrücken kann.

Noch ein Nachtrag zur Präzisierung:

Die Unsicherheit und der Streit, ob Hitler in diesem Haus überhaupt zur Welt kam, gründet auf den Umstand, dass er entweder im Vorderhaus, das noch steht, oder im Hinterhaus, das längst verschwunden ist, geboren wurde.

Sehr herzlich

Dein Doron


Der ehemalige oberösterreichische Landesrat Josef Ackerl schrieb mir folgendes zum gleichen Thema:

Lieber Herr Thurnher!

In meiner Zeit als Regierungsmitglied bin ich auch für Belange in Braunau zuständig gewesen. So war ich auch mit diesem Geburtshaus von A.H. konfrontiert. Es war darin eine Tagesstätte der Lebenshilfe untergebracht, in teilweise wirklich ungeeigneten Räumen. Ich habe dann darauf hingewirkt, dass diese in einen Neubau verlegt wird.

Man muss sich auch vorstellen, in Hartheim wurden nach der Gesinnung der Nazis Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen ermordet, und im Geburtshaus des Anführers der Mörderbande befand sich nach dem Nationalsozialismus lange Jahre eine Einrichtung für ebensolche Menschen. Es ist kaum zu erfassen, was den Entscheidungsträgern damals eingefallen ist.

Die Mehrheit in Braunau möchte am liebsten nicht mehr mit diesem Haus in Verbindung gebracht werden, das letztlich ein Bethlehem für die Nazis ist.

Es ist also im Gegensatz zu Hartheim keine notwendige Gedenkstätte, sondern ein Wallfahrtsort für Nazis.

Meine Eltern haben ihre letzte Ruhestätte am Pfarrfriedhof in Leonding. Bis vor einigen Jahren gab es dort das Grab von Hitlers Eltern, das auch so eine Wallfahrtsstätte gewesen ist. Ich habe gelegentlich selbst jene Typen gesehen, die aus nah und fern zum Grab pilgerten und Kerzen und Blumen brachten. Andenkenfotos wurden ebenfalls gemacht. Nach langwierigen und schwierigen Diskussionen über den Wert der Totenruhe wurde das Grab, unter Druck auf die Angehörigen, aufgelassen. Diese hatten immer wieder eine Verlängerung finanziert.

Es gab zwar in der Folge immer wieder Besucher, die an diesem nunmehr freien Platz Spuren hinterlassen haben (ich habe selbst mehrmals die Stadt eingeschaltet, um Entfernungen von Kerzen herbeizuführen), aber jetzt dürfte es sich herumgesprochen haben, dass da nichts mehr ist.

Ich bin für den Abbruch des Geburtshauses in Braunau und für einen Platz der Freiheit und des Gedenkens an alle Nazi-Opfer.

Mit freundlichen Grüßen

Josef Ackerl

 

Und zum guten Schluss noch die Stimme der Leserin Christa Renoldner aus Salzburg:


Lieber Armin Thurnher,

ich bin zwar nicht so berühmt wie Andreas Maislinger und der Herr Rabinovici, aber ich mach mir auch meine Gedanken über Hitlers Geburtshaus in Braunau.

Wir haben über 20 Jahre im Bezirk Braunau gelebt. Oft gingen wir vom Parkplatz vor der Stadt an einem Wohnhaus vorbei, auf dem ein Schriftzug zu lesen stand: „Am deutschen Wesen wird unsere Welt genesen“. Erst nach der Renovierung des Hauses, bei der auch dieser Text erneuert wurde, begann sich Widerstand zu regen. Schräg gegenüber steht das sogenannte „Hitler-Haus“. Lange Zeit befand sich darin eine Gruppe der Lebenshilfe OÖ, die nicht ausgezogen wäre, wäre das Haus nicht absolut Rollstuhl-untauglich.

Ich fand es recht passend, dass Menschen mit Behinderung dort sein durften.

Die Diskussion darüber, ob eine Polizeistation oder doch nicht oder eine Gedenkstätte oder doch nicht jetzt dort sein soll, finde ich beschwerlich. Wir müssen uns damit abfinden, dass es keine „unschuldige Lösung“ dafür gibt. Wofür immer wir auch stimmen – harmlos oder bedeutungsschwanger – es wird immer gute Gründe geben, dafür oder dagegen zu sein.

Wir müssen gar nichts, aber wir wären gut beraten, mit diesem Widerspruch zu leben. Ich persönlich hätte auch nichts dagegen, das Haus abzureißen und ein barrierefreies neues zu bauen.

Mit freundlichen Grüßen

Christa Renoldner


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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