Vom Hitlerhaus in Braunau zu besserer Kunst nach Venedig
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 708
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Gestern war Hitlers Geburtstag, und wie jedes Jahr habe ich ihn vergessen. Er fiel mir erst ein, als Amin Wolf auf einen Beitrag Heribert Prantls aufmerksam machte, der wiederum auf eine Anregung des Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger aufmerksam machte, dass dieses Hitlerhaus nicht eine Polizeistation bleiben darf, sondern ein Haus der Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus werden muss. Das ist natürlich richtig, und es zeigte mir die Vergeblichkeit meines Wirkens. Ich stimme prinzipiell Maislinger zu, vor allem seiner Ansicht, man darf sich nicht aus der Geschichte davonstehlen, sondern man muss sich mit seiner Geschichte auseinandersetzen. Sonst holt sie einen umso schneller ein. Ich hatte folgenden Vorschlag gemacht:
»Das Hitler-Haus muss ein Haus der Hitler-Satire werden. Ein Haus der Verantwortungslosigkeit. Filme wie „Schtonk“, Mel Brooks’ „Springtime for Hitler“, Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“, Charlie Chaplins „Great Dictator“ und so weiter laufen in einem kleinen Kinosaal, ja, Jan Böhmermann auch, Titelblätter der Zeitschrift Titanic, Comics, satirische und literarische Verhunzungen des „Führers“ lassen ein ernst eingetretenes Publikum lachend aus dem Haus strömen.
Ein Intendant müsste gefunden werden, der Referenten engagiert, und doch nicht den Rahmen verliert; Hitler-Bezichtiger und Hitler-Beschwichtiger, Nazikeulenschwinger und Hitlerverehrer, Antifa und Kellernazis kommen vor und werden besprochen und sprechen fallweise mit.«
Die idealen Museumsdirektoren, ich dachte an Christoph Schlingensief und Hans Hurch, sterben mir allerdings unter der Hand weg, und das Lachen vergeht mir eh immer mehr. Polizeistation geht aber wirklich überhaupt nicht.
Im Übrigen bin ich jetzt in Venedig gelandet, bei der Biennale, wo eine erstaunliche Disziplin im Tragen von Masken herrscht und die Kunstinteressierten sich zu Vorbesichtigungen in Schlangen anstellen. War zuerst im Arsenale, nicht bei den Länderpavillons in den Giardini. Darf berichten, dass bei der Eröffnung die Schlange der akkreditierten Besucherinnen und Besucher (lauter Journos! Dass es so viele Medien gibt, konnte niemand ahnen) in Dreierreihen fast einen Kilometer lang war, sodass wir gleich den Umweg über einen Ombra machten. Jeder hat in Venedig seinen Geheimtipp, wo nur Einheimische ihr Achtel nehmen und ihr Baccalà-Brötchen, aber ein paar andere Touris haben merkwürdigerweise den Geheimtipp halt auch. Das trägt man mit Fassung und freut sich der Imbisse, fast mehr noch aber dessen, dass man sich in dieser Stadt so gut verirren kann wie in keiner anderen.
Die Schlange im Arsenale war nach unserer ortsüblichen Erfrischung deutlich kürzer, und wir gingen in die Schau, als bestünde kein Andrang. Uns kam vor, als würde die Kunst mit der Welt monströser. Die Welt wird hier umfassend genommen, neuseeländische Transgenderprojekte, indische Panoramabilder von Umweltzerstörung, Feuer, das in einem Heavy Metal-Setting vom Himmel fällt, ein Mann, der in einem Video melodramatisch besingt, wie er seine Familie erschlug und sich selbst umbrachte und was derlei Freuden mehr sind.
Wie erfrischend war es, als der Blick in einem hellen Raum sich an keramischen Alltags-Pornokitsch-Objekten fing. Eine Amerikanerin (Melissa D. Braden) und eine Lettin (Ingüna Skuja) hatten das unter dem Namen „Skuja Braden“ gemeinsam angerichtet , und ihr Humor kam mir inmitten der Last der Welt und der eben durchschrittenen Schwere der Alptraumwelten (Milk of Dreams heißt das Motto der Arsenale-Ausstellung) richtig befreiend vor. Die Objekte – Sadomaso auf dem Handy oder ein Dickpic als Keramik zum Beispiel – waren ebenso witzig wie der Titel: „Selling Water by the River“.
Skuja Braden, die Künstlerinnen im keramischen Selbstporträt Foto © Irena Rosc
Ob es gute Kunst ist, will ich gar nicht sagen. Aber wie es manchmal so kommt, verwickelte ich mich in ein Gespräch mit einer der Künstlerinnen, es war die Kalifornierin, und schon fragte mich die Lettin, ob ich nicht für das lettische Fernsehen ein kleines Interview geben möchte. Natürlich, gern, sagte ich, aber ich bin kein Kunstkritiker. Macht nichts, sagten sie, die sollen zu Hause sehen, dass es jemanden gibt, der unsere Schau gut findet. Zu Hause sehen sie das nämlich anders. Dass im lutherischen Lettland der Pornohumor nicht gerade exzessiv ausgebildet ist, kann ich mir vorstellen. Ich tat mein Bestes, meiner Freude über das Ausgestellte Ausdruck zu verleihen, und schon war unser erster Tag gelaufen. Wir mussten ja noch weiteren Geheimtipps nachgehen.
Yo! Mein erstes Interview fürs lettische Fernsehen Foto: © Irena Rosc
Die Giardini mit den nationalen Pavillons heben wir uns für heute auf. So erspare ich mir ärgerliche Reaktionen auf meinen Vorschlag, zum Gedenken an Hermann Nitsch aus einem Hubschrauber Blut und Därme auf die Austro-Artsie-Fartsies (was natürlich mich selbst inkludiert) abzuladen. Andererseits, wer liest schon die Seuchenkolumne in Venedig!
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher