Die verrückten Corona-Irrtümer der Politik und das Ausbleiben der Normalität

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 683

Armin Thurnher
am 22.03.2022

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Wie sich Viren weiterentwickeln, und warum vieles daran noch nicht durchschaut ist, berichtet Epidemiologe Robert Zangerle. Außerdem handelt er die Irrtümer der Politik ab und staunt über die Health Illiteracy des Bildungsministers. A. T.

»Die Rückkehr zur Normalität haben sich viele anders vorgestellt. Ausgerechnet jetzt, da rekordhohe Fallzahlen verzeichnet werden und gefühlt das halbe Land im Bett liegt, wurde die Krise neu ausgerufen. Die einzige Möglichkeit, eine Pandemie sauber zu beenden, bestünde darin, heißt es, das Virus vollständig auszurotten – was bisher nur bei Pocken gelang. Im Wissen um die Übertragungsvorteile einer Virusvariante wie Omikron und der Möglichkeit, zahlreiche Tierpopulationen zu infizieren, hält das bei SARS-CoV-2 praktisch niemand für realistisch. SARS-CoV-2 wird also kontinuierlich zirkulieren, wobei die Schlüsselfrage nach einer Vorhersage der zukünftigen Belastung der Bevölkerung durch Covid nur in Szenarien diskutiert, aber nicht konkret beantwortet werden kann. Ob das Corona Virus sich in den kommenden Monaten und Jahren immer wieder derart rasant ausbreiten wird, ist unklar. Es hängt zu einem großen Teil davon ab, wie sich das Virus weiterentwickelt. Momentan ist die Omikron-Variante dabei, sich zu diversifizieren.

Omikron BA.1 war also nicht die letzte „Ausstiegswelle“ der Pandemie, genauso wenig wie Delta davor. Mit Vorhersagen, wie die nächste Variante aussehen könnte, ist man indes zurückhaltend geworden, zu sehr lag man bei früheren Prognosen daneben. So dachten Ende 2021 fast alle, dass die nächste Variante aus Delta hervorgehen würde. Dann kam die Variante Omikron, die nicht aus Delta hervorging. Und trotzdem gibt es wieder das Bild in vielen Köpfen, dass, wenn wir von der Welle herunterkommen, alles erledigt sein wird. Stattdessen könnte die „Pandemie“ aber auf einem „endemischen“ Kamm bleiben, wo sägezahnartig, Varianten kommen und gehen. Aus diesem Grund sind Impfungen so wichtig, um die Auswirkungen solcher möglicher Infektionswellen zu verringern.

Die im Vergleich zur Virusvariante Delta weniger krankmachende Virusvariante Omikron entfachte jedoch durch nichts gedeckte Wunscherzählungen, von der verfrühten „harmlosen“ Endemie bis hin zur unhaltbaren Vorstellung, einem hartnäckigen Mythos, dass Viren ihre Wirte verschonen („nicht töten“), um in ihrer Entwicklung besser übertragbar zu bleiben, und dass sie deshalb zunehmend weniger virulent werden.

Wenn sich der Schweregrad erst spät im Infektionszyklus manifestiert, wie es bei SARS-CoV-2 zutrifft, die meisten Übertragungen passieren ja (Tage bis) Wochen vor dem Tod, dann spielt die virale Fitness oder Virulenz eine begrenzte Rolle für eine Selektion. Ähnliches lässt sich auch für das Influenza-Virus sagen, und auch für die chronischen Infektionen HIV und Hepatitis C gilt das, wo die betroffenen und unbehandelten (!) Personen für etliche Jahre das Virus weitergeben können, bevor sie schwer an diesen Viren erkrankten. Durch die antivirale Behandlung kann Hepatitis C geheilt werden und die Vermehrung von HIV unterdrückt, sodass diese Personen dann nicht mehr ansteckend sind. Die HI und Hepatitis C Viren sind im Verlauf ihrer – inzwischen jahrzehntelangen wissenschaftlich beobachteten – Entwicklungen nicht weniger virulent / krankmachend geworden.

Die bisher bei SARS-CoV-2 verheerendsten Virusvarianten Alpha (Anfang 2021) und Delta (seit Sommer 2021) waren verglichen mit dem originalen Virus jeweils leichter übertragbar, und zwar um etwa 50% und 100%. Die verstärkte Übertragbarkeit von Alpha und Delta war sogar mit mehr Virulenz („Disease severity“ in der folgenden Grafik) verbunden. Für die Virulenz besteht im Gegensatz zur intrinsischen Infektiosität (Intrinsic Transmissibility in der Grafik) kein evolutionärer Druck, sie ist typischerweise ein Nebenprodukt. Ob die Omikron Varianten eine erhöhte intrinsische Übertragbarkeit haben, ist immer noch in Diskussion, für BA.2 wird das jedoch einhellig angenommen.

Ein weiterhin geläufiger Glaube setzt auf eine weit verbreitete Impf- oder infektionsinduzierte Immunität, um in Zukunft milde SARS-CoV-2-Infektionen zu garantieren. Diese Idee ignoriert jedoch ein zentrales Merkmal der SARS-CoV-2-Biologie – die „antigene Evolution“, also eine fortlaufende Modifikation des viralen antigenen Profils als Reaktion auf den Immundruck des Wirts. Hohe Raten der antigenen Evolution können zu einer Immunflucht (Immune Escape in der Grafik) führen, d. h. zu einer verringerten Fähigkeit des Immunsystems, eine Reinfektion und eine darauf folgende möglicherweise schwere Erkrankung zu verhindern. Auf Populationsebene können Antigenevolution und Escape die Krankheitslast erhöhen, indem sie die Raten von Reinfektionen erhöhen und daraufhin zwangsläufig auch die Zahl schwerer Erkrankungen.

Omikron hat eindeutig gezeigt, dass SARS-CoV-2 in relativ kurzer Zeit zu einem beträchtlichen Antigen Escape fähig ist. Omikron weist im Vergleich zum originalen Wuhan-Hu-1-Referenzstamm mindestens 50 Mutationen auf und unterscheidet sich in hohem Maße in seiner Antigenität von früheren Variants of Concern („VOCs“). Diese Mutationen erlaubten eine explosionsartige Ausbreitung von Omikron auch in immunen Populationen (Personen mit Immunität aufgrund einer früheren Infektion oder Impfung), exemplarisch für die Strategie der Immunflucht. Die genetische Divergenz unter den Unterlinien von Omikron ist beträchtlich, und der funktionellen Bedeutung dieser Divergenz werden wir durch die jetzige Zunahme der BA.2-Variante unliebsam gewahr.

Im September 2020 begannen sich nach einer anfänglichen Phase relativer evolutionärer Stabilität SARS-CoV-2-Varianten mit erheblicher antigener Abweichung vom Vorfahrenvirus zu entwickeln. Mindestens drei frühere VOCs, Beta, Gamma und Delta, wiesen Immun-Escape-Mutationen auf, und derzeit deutet nichts darauf hin, dass sich die antigene Evolution in Zukunft verlangsamen wird. Im Gegenteil, VOCs sind nur die Spitze des „evolutionären Eisbergs“. Hunderte von SARS-CoV-2-Linien weichen im Laufe der Zeit kontinuierlich voneinander ab, und die Evolutionstheorie prognostiziert eine zunehmende Wahrscheinlichkeit von Immun-Escape-Varianten. Mit anderen Worten: Eine zunehmende Immunität verstärkt eine zum Immune Escape führende antigene Evolution.

In (hoch)immunen Populationen wird jedoch eine bloße Erhöhung der intrinsischen Infektiosität relativ wenig zur Übertragbarkeit beitragen, weil in dieser Situation eine hohe Infektionsresistenz gegeben ist. Dementsprechend wird SARS-CoV-2 seine Übertragbarkeit (also seinen „Lebenszweck“) eher dadurch verbessern, indem es seine Fähigkeit optimiert, bereits immune Individuen zu re-infizieren, und weniger dadurch, dass es einfach eine erhöhte intrinsische Infektiösität (z.B. wie BA.2 gegenüber BA1) erwirbt.

Omikron ist die erste VOC, das weniger virulent ist als andere zirkulierende Stämme, und dies wurde begeistert als Zeichen des nahenden Endes der Pandemie interpretiert. Dabei ist der geringere Schweregrad von Omikron nichts als ein glücklicher Zufall – bisher eine Ausnahme. Keine der VOCs, die zuvor zur Dominanz aufstiegen, stammte aus der damals vorherrschenden Linie, was wahrscheinlich auch bei zukünftigen VOCs der Fall sein wird. Delta ist nicht aus Alpha entstanden und Omikron weder aus Alpha noch aus Delta. Die Analyse der Molekularuhr datierte die Trennung von Omikron von anderen SARS-CoV-2-Linien auf mehr als ein Jahr vor dem Ausbruch der Verbreitung der Omikron Variante. Wir wissen wenig über die Umstände und Prozesse, die bisher die VOCs hervorgebracht haben, und das macht es praktisch unmöglich, den Zeitpunkt und/oder die viralen Eigenschaften zukünftiger Varianten vorherzusagen. Der geringere Schweregrad der Erkrankung durch Omikron kann auf stärkeren Befall der oberen Atemwege gegenüber Lungengewebe und auf eine verringerten Tendenz zur Induktion von Zell-Zell-Fusionen (d.h., Schädigung der Zellen des Atemtraktes) zurückgeführt werden. Die Aussicht, dass zukünftige VOCs die Fähigkeit haben, via Immune Escape zu reinfizieren, und gleichzeitig eine hohe Virulenz aufweisen ist durchaus real. Auf eine Verbesserung der Impfstoffe darf gehofft werden, obwohl das dauern wird.

Um die zukünftige Krankheitslast durch Covid fundiert abschätzen zu können, müssen Zusammenhänge zwischen Antigenveränderungen durch Mutationen (Immune Escape) und Schweregrad der Erkrankung (Disease Severity) besser verstanden werden. Vor allem gilt es die Mechanismen zu untersuchen, welche die VOCs erzeugen. Dazu gehört die Beobachtung der Evolution in besonders permissiven Tierpopulationen und in immungeschwächten Personen, weil bei denen das Virus über längere Zeit persistieren kann und sich deshalb leichter vielfache Mutationen anhäufen könnten. Das schließt neuerdings die Entwicklung von Resistenzen gegen antivirale Substanzen ein, eine erste Beobachtung bei einer 70-jährigen Frau mit einem bösartigen Tumor (Non-Hodgkin Lymphom) wurde soeben publiziert. Das Verständnis dieser Faktoren könnte helfen, die zukünftige Krankheitslast für die Bevölkerung zuverlässiger einzuschätzen. So kann man sich auch vorbereiten.

Es fehlt an Vorbereitungen, um aus den Lockdown-Öffnungsorgien-Zyklen (oder Panic-Neglect Cycles) auszusteigen, die Österreich in einer immerwährenden Unvorbereitetheit für Krisen aller Art festhalten. Es ist auch erstaunlich zu sehen, wie selbst GECKO zum Schluss kommt, dass man außer „Abstand halten, Maske tragen, auf die Händehygiene achten und lüften“ nichts machen kann. Mit keinem Wort wird die Vernachlässigung der Verbesserung der Raumluft angesprochen. Schon klar, dass diesbezüglich Sofortlösungen nicht möglich sind, aber die Halbherzigkeit, mit der dieses Problem in den Schulen angegangen wurde und wird, ist nicht akzeptabel. So wie die Cholera den Wiederaufbau unserer Städte nach sanitären Gesichtspunkten erzwang, sollte uns COVID-19 dazu bringen, die Art und Weise zu überdenken, wie wir unsere Gebäude lüften.

Wieso die Regierung am 5. März die Maskenpflicht in vielen Bereichen abgeschafft hat?

  1. Weil sie es einfach verordnen kann. Die Regierung handelt aus politischen Motiven.

  2. Das Virus ist jetzt mild und wird milder (falsch).

  3. Nur ungeimpfte Menschen erkranken schwer (falsch).

  4. Die Pandemie ist vorbei (falsch).

  5. Die Wirtschaft wird profitieren (falsch).

Es war ab 5. März nicht mehr das Ziel, die Übertragung von Covid deutlich zu reduzieren. Man nahm bewusst Risiko. Begleitend war von vielen zu vernehmen, dass die Maßnahmen gegen die noch ansteckendere Omikron Variante BA.2. ohnehin wenig ausrichten. Das stimmt so natürlich nicht, hier  und hier. Masken wirken umso besser, je mehr Menschen sie tragen (Selbstschutz und Fremdschutz) und wenn sie mit anderen Maßnahmen kombiniert werden (Lüften, Abstand, Testen), hier  und hier. In leichter verständlicher Form kann es hier oder hier  nachgelesen werden. Ist die Welt nach der Wiedereinführung einer ausgeweiteten Maskenpflicht also wieder in Ordnung? Bei weitem nicht. Es gibt zu viele Möglichkeiten, wo Menschen sich maskenlos begegnen, vor allem in Innenräumen wie Restaurants, Bars, Wohnungen, Häusern und anderen sozialen Zusammenkünften. Wenn es also jetzt eine Maskenpflicht in den Öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften allein gäbe, so hätte das nur geringe Auswirkungen auf das allgemeine Infektionsgeschehen. Das Übertragungsrisiko dort ist natürlich bei jeder Interaktion viel geringer, wenn beide Personen eine Maske tragen. Das gilt selbstverständlich auch für das ansteckendere BA.2.

Eine solche Maskenpflicht kann die Gesamtinfektionsrate möglicherweise nicht sehr stark reduzieren, aber sie kann doch eine wichtige und unverzichtbare Rolle spielen: Das Tragen einer Maske schützt nicht nur den Träger oder die Trägerin. Sie schützt immungeschwächte Menschen, Ältere und solche mit erhöhtem Risiko, schwer zu erkranken. Dieser Personenkreis meidet deshalb Bars, Restaurants, Partys und andere Einrichtungen mit hohem Übertragungsrisiko, aber diese Menschen müssen immer noch öffentliche Verkehrsmittel benutzen, einkaufen gehen, Arztpraxen und Krankenhäuser aufsuchen. Und sie schützt kleine Kinder, die noch nicht geimpft werden können. Die Rolle von Maskenvorschriften besteht also auch darin, Menschen zu helfen, die es vermeiden müssen oder wollen, sich mit Covid zu infizieren. Das sollte doch wirklich kein Problem sein. Wenn sich das Virus überall findet, wird es für Menschen sehr schwierig, sich individuell zu schützen, aber warum nicht wenigstens etwas tun, um ihre Risiken zu verringern? Wenn beide Seiten Masken tragen, ist das effizienter (und solidarischer!), als wenn sich die „Vulnerablen“ einseitig schützen.

Simona Pfister ist eine sogenannte Risikopatientin, die zu diesem Thema im Magazin (Tagesanzeiger, Schweiz) einen Artikel veröffentlicht hat (Paywall, 2 Franken Tagespass). Sie freut sich, dass die Menschen um sie herum wieder ein normales, einschränkungsfreies Leben führen. Aber ihr eigenes ist dadurch noch viel weniger normal geworden. „Ich war schon seit einigen Monaten nicht mehr am Literaturinstitut in Biel, wo ich eigentlich studiere. Ich kann per Zoom an den Veranstaltungen teilnehmen, die Institutsleitung ist sehr verständnisvoll, aber lustig ist es nicht. Ich sehe zu, wie die anderen im Raum sprechen, miteinander lachen und in die Pausen gehen.

Ich fühle mich allein und bin es auch. Weil die anderen das gemerkt haben, haben sie von sich aus angeboten, mir zuliebe eine Maske zu tragen, damit ich wieder bei ihnen sein kann. Ich bin ihnen dankbar, ich bin dem Institutsteam dankbar, aber wenn im Zug niemand mehr eine Maske trägt, kann ich trotzdem nicht von Zürich aus dorthin fahren.“ Hier ein weiterer Auszug aus dem Artikel:

Ähnliches gilt für den Sohn einer gut Bekannten von mir, 22 Jahre alt, herztransplantiert und deshalb immunsupprimiert. Ja, es sind nicht nur „die Alten“, die vulnerabel sind.

Wenn die Maskenpflicht jedoch auch einen Effekt auf das allgemeine Infektionsgeschehen haben soll, und aufgrund der dauerhaft angespannten Versorgungssituation in den Krankenhäusern aber auch anderswo müsste sie das, dann gilt es die Maskenpflicht auszudehnen. Schule? selbstverständlich, für Eigen- und Fremdschutz! Im Prinzip gilt das gleiche für viele Arbeitsplätze. Wie die Juristen dies wohl dieses Mal ausformulieren? Eine Maskenpflicht, die auch nur irgendwie auf eine Unterschreitung eines Abstands abzielt, müsste jedenfalls die Aerosolbelastung & Belegung im Raum berücksichtigen.

Tourismusministerin Elisabeth Köstinger erklärte im Dezember 2020 in verwundertem Tonfall, sie wisse beim besten Willen nicht, wo es einen Unterschied machen solle, ob jemand mit der Gondel oder mit der U-Bahn fahre. Am 5. März wurde 2022 wurde dann einseitig die Maskenpflicht in den Skigondeln aufgehoben, eigentlich nicht den auch dort geltenden Eisenbahnregeln entsprechend, die von Franz Hörl, Obmann der Seilbahnbetreiber in der Wirtschaftskammer und Nationalrat, immer ins Spiel gebracht wurden, um die Gondeln möglichst dicht zu befüllen. Alles Mumpitz, wenn man die Spielregeln selber bestimmen kann? Wea ko, dea ko.

Immunsupprimierte und Ältere sollen halt nicht Skifahren gehen – ihr Problem, die Maskenlosen in der Gondel haben Vorrang! Zugegeben die Forderung nach einer Maskenpflicht in den Gondeln wird das Infektionsgeschehen im Gesamten wenig beeinflussen, vor allem wenn man sich Bilder aus denselben Orten vor Augen führt, wo AprèsSki  stattfindet, als hätte es nie eine Pandemie gegeben .

Neben der (noch im Detail auszuformulierenden – Skigondeln wieder ausgenommen?) Wiedereinführung der Maskenpflicht kommt jetzt noch ein politisches „Heilmittel“. Infiziertes Personal in Schule und Gesundheitssystem soll jetzt arbeiten dürfen! „Dürfen“ aus welcher Sicht? Aus der des Gesetzgebers, der Krankenhausverwaltung oder der betroffenen Personen? Erst einmal ist zu bezweifeln, dass die in der Pandemie reichlich oft gescheiterten Gesetzgeber oder Verordnungsermächtigten es dieses Mal schaffen werden, diesbezüglich wissenschaftlich und juristisch Haltbares zu formulieren. Allein den österreichischen Umgang mit Modalverben so zu gestalten, dass der Unterschied, ob jemand etwas tun muss oder darf unmissverständlich bleibt? Das will einfach nicht in meinen Kopf, ich kann da nicht aus meiner Haut! Jetzt in den sauren Apfel beißen müssen und ja keine Zeit verlieren dürfen? Der Teufel soll sie holen!

Außer diesen formalen Bedenken gibt es handfeste inhaltliche Bedenken gegen eine weitere Lockerung der Isolationspflicht. Die Quarantäne ist bereits weitgehend gelockert worden. Das ist nicht das Gleiche? Ein rein semantisches Problem? Nein, in gängigen Rechtsvorschriften gilt unverändert der sonderbare, verstaubte Begriff „Absonderung“, der sowohl Isolation als auch Quarantäne umfasst. Der Begriff Absonderung geht, als zentrale Maßnahme des Epidemiegesetzes, auf ein Gesetz „betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ vom 14. April 1913 zurück. Für sinnvoll hält Christoph Grabenwarter, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, deswegen eine Novelle des Epidemiegesetzes: „Unser Epidemiegesetz ist älter als die Bundesverfassung und die Salzburger Festspiele.“ Und es würde nicht schaden, sich „Gedanken zu machen, ob man das nicht ins 21. Jahrhundert holen könnte“.

Isolation und Quarantäne sind jedoch in der Epidemiologie weltweit jeweils klar definiert und sind einander zwar ähnlich, aber nicht identisch. Isolation ist für Infizierte (sie haben es sicher); Quarantäne für Exponierte (sie haben es vielleicht) . Die österreichischen Behörden sind durch jahrzehntelangen Gebrauch des Begriffes „Absonderung“ mit den international üblichen Termini noch nicht so vertraut, weshalb sie sie unterschiedlich verwenden, gelegentlich verwechseln oder einfach um Sand in die Augen zu streuen in die Diskussion schmeißen. Aus dem Gesagten kann man leicht ableiten, dass eine haltbare Verordnung mit einer Aufweichung zu „Isolation“ kaum bis morgen kommen wird.

Weil in der Diskussion Begriffe und Forderungen nach Änderungen dermaßen vage und chaotisch vermittelt werden, ist es nahezu unmöglich, Stellung zu nehmen. Auch GECKO bleibt in ihrer Sitzung vom 18. März vage und missverständlich: „Die GECKO-Kommission wurde auch mit Fragen zu einer möglichen Verkürzung der Absonderungsdauer und insbesondere deren Auswirkungen auf die Personalsituation in Krankenanstalten…..befasst…. Einzelne Mitglieder vertraten den Standpunkt, dass das Infektionsgeschehen durch pauschale Verkürzungen weiter befeuert werden könnte, da sich Österreich derzeit noch immer in einer ansteigenden Phase der Infektionszahlen befindet…. Der Standpunkt anderer Mitglieder deckt sich mit der Auffassung des Centers for Disease Control and Prevention (CDC), einer Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums…. Die CDC hält unter anderem fest, dass sie die empfohlene Zeit für die Absonderung von Infizierten angesichts des derzeitigen Wissenstands über die Omikron-Variante verkürzt. Infizierte sollten sich demnach 5 Tage lang isolieren, wenn sie asymptomatisch sind oder ihre Symptome nachlassen (ohne Fieber für 24 Stunden). In den folgenden 5 Tage müssen diese Personen Maske tragen, wenn sie in der Nähe anderer sind, um deren Infektionsrisiko zu minimieren“. Letzterer Standpunkt zeugt von einem gerüttelt Maß an Arg- und Ahnungslosigkeit, denn es wird hier die CDC Empfehlung für die allgemeine Bevölkerung zitiert und nicht jene für das Gesundheitspersonal. Sieben (ohne oder milde Symptome) bis 10 (bei schwerem Verlauf) Tage Isolation plus jeweils PCR Test werden dort nämlich für Gesundheitspersonal vorgeschrieben. Sehr bedenklich.

Und noch einmal, weil das zunehmend aufkommt, sei’s am Stammtisch, in der Bekanntschaft oder in den Medien. „Lassen wir doch endlich einfach alles sein – bringt eh nichts – usw., usf.“ – „Durchrauschen“ und „Herdenimmunität“ sind inzwischen hinlänglich bekannt und werden hier auch immer wieder thematisiert. Dieses Extremszenario würde mit großer Sicherheit zur Überlastung des Gesundheitssystems führen, zu wirklich vielen Todesfällen und schweren Covid Nachwirkungen, sowie zu noch mehr wirtschaftlichem Schaden, als das unter Einhaltung epidemiologischer Gegenmaßnahmen der Fall ist. Das sagt nicht nur der Kolumnist, das wird auch durch alle Modellierungen der Pandemie gestützt.

Das 3. Jahr der Pandemie, und Österreichs Bildungsminister Polaschek weiß nicht, dass Husten ein Covid Symptom ist („Ich hab zum Glück KEINE SYMPTOME gehabt. Ich habe allerdings am 2. Tag einen SCHWEREN HUSTEN bekommen“). Der ehemalige Rektor der Universität Graz feiert sein Coming out als Health Illiterate. Das hat mich bewogen, das beträchtlich voluminöse Buch „Die Symptome der Symptomlosen“, entstanden durch jahrzehntelange Erfahrung in der Behandlung von HIV und Hepatitis C, neu mit einem überlangen Kapitel zu Covid neu aufzulegen. Mit einem Vorwort eines prominenten Experten. Dieses Buch ist jedenfalls wesentlich dicker als das Buch „Unabhängige Medien in Österreich“.

Zuerst hebt man die Maßnahmen auf und verursacht so die von vielen Experten und Expertinnen vorhergesagten Engpässe in Krankenhäusern und dann versucht man das selbst erzeugte Problem dadurch zu lösen, dass man noch infektiöse Personen im Krankenhaus arbeiten lässt. Chuzpe. Die Reaktion der Regierung erinnert damit an die Argumentation jenes Mannes, der vor der Verurteilung als Mörder seiner Eltern um mildernde Umstände bittet, weil er jetzt ja Vollwaise sei.« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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