Geheimnis Medienpolitik. Mysterium Bibliothek. Wildwuchs.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 656

Armin Thurnher
am 18.02.2022

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Ich war gestern bei einem geheimen Termin. Es ging um Medienförderung in Österreich, und weil das ein wichtiges Thema ist, das in einem flotten politischen Prozess jetzt hurtig auf ganz neue Beine gestellt wird, verlief das Auftaktmeeting unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich war geladen, wie ich schon in meinem Seinesgleichen-Kommentar verraten habe, aber mehr kann ich nicht verraten, das wäre nämlich Verrat am Versprechen, das ich bei diesem Treffen der anwesenden Medienministerin Susanne Raab gab, Vertraulichkeit zu bewahren. Ich notiere nur in mein Herztagebuch, der Beginn der Neugestaltung der österreichischen Öffentlichkeit verläuft naturgemäß nicht-öffentlich.

Ich setze, wie Sie sich in Kenntnis meiner Person denken können, über diesen Prozess das Bloch’sche Motto des gelernten Medienösterreichers, der ich bin, und es war, ich sage ihnen nicht Unbekanntes, eine harte Schule, die ich beim Erlernen dieser Seinsweise durchlaufen habe. Die Hans-Dichand-Schule ist ein Kinderspiel dagegen. Hans-Dichand-Schule, so sollte man in Österreich die Volksschulen nennen, hatte einst der Soziologe Reinhold Knoll im Falter vorgeschlagen, weil das Volk darin ja lesen und schreiben lerne, in der Kronen Zeitung nämlich, mehr als in den Volksschulen.

Wie also lautet dieses Bloch’sche Motto? Sage ich Ihnen gerne, da wir ja aus traurigem Anlass, dem Tod des Bloch-Assistenten und geistigen Nachlassverwalters Burghart Schmidt geschuldet, sozusagen Bloch-Woche haben. Ich begann hier mit einem Zitat des Philosophen, worauf mir Vertraute Schmidts mitteilten, dieser sei soeben von uns gegangen. Das war merkwürdig. Das Motto lautet: Spes contra spem, also Hoffnung gegen alle Hoffnung.

Von Walter Benjamin stammt der Satz „nur um der Hoffnungslosen ist uns die Hoffnung gegeben“, den ich irrtümlich immer Bloch zuschrieb, aber das macht nichts, denn an die österreichische Medienpolitik dachten sie beide nicht, wohl aber ich.


So, jetzt habe ich ausführlich genug erwähnt, dass ich nichts erwähnen darf. Ich hoffe, sie sind damit so unzufrieden wie ich. Ich werde diese Unzufriedenheit in loser Folge abarbeiten und die eine oder andere Überlegung ausbreiten, wie eine gute Medienförderung aussehen könnte. Das ist nämlich bei Gott nicht einfach. Es ist ungefähr so schwer wie die Ordnung einer Bibliothek. Auch dazu gibt es fulminante Texte in der Weltliteratur, jenen von Benjamin zum Beispiel mit dem schönen Titel „Ich packe meine Bibliothek aus.“

Jürgen Habermas hingegen packt seine Bibliothek voll, beinahe hätte ich gesagt, wie wir alle. Habermas kreuzte gerade meinen Weg, als ich mich auf Twitter umtat, und wer wäre mir in Kommunikationsangelegenheit gelegener gekommen als der Autor des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“, dessen Lektüre ja gleichsam die Eintrittskarte zu jeder österreichischen Debatte über die Neuordnung der Medienförderung darstellt.

Auf Twitter tue ich mich um, um am eigenen Leib das Schandspiel algorithmisch gequälter Kommunikation zu erleiden, lustvoll zu erleiden. Ich tue mich um, um mich umzutun (im Vorarlberger Dialekt heißt „einen Baum fällen“ nichts anderes als „einen Baum umtun“). Ich bin Masochist, was Sie schon daran erkannt haben, dass ich eine nichtöffentliche Medienkonferenz zur Neuordnung der österreichischen Medienpolitik besuche, um anschließend darüber zu schweigen.

Habermas und seine Bibliothek nun also. Ich gebe zu, in Kenntnis des Mannes – genau genommen in äußerst flüchtiger einmaliger persönlicher Begegnung, aber doch einigermaßen ausführlicher Lektüre von Studentenbeinen an – hätte ich mir mehr erwartet. Der Text, eine Art Gespräch, stammt von der Website des Suhrkamp-Verlags und kam eben auf Twitter über Gerald Krieghofer zu mir, der seinerseits wieder von jemandem aufmerksam gemacht wurde, der die Sache gewiss auch nicht selber entdeckt hatte. Egal, mir gefiel eines nicht an diesem Gespräch. Habermas antwortet nach Art jener Politiker, die mir mit jenem unerträglichen rhetorischen Trick auf die Nerven gehen, der sonst sofort den Griff zum Ausschaltknopf nach sich zieht.

Auf die Frage: „Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?“ antwortet der Philosoph: „Wollen Sie das wirklich wissen? Die richtige Frage ist doch: Wo ist noch Platz für die Bücher?“ Den Rest können Sie nachlesen, zwei Dinge mochte ich aber, wie ich Habermas als ganzen mag, im Unterschied zu jenen postmodern bis modisch rechtsverseuchten Zeitgenossen, die ihn als Inbegriff des deutschen Gutmenschen im Überformat hassen und ablehnen, obwohl sie sachlich wenig gegen ihn einzuwenden wissen, wenn sie ihn überhaupt gelesen haben.

Was er, Habermas, gerade gelesen habe? Da mochte ich seine Antwort: „Die Jahre von Annie Ernaux habe ich gerade gelesen, die ethnologische Beschreibung ihrer gewissermaßen depersonalisierten Lebensgeschichte im Spiegel der französischen Zeit- und Gesellschaftsgeschichte; davon bin ich ganz hingerissen. Aber das Schreiben drängt und lässt inzwischen zu wenig Zeit zum Lesen.“ –

Welche Bücher ihm besonders am Herzen lägen? „Es gab zwei bis drei auch literarisch gleichsam von Aktualität platzende Jahrzehnte in meinem Leben. Wenn wir bei deutschsprachigen Autoren bleiben wollen, hat uns jedes Stück, das von Brecht auf die Bühne kam, hat jeder neue Roman oder jede Geschichte von Peter Weiss oder Max Frisch, von Koeppen, Grass, Jurek Becker, Thomas Bernhard oder Alexander Kluge, ja, am Anfang auch von Martin Walser in Aufregung versetzt; auch an Die Zimtläden des polnischen Schriftstellers Bruno Schulz erinnere ich mich in diesem Zusammenhang. Da vibrierte das intellektuelle Klima, man konnte sich noch über die falschen Rezensionen aufregen. Das letzte dieser Bücher (über das ich seit Jahrzehnten etwas schreiben will) ist von Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän. Aber mit der fehlenden Zeitgenossenschaft der Autoren werden die Eindrücke, die die Lektüre bei mir hinterlässt, blasser, und die Rezensenten lassen einen kalt. Die Spannungen im literarischen Feld fehlen, oder man erkennt sie nicht mehr. Ich lese auch weniger, jedenfalls weniger regelmäßig.“

Das gefällt mir, weil es ehrlich klingt. Die „fehlende Zeitgenossenschaft der Autoren“, und die Spannungen, die man nicht mehr erkennt, das ist geradezu rührend. Die Zimtläden ist in diesem Zusammenhang überraschend und erstaunlich; Bruno Schulz gehört auch zu Alfred Brendels Favoriten, der einen in fast jeder Hinsicht anderen Geschmack hat als Habermas.

Blick aus dem Fenster der Habermas’schen Bibliothek Foto: Suhrkamp Verlag

Am stärksten aber berührte mich ein Foto, das einen Blick aus dem Fenster zeigt. Die „Natur“ draußen, ungepflegte, wild wachsende Bäume, offenbar der Habermas’sche „Garten“, entspricht dem wilden Wachstum der Bücher, die sich anhäufen, zu Haufen und Türmen auswuchern und allen Ordnungen entstreben, ganz gleich, welche wir ihnen überstülpen wollen. Es kann ganz richtig sein, sie einfach machen zu lassen. Daraus entstehen mitunter neue Beziehungen, Spannungen auch, und aus lauter Bäumen wird ein Wald.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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