Elegie auf Burghart Schmidt, 1942-2022

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 655

Armin Thurnher
am 17.02.2022

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Foto @ Burghart Schmidt

Bloch, dieser Name, er wölbte über dein Leben sich. Du aber

warst uns der Bote der Großen, als wir dich trafen, Studenten, mit

Ahnung von wenig, und doch mit Gespür für das Wichtige, etwa für

Dich. Aus dir, da wehte nicht nur uns herüber das Erbe, die

Erbschaft des Ernst. Da wehte die Art zu sprechen und denken wie

einst, so konnte man meinen, wie sie gepflegt von den Denkern. Wie

sie, so sprachst du, wohlgesetzt, in großen Bögen, mit ausholend

Atem, was dich von uns, den kurzatmig denkend und Sprechenden

wohl unterschied. Doch hobst du uns stets auf die Höhe der Augen,

blassblau die deinen, wässrig ein wenig, den Blick nur hobst du kaum

merklich nach oben, wenn dich wir Ahnungslosen zwangen,

Grundsatz zu reden. Das aber konntest du gut, ein Lehrender

warst du. In ewiger Dankbarkeit denk ich der Benjamin-Stunden,

die du uns gabst in der Annagasse im ersten Bezirk, da

war’n seine Schriften in Auszügen erst zur Verfügung. Gleichwie, die

Brücke zu diesem Denken, die gingen wir nach dir, verborgenes

Wissen, entborgen von Leuten wie dir, eh es feiles Zitaten-

Bergwerk wurde und Phrasenbauschutt. Doch Philosophie als

Anstrengung, aber nicht schwitzend, atembelebt, transparent, das

warst du, das macht’ dich zum Gegner von denen, die treffend „brutale

Phraseologen“ du nanntest. „Oh diese vielen Zeilen des

Aneinanderreihens solcher Phrasen“, kreidetest Žižek du

an, der nichts uns biete zur Praxis, und nicht Theorie und

Kunstprobleme erhelle, nur zeige, dass Langeweile ihn

quäle. Doch Abtun, das lag dir nie, denn immer ging’s dir um

Philosophie. Dem Burger, dem Rudolf, zeigtest du, wie in die

Irre er ging mit dem Aufruf, wir sollten doch endlich vergessen.

Burger, das war der Kollege der Angewandten, das hindert’ dich

keineswegs, ihm schwerst „philosophische Grundfehler“ vorzu-

halten. Brutales Denken, das gelte nur für Formale

Logik, gerade nicht dort, wo es um das Individuum

geht. – Doch lassen wir das, gewonnen hast du den Streit unter Toten,

wir aber denken des Lebenden, der du für uns warst. Im Falter zum

Beispiel schriebst du manches, brachtest mir Blätter mit blauer

Füllfeder-Tinte bedeckt in akkurater, zierlicher

Handschrift, den Nachruf auf Herbert Marcuse, der Neunzehnneunund-

siebzig verstarb. Und gegen den Vorwurf, er sei ein Pate des

Terrorismus, den damals allgegenwärtigen gegen die

Linke, nahmst du, alter Linker, ihn würdig mit eigenen Worten in

Schutz: „Er selbst hat die Anklage ad absurdum geführt. Er

unterschied die Gewalt etwa demonstrierender oder

streikender Massen und auf der anderen Seite die Gewalt von

Einzelnen, allenfalls militärisch organisiert in kleinen

Gruppen, die glauben, Geschichte machen zu können. Das war nun kein

angstvoller Rücksprung eines Zauberlehrlings, der die Geister

loswerden will, die er rief. Schon 1967, als

innerhalb der Studentenbewegung der Terror noch lange kein

Thema war, rechtfertigt Marcuse in einem Vortrag

höchstens Gewalt aus politischen Grundrechten“, nur zur Verteidigung

dieser. Das Grundrecht auf Streik, drauf, öffentlich Meinung zu bilden – ist

dieses bedroht, ist Widerstand nötig. Doch „Konfrontationen zu

suchen, nur um der Konfrontation willen, ist unnötig,

das ist verantwortungslos“. So Marcuse zum Terrorismus, auf

den, so Schmidt, bourgeoise „Untergrundunternehmen“ von

CIA bis Mafia sich „besser verstehen als linke Bewegungen.“

So stand’s im Falter, und gut zwei Jahrzehnte noch manches von dir,

aufklärend, hell und fundiert. Und so war deine Prosa, ich musste

wenig verändern, um sie im Sechsfuß laufen zu lassen! Am

End’ liefen unsere Wege zwar parallel, gemeinsam

aber nicht mehr. Als ich vor einem Jahr unverseh’ns vor dem Funkhaus dich

traf, in meiner Begleitung ein Autor, der dich nicht kannte,

staunt der nicht schlecht über druckreife Formulierungen, die dir

leichthändig, leicht erhobenen Blicks entkamen. Wer war das,

fragt er verdutzt. Das war Burghart Schmidt, sagte ich, der Erbe Ernst

Blochs, eine Stimme der Philosophie, als diese noch hoch flog.

Nun, vergangenen Sonntag, bist du in Wien mit achtzig gestorben.

Adieu, lieber Burghart. Danke fürs Denken. Für alles.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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