Themenschuldensperre. Eine kleine Katergeschichte

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 460

Armin Thurnher
am 05.07.2021

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Ehe ich etwas zum Thema Neoliberalismus sage, muss ich bei mir selbst eine andere Themenschuld begleichen (der Neoliberalismus ist gegen Schulden, für Schuldenbremsen und andere Plagen). Man hörte ja an diesem Wochenende nichts von Politikern, die man liebt. Sebastian Kurz hatte offenbar ein Wochenende wie früher, Wolfgang Sobotka stellte sich im Schattengarten schweigend selber in den Schatten und ob Gernot Blümel etwas machte, wurde vergessen zu melden.

Ein zwiespältiger Zustand. Einerseits ist man froh, Ruhe zu haben, andererseits keimt der lähmende Verdacht, die Stille sei absichtsvoll und im Hintergrund braue sich Unheil zusammen.

Das mit dem Neoliberalismus bezieht sich auf Lars Feld, den neu bestellten Leiter des IHS, den Finanzminister Blümel präferierte. Hanna Kordik, die Wirtschaftskommentatorin der Presse zitierte in diesem Zusammenhang mich, die ich hier schrieb, „,Vor unseren Augen gestaltet sich die ökonomische Denklandschaft und vor allem die Ideologieproduktion um.‘ Das Ziel dieser Umgestaltung sei klar: ,Weg mit dem Sozialstaat, weg mit staatlichen Beschränkungen, her mit der Umverteilung nach oben.‘“

Worauf mir von einem freundlichen liberalen Kommentator auf Twitter beschieden wurde, ich würde irren, wenn ich glaube, Wirtschaftsliberalismus betriebe immer Umverteilung nach oben. Den unterliegenden Verwechslungen unserer freundlichen liberalen Publizistik gehe ich am Montagmorgen einmal nicht nach. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Vielmehr möchte ich, und das muss auch meinen liberalen Fans gefallen, eine Berichtsschuld abtragen, die zumindest ich als solche empfinde.

Es geht um den Kater Hannibal. Es geht ihm gut. Ich darf berichten, dass die Vogelbrutsaison ihn trotz seines beachtlichen Alters von siebzehn Jahren einerseits belebt, andererseits herausfordert. Dazu kommen territoriale Schwierigkeiten mit den vitaleren benachbarten Katern, aber die erledigt er mit links.

Dass der Kerl überhaupt noch lebt, ist ein Wunder, das der tüchtigen Tierärztin zu verdanken ist, die nach sechzehn Katerjahren doch aufgesucht wurde. Der Kater ist uns nicht zugelaufen, er wurde von Frau und Hund vor der Kälte eines Waldviertelwinters gerettet, in die ihn jemand ausgesetzt hatte. Da war er ein paar Wochen alt, und der einzige folgende Kontakt mit dem Tierarzt führte zu seiner Kastration.

Hannibal, Gleichgültigkeit simulierend

Mehr als ein Jahrzehnt später kam er noch einmal kurz in Behandlung, als er bei einem nächtlichen Kampf einen Hieb ins Auge erhielt, der unserer Meinung nach die Erblindung zur Folge haben, nach Meinung des Tierarzts aber mehr oder weniger folgenlos bleiben würde. Der Tierarzt behielt recht.

Vergangenen Sommer schien es mit Hannibal zu Ende zu gehen. Entzündete Zähne nahmen ihn mit, er lag nur noch teilnahmslos herum. Ein weiterer Arztbesuch ergab die Diagnose, es sehe nicht gut aus, aber Herz und Kreislauf seien noch in Ordnung. Fazit: „Der kann alt werden!“ Als ich fragte: „Was heißt alt, der ist sechzehn?“, antwortete der freundliche Tiermediziner: „Meiner ist gerade 21 geworden.“

Dennoch verschlechterte sich Hannibals Zustand so, dass wir den Arzt erneut aufsuchen wollten, aber der war gerade auf Urlaub und empfahl eine Kollegin, die sich als tatkräftig und entschlossen erwies. Die Zähne müssen raus, sagte sie, das sei ein gewisses Risiko, aber die Infektion würde nicht abklingen, würde ihre Quelle nicht beseitigt. Allerdings empfehle sie die Operation nicht im Hochsommer, sondern erst, wenn es wieder abgekühlt habe.

Ich erschien also mit dem Kerl im November und erfreute mich am Anblick von fünf oder sechs Katzen, die unter Infrarotlampen in ihren kleinen Tragkäfigen gerade von den Folgen diverser Eingriffe erwachten. Als ich die Praxis betrat, wurde ein Kater vom Operationstisch abschnallt, genau genommen war es ein Brettchen, auf das er mit Spagat gebunden war, was nach mittelalterlicher Folter aussah. Die Tierärztin interpretierte meinen Gesichtsausdruck richtig und schickte mich nach Hause. „Ich rufe sie an.“ Keine halbe Stunde später war sie am Telefon: „Er hebt schon das Köpfchen.“

Die gezogenen Zähne des Katers Hannibal

Seitdem besserte sich der Zustand des Rackers kontinuierlich, was durch eine halbe Herztablette täglich unterstützt wird. Den Winter hat er mit kurzen Unterbrechungen verschlafen, aber die Bachstelzensaison sah ihn in alter Frische. Der Husten ist fast weg. Die Vögel haben im Innenhof ihr Nest, der Kater legt sich in hoffnungsvolle Position, etwaige aus diesem Nest stürzende Köstlichkeiten sich sozusagen ins Maul fallen zu lassen, und wandert mit dem Lauf der Sonne dergestalt mit, dass er den Kopf immer im Schatten, den Körper immer in der Sonne hat.

Es gelang uns, auch die heurige Bachstelzensaison opferfrei zu halten. Nun sind die Schwalben dran. Hannibal besteht darauf, die Nacht im Freien zu verbringen, damit er bei Sonnenaufgang, wenn das Gezwitscher anhebt, zur Stelle ist. Bei den Schwalben sehen wir die Sache entspannter: die Alten fliegen Kamikazeangriffe gegen den Kater, der ungerührt tut, als sähe er das nicht. Die Jungen erwischt er nie und nimmer. Und doch liegt er da und schnurrt vor Vorfreude auf ein nie mehr stattfindendes Gemetzel. Einfach so.

Warum ich Ihnen all das erzähle? Wo ist die Moral der Geschichte? Neoliberal, scheißegal, Hannibal – das wollte ich doch einmal gesagt haben!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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