Die Masken fallen. Die neue Normalität ist da. Sie heißt Neoliberalismus.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 430

Armin Thurnher
am 31.05.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

In politisch dürftiger Zeit ist man dankbar für alles, was wie eine politische Analyse aussieht. Ich gebe zu, ich tendiere selbst dazu, auf den Überschmäh politischer Inszenierungen mit dem Untergriff der Satire zu antworten; angesichts der Löwingeriaden im Schweizerhaus und im Kanzleramt bleibt einem kaum etwas anderes übrig.

Wann hat sich eine Regierung mit ihren Auftritten je so lächerlich gemacht wie diese? Ihre Bildproduktion schafft den Beruf des Ikonografen ab. Was gibt es an den Kindergartenbildern mit dem Babyelefanten im Kanzleramt zu interpretieren, was lässt die schreckensgeile Pose von Kanzler rund Innenminister mit den zwei Wega-Polizisten, die den Attentäter – man kann es nicht anders sagen – erlegten zum Denken übrig, was soll man zu den Posen mit und ohne Masken hinter Plexiglas noch sagen?

Da bleibt einem das Hirn stehen, und die bei solchen bewegten Bildern vorgebrachten wortgleichen Phrasen diverser Sprechpuppen tun alles dazu, diesen Stillstand zu perpetuieren. Es ist eine Art Renaissancefest für kleine Maxis (uns). Damals, in der Renaissancezeit, pflegten Potentaten sich und ihre Herrschaft in aufwändigen, anspielungsreich aus antiken Mythen gespeisten lebenden Bildern und Umzügen mythologisch verherrlichen zu lassen. Für uns reicht politischer Löwinger mit Hanger und Köstinger.

Die Bauernlustbarkeit soll einerseits Herrschaft verfestigen, andererseits aber dazu führen, dass man die wohl gleichzeitig stattfindende Politik nicht identifiziert. Das beliebte Kunststück der Populisten, das Volk gegen seine eigenen Interessen aufzuwiegeln und es zu motivieren, gegen sich selbst zu wählen, hat schon seinen Sinn. Inszenierungstheater, Scheinkonflikte, systematisches Lügen laufen alle auf diesen Zweck hinaus, dem auch der Machterhalt der regierenden Partei dient. Medienkontrolle ist dafür Voraussetzung, sie ist aber nur ein Moment der allgemeinen Mentalitätskontrolle.

Mentaler Kapitalismus der einen Art ist der erwünschte allgemeine Bewusstseinszustand, nämlich der einen Art, die von Eliten geführt wird und zwar mit harter Hand zugunsten der Eliten. Eine seiner Voraussetzungen ist es, den Sinn für Politik auszutilgen und damit den Sinn für die Umstände, unter denen wir leben und unter denen Entscheidungen für uns getroffen werden.

Wir leben bekanntlich im Neoliberalismus und wissen es nicht. Beim Aussprechen dieser Wahrheit erscheint ein müdes Lächeln auf den Gesichtern jener, die uns die Welt in den Medien interpretieren; ah, der alte verblendete linke Depp, jetzt kommt er wieder mit dieser Phrase. Wir leben doch nicht in einer homogenen Welt wie im Kommunismus, wir agieren doch pragmatisch, realistisch und situationsangemessen.

Das stimmt, unsere kleine österreichische Welt hat immer noch genug Reste eines Sozialstaats, um die Diagnose „wir alle leben im Neoliberalismus“ als zweifelhaft erschienen zu lassen. Es gibt auch noch Ökonomen und Institutionen, welche die Welt anders interpretieren, von der Arbeiterkammer bis zur Gemeinwohlökonomie, von Peter Michael Lingens bis zum Momentum Institut.

Lars Feld Foto @ Stephan Röhl

Aber der Mainstream wird zusehends neoliberalisiert. Gerade hat der Ökonom Oliver Picek darauf hingewiesen, dass nach dem des WIFO nun auch der Chefposten des IHS neu besetzt wird (bis Jänner 2021 leitete es der jetzige Arbeitsminister Martin Kocher). Neuer WIFO-Chef wird bekanntlich Gabriel Felbermayr, ein höchst angesehener, bisher in Deutschland tätiger Ökonom, in Österreich auch Beiratsvorsitzender des neoliberalen Think Tanks der Industrie, Eco Austria.  Als sehr aussichtsreicher Kandidat für das IHS gilt Lars Feld, Wirtschaftsprofessor in Freiburg, in Deutschland vom sozialdemokratischen Finanzminister Olaf Scholz als Mitglied im Rat der Finanzweisen nicht mehr verlängert, dem er sogar zeitweise vorsaß, in Österreich Beiratsvorsitzender des Think Tanks Agenda Austria, der von Konzernen finanzierten Speerspitze neoliberaler Ideologie.*

Das zehnköpfige Leitungsgremium des IHS, früher rotschwarz besetzt, weist neben neun ÖVP-Mitgliedern gerade noch Caspar Einem (SPÖ) auf, entnimmt man einem Artikel von Hanna Kordik in der Presse. Die Frage, wer das IHS leitet, wird also nur mehr zur Frage, welche Fraktion der ÖVP gewinnt (als zweiter aussichtsreicher Kandidat neben Feld wird Guntram Wolff genannt, der in den USA lehrte und den Think Tank Bruegel Institut leitet), obwohl es heißt, dass drei in der Berufungskommission beigezogene Wissenschaftlerinnen die Frage entschieden, wenn sie sich einig sind.

Der Presse-Artikel sagt aber deutlich, dass die Finanzierung durch das Finanzministerium die Machtverhältnisse im IHS geändert hat.

Vor unseren Augen gestaltet sich also die ökonomische Denklandschaft und vor allem die Ideologieproduktion um. Die beiden größten österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute liefern jene Zahlen, Daten und Interpretationen, auf die sich Politik stützt. Die neoliberale Strategie bleibt nicht stehen: An den Universitäten hat sie gesiegt, mittels privat finanzierter Think Tanks beeinflusst sie die naive bis korrupte Öffentlichkeit, und ihr Ziel ist so klar, wie man es sich nur wünschen kann: Weg mit dem Sozialstaat, weg mit staatlichen Beschränkungen, her mit der Umverteilung nach oben.

Wir gelangen in die neue Normalität, die Masken fallen, der Krisenkeynesianismus (Koste es, was es wolle) wird wieder verdrängt durch die schwäbische Hausfrau (keine Schulden!) und die aufgeregten Besorgten kümmern sich um scheinbar durch Pandemie-Maßnahmen bedrohte individuelle Freiheiten (fern sei mir, ihre Bedeutung zu bestreiten!), während ihnen im Licht der Öffentlichkeit die Basis bürgerlicher Freiheiten entzogen wird: eine halbwegs gerechte Gesellschaft, ein sozialer Rechtsstaat.

*Falsche Namensschreibung und Vertauschung der Beiratsfunktionen wurden korrigiert.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!