Über die Mischung von Impfstoffen und andere ernüchternde Corona-Ansichten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 396

Armin Thurnher
am 19.04.2021

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„Wieso interpretiere ich alles anders? Zum Beispiel das hohe Infektionsgeschehen im Bezirk Schwaz unter den Ungeimpften?“, fragt sich Epidemiologe Robert Zangerle im heutigen Beitrag. Weiters informiert er über die Mischung von Impfstoffen, über psychische Belastungen und über Atemsprays und deckt ein paar mediale Desinformationen auf. A.T.

»In den letzten Tagen war ich immer wieder verblüfft, wie Mitteilungen oder Studien verlautbart wurden, sei es durch die Studienautoren selber oder wie Medien darüber berichteten. Sehr häufig bin ich solchen Meldungen nachgegangen, um dann zu sehen, dass es sich meist um ein- und dieselbe Studie bzw. Mitteilung handelte, die ich schon kannte, aber unter anderen Vorzeichen. Oft wurden dabei Erkenntnisse aus anderen Studien ausgeblendet, sodass die Einseitigkeit noch verstärkt wurde. Ausgewählte Beispiele solcher Diskussionen möchte ich kurz anreißen:

Wirksamkeit chinesischer Impfstoffe

Schon länger brannte die Frage unter den Nägeln, wie wirksam das Vermischen von Impfstoffen wohl sein könnte. In den nächsten Tagen beginnt in Europa ein millionenfaches Experiment, das diese Frage beantworten wird, weil jüngere Menschen (unter 55-65, je nach Land) statt der 2. AstraZeneca Impfung einen anderen Impfstoff, fast immer eine mRNA, erhalten werden. Ganz so äußerte sich Gao Fu, Leiter der Pekinger Seuchenschutzbehörde, der die Meinung vertrat, dass Impfstoffe, die auf inaktiviertem Virus („Totimpfstoff“) beruhen oder via Vektoren verimpft werden, prinzipiell eine niedrigere Wirksamkeit entfalten und „jeder sollte die Vorteile in Betracht ziehen, die mRNA-Impfstoffe der Menschheit bringen können. Wir müssen sie sorgsam verfolgen und sie nicht ignorieren, nur weil wir bereits mehrere Impfstoffe haben.“ Chinas bekannteste Impfstoffe auf Basis von inaktiviertem Impfstoff (d.h., inaktivierte ganze Viren) sind CoronaVac von Sinovac und bei Vektor-basiertem Impfstoff, Convidecia von CanSino Biologics.

Gao Fu schlug deshalb ein Vermischen der Impfstoffe vor, einen Vorschlag, den viele Wissenschaftler weltweit geäußert haben, so auch Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck. Die einzig wirklich große randomisierte Studie läuft in England, wo die Forscher die Medien darum baten, Wissenschaftler nicht direkt zu kontaktieren, sondern nur ihr Pressebüro. Mehr als verständlich, wenn man die Schlagzeilen zur Wortmeldung von Gao Fu Revue passieren lässt – „China zweifelt Wirksamkeit des eigenen Impfstoffes an“  in praktisch allen Schlagzeilen.

Mentale Folgen der Pandemie

Sowohl die COVID-19 Pandemie, als auch die Maßnahmen, die im Kampf gegen die Pandemie getroffen werden, sind Stressfaktoren für die Psyche. Verglichen mit der Zeit des Lockdowns im März/April 2020, stieg die Häufigkeit schwerer depressiver Symptome während der zweiten Welle im November 2020 stark an. Am stärksten unter psychischen Problemen leiden junge Menschen, Personen, die infolge der Pandemie finanzielle Einbußen erlitten, und Menschen in Gebieten, wo die zweite Pandemiewelle am stärksten war. Nicht selten werden in Studien Auswirkungen eines Lockdowns auf das psychische Wohlbefinden in den Vordergrund gerückt, als ob das so einfach von den Folgen einer Pandemie zu trennen wäre. Die Zahl der Suizide ist den ersten Monaten der Corona Pandemie im Frühjahr des vergangenen Jahres in den Industrienationen weitgehend unverändert geblieben oder zurückgegangen. Schwer zu beurteilen, inwieweit hier Maßnahmen wie finanzielle Hilfen gegen Arbeitsplatzverlust oder Aufrechterhaltung von Betrieben, mancherorts auch Aufstockung psychiatrischer Dienste dazu beigetragen haben mag. Viel belastender als kurze, harte Lockdowns dürften aber mit Sicherheit monatelange Maßnahmen sein, die ungenügend sind, die Fallzahlen ganz zu drücken. Auch aus dem Blickwinkel der mentalen Gesundheit ist es zentral, dass man alles tut, um die Infektionszahlen niedrig zu halten. Die Corona Kommission hingegen versteckt sich hinter der Phrase, Aspekte der psychosozialen Gesundheit seien bei allen Maßnahmen mit zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, um langfristige gesundheitliche Schäden und bildungsassoziierte Nachteile zu vermeiden.

Asthmaspray soll Wahrscheinlichkeit für schwere Verläufe von Covid senken

Während man zu Beginn der Covid Pandemie befürchtete, dass Patienten mit Asthma einen schwereren Verlauf von Covid zeigen könnten, fand man bald heraus, dass dies nicht zutraf, und man rätselte, ob dafür nicht der Gebrauch von Kortison-haltigen Sprays zu tun haben könnte. Deshalb war es naheliegend, die Wirkung eines solchen Sprays zu untersuchen. In einer sehr kleinen offenen, also nicht verblindeten, Phase II Studie von 146 Probanden (Hälfte erhielt Placebo) war der primäre Studienendpunkt Inanspruchnahme von Notfallhilfe (zuhause oder im Krankenhaus) oder eine Krankenhausaufnahme durch COVID Symptome. In der Placebo Gruppe erfüllten 9 von 73 den primären Studienendpunkt, während es in der Gruppe mit dem Wirkstoff Budenosid nur eine Person war. Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 45 Jahre, ein Alter, bei dem in einer so kleinen Gruppe auch zufällig der primäre Endpunkt nicht erreicht werden kann. Deshalb gehört diese Studie als Phase III Studie in einem wesentlich größeren Ausmaß und auch verblindet wiederholt, bevor man zu Begriffen wie „Game Changer“ greift.

Virusvarianten – Variants of Concern („Scariants“)

SARS-CoV-2 kann innerhalb eines Monats bis 2 Mutationen ansammeln, das entspricht der Hälfte dessen, was man beim Grippevirus, oder einem Viertel dessen, was man bei HIV findet. Die WHO setzt mögliche gefährliche Mutationen auf eine Liste (Variants of Concern). Diese sind entweder schneller übertragbar, gefährlicher in Bezug auf Sterblichkeit oder Krankenhausaufnahmen oder haben einen Weg gefunden, um eine Immunantwort zu umgehen. Die WHO führt daneben auch noch eine Liste von Variants of Interest. Dass die ansteckendere und krankmachendere Variante B.1.1.7 nun aber gleich 17 neue Mutationen auf einmal in ihrem Erbgut trägt, 8 davon im Gen für das Spike-Protein, hat alle überrascht. Denkbar ist, dass die Varianten in Ländern entstanden sind, wo bisher wenig sequenziert wurde, die graduelle Ansammlung von Mutationen deshalb unbeobachtet blieb, und erst jetzt auf einen Schlag auffiel. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Varianten in Personen mit geschwächtem Immunsystem entstanden sind, ein sehr seltenes Ereignis, weil auch immungeschwächte Personen eine Infektion mit SARS-CoV-2 meist schnell und effektiv eliminieren. Bei der Virusvariante B.1.351 waren die Befürchtungen über eingeschränkte Wirkungen besonders groß, weil (vor allem) deren Mutation E484K zu einer Abschwächung der Bindung und damit der Wirkung von Antikörpern führt, egal ob sie jetzt durch eine natürliche Infektion mit SARS-CoV-2 oder durch eine Impfung entstanden sind.

Darum ist eine fortlaufende Überwachung („Surveillance“) von Virusvarianten wichtig, genauso wie Kontrollen bei Einreisen mit Tests und Quarantäneregeln aus Risikogebieten. Und zwar auch aus Ländern, in denen wenig untersucht wird. Frankreich hat die Flüge aus Brasilien ausgesetzt. Brasilien (und Südafrika B.1.351) sequenzieren jedoch einen Teil der SARS-CoV-2 Viren, sodass schneller eine Mutation entdeckt wird. In Ländern ohne genomische Überwachung kann es aber genauso besorgniserregende Varianten geben. Keine der bisherigen Variants of Concern können die Schutzwirkung einer Impfung mit mRNA Impfstoffen (ab zwei Wochen nach der zweiten Impfung) umgehen. Aufgrund von Einschränkungen in der Wirksamkeit gegenüber B.1.351 bei den Vektorimpfstoffen (AstraZeneca und Janssen) kam die Idee des Vermischens, konkret also „Prime“ (Erstimpfung) mit dem einen – „Boost“ (Zweitimpfung) mit dem anderen Impfstoff auf.

Womit wir in nächster Zeit rechnen müssen, sind alarmistische Meldungen zu sogenannten Durchbruchsimpfungen bei Geimpften. Angefangen hat es mit einer kleine Studie aus Israel, die oft so ausgelegt wurde, als würde die BioNTech Impfung gegen B.1.351 („Südafrika Mutante“) nicht gut wirken. Das ist eine viel zu oberflächliche Interpretation. In seltenen Fällen findet man aber auch unter Geimpften Infektionen mit SARS-CoV-2, die Wirkung vor symptomatischer Infektion liegt bei BioNTech/Pfizer bei 91%. Die Wirksamkeit für asymptomatische Infektionen liegt selbstredend darunter, aber genaue Zahlen werden erst Ergebnisse laufender Studien zeigen.

In der erwähnten Studie aus Israel wurden jetzt im Nachhinein („retrospektiv“) 150 vollständig Geimpfte mit 150 Ungeimpften verglichen. Alle waren PCR positiv. Das ist insofern nicht ganz richtig, weil sich unter den „vollständig“ Geimpften Personen befanden, deren 2. Impfung noch keine 14 Tage her war. Bei den 150 infizierten Ungeimpften fand man einen Fall der „Südafrika Mutante“, bei den 150 infizierten Geimpften 8 solche Fälle. Aber keinen einzigen Fall bei jemand, wo die 2. Impfung 14 Tage zurück lag. Martin Moder von den Science Busters beglückwünschte die Frankfurter Rundschau für eine der irreführendsten und unverantwortlichsten Schlagzeilen der letzten Monate, weil sie wie viele andere auch die eingeschränkte Wirkung der Impfung besonders betonten. Ich finde das ungerecht, weil diese Belobigung genauso Der Spiegel oder der ORF  verdient hätten, die hatten nämlich nicht nur dasselbe geschrieben sondern auch noch Adi Stern, die Leiterin der Studie, zu einem Mann erklärt. Sensationsgeilheit überwiegt Informationspflicht.

B.1.351 war da nicht was? Ach ja, Tirol das Gebiet mit der größten Zahl an Infizierten mit der „südafrikanischen“ Variante außerhalb Südafrikas. Und die 100 000 vorzeitigen Dosen von EU/Biontech/Pfizer für den Bezirk Schwaz in Tirol. Als ich mich kundig machte, wer das denn angeleiert hat, wurde ich nicht fündig. Aber ich weiß es. Zumindest mitverantwortlich dafür war ganz sicher der Arzt, bei dem ich klinisches Räsonieren lernen durfte, sonst fresse ich einen Besen. Dass der Bruder von Ursula von der Leyen in einem kleinen unbekannten Bergdorf Tirols auf fast 1600 m Seehöhe lebt, hat vermutlich nicht geschadet. Biontech und Pfizer hatten ein sehr hohes Interesse, die Wirksamkeit ihres Impfstoffes in einer Region mit einem enormen Anteil von B.1.351 zu untersuchen. Mir soll es recht gewesen sein.

Was ist im Bezirk Schwaz passiert? Etwas Außergewöhnliches. Der Bezirk wurde innerhalb von 2 Monaten der Ausreisebeschränkungen zu einem Gebiet mit noch einer neuen Variante, nämlich B.1.1.7 + E484. Erneut ruft das Auftreten einer Virusmutation in Tirol Unruhe hervor. Ausreisebeschränkungen von Tirol nach Österreich ohne Ende? Bei dieser „Fluchtmutante“ namens B.1.1.7-E484K wird eine geringere Wirksamkeit der Impfungen befürchtet. Das ist nicht ganz falsch, weil das Auftreten mit der Impfung im Bezirk Schwaz verknüpft ist, wie die nachfolgende Tabelle mit Daten vom 29. März, gut 14 Tage nach der 1. Impfserie zeigt. Das sind Daten von der AGES, zu denen eine Spalte über das Vorkommen von B.1.1.7 + E484 nach Bevölkerungszahl hinzugefügt wurde. Da dominiert der Bezirk Schwaz deutlich vor den beiden angrenzenden Bezirken Innsbruck-Land und Kufstein.

 

Bevor weitere Ergebnisse aus dem Bezirk Schwaz vorgestellt werden, habe ich das nicht unironische Vergnügen, als bekennender ins Tirolerische nicht-integrierter Montafoner (das gilt auch für meinen Reviewer Niki Romani), Tirol und seine Bezirke vorzustellen. Auf der Landkarte liegt der Bezirk Schwaz östlich von Innsbruck und grenzt an die Bezirke Innsbruck-Land und Kufstein. Die Grenze zum Bezirk Kitzbühel ist, so wie die Grenze vom kleinen Walsertal zu Vorarlberg, nur für Rotwild und Gämsen zu überwinden. Der Bezirk Schwaz durchmisst mit dem Achental von Norden und mit dem langen Zillertal nach Süden das ganze Bundesland Tirol.

Wenn wir das Infektionsgeschehen im Bezirk Schwaz und den angrenzenden Bezirken seit der Kalenderwoche 43 (endete am 25. Oktober) bis zum heutigen Tagen anschauen (es ist jeweils die 7-Tagesinzidenz vom Ende der Woche aufgetragen) so fällt zunächst die enorme Ausbreitung von Covid während der 2. Welle auf. Des Weiteren die Buckel in Kalenderwoche 1 im Bezirk Kitzbühel (englische „Skilehreranwärter“) und in Woche 3/4 im Bezirk Schwaz auf (wo das Skigebiert Hochfügen wegen an B.1.351 erkrankter Liftangestellter für ein paar Tage schließen musste). Die dritte Welle startet in Tirol verspätet in Kalenderwoche 10, es dauert bis B.1.1.7, die doch ansteckendere Variante, sich begann durchzusetzen. In diese vermehrte Ausbreitung fiel die 1. Impfserie im Bezirk Schwaz (11. – 15.März, in der Stadt Schwaz bis 16. März, also KW10/11). Deshalb muss die neue Variante B.1.1.7 + E484 in Zusammenhang mit der Impfung gesehen werden.

Wenn man in eine Bevölkerung hineineinimpft, in der auch das Virus in hoher Zahl zirkuliert, besteht zumindest die Möglichkeit, dass das Virus sich anpasst und Mutationen sich durchsetzen können, die dieser wachsenden Immunantwort im Individuum entgegenwirken und die Impfung möglicherweise weniger wirksam machen. Aber zwei Wochen nach der 2. Impfserie (8. – 11. April, in Schwaz bis 13. April) wird auch damit Schluss sein. Der dramatische Rückgang im Bezirk Schwaz in Kalenderwoche 13 und 14 kam in der in der letzten Woche zum Stillstand, ja die 7 Tagesinzidenz ist in den letzten 4 Tagen sogar inzwischen von 55 auf 72 gestiegen.

Es herrscht sehr hohes Infektionsgeschehen in den Nachbarbezirken, Kitzbühel weicht davon ein wenig ab (wie schon in der 2. Welle). Tirol muss handeln, die 3. Welle läuft auf hohem Niveau, auch im Bezirk Schwaz! Dort halt unter den Ungeimpften, und wenn man von 25-33% Nicht-Immunen (also weder Impfung noch vorhandene Immunität durch vorige Infektion) ausgeht, dann käme man auch auf Zahlen wie in Kufstein und Innsbruck Land. Das ist ein wichtiger Hinweis auf das Problem mit der „Gesamt“-7-Tagesinzidenz, denn immer mehr werden wir merken, wie das täuschen kann, wenn bestimmte Teile der Gesellschaft geimpft sind und andere (noch) nicht. Von Israel wissen wir, weniger Todesfälle und Krankenhausaufnahmen in einer spezifischen Altersgruppe werden beobachtet, sobald etwa die Hälfte von ihr jeweils geimpft ist.

Zum Abschluss: Wir wissen jetzt noch nicht, welche Varianten im Herbst zirkulieren werden. Ich bin zuversichtlich, aber vorbereitet müssen wir sein. Für die Schule könnte es wieder schwierig werden, vor allem, wenn sich so wenige Lehrer wie in Vorarlberg impfen lassen wollen.«    R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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