Desinformiert. Eine Sekunde in der Corona-Kommunikation der Regierung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 293

Armin Thurnher
am 03.01.2021

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Ein Jahr Koalition. Jetzt ziehen sie wieder Bilanz. Ich zeihe die Zieher der Zugschwäche. Sie ziehen derzeit nicht, die Politikberater. Seuchenbedingt mussten sie pausieren, nun nützen sie gnadenlos die Gelegenheit, vor uns zu treten und Dinge zu sagen wie: „Das war ein fremdgesteuertes Jahr.“ Nein, das ist nicht gnadenlos genug. Ich wünsche mir ein politberaterisches Quartett! Lasst uns winseln, Politikberater!

Die 200 Pressekonferenzen der Regierung hätten das Bild geprägt. „Das könnte schon zu viel gewesen sein“, meinte ein anderer Berater. Wirklich? Gibt es Studien, die diese gewagte Annahme untermauern? – Ich ermahne mich heuer schon zum zweitenmal selber, zu einem sachlichen Ton zu finden. Diese Leute haben es nicht leicht. Die Tatsachen liegen zu klar auf der Hand.

Das Virus spitzte die Krise der öffentlichen Verständigung zur Sichtbarkeit zu. Die 200 Pressekonferenzen der Regierung brachten kommunikationsmäßig viel, denn „die Umfragen“ sehen noch immer gut für sie aus. Informationsmäßig brachten sie nichts. Nicht trotz, wegen ihrer medialen Aufdringlichkeit. Die vielen Corona-Toten? Ach, sagt der Vizekanzler, wir lagen doch die längste Zeit in Europa an der Spitze.

Pandemische Krisenkommunikation wird nur in Bananenstaaten permanent politisch usurpiert, in entwickelten Ländern überlässt man sie medizinischen Fachleuten. Das sage ich gern zweihundertmal, wenn nötig, auch öfter.

Die zweite Einsicht, die sich den Politikberatern nicht erschloss, ist, dass eine nationale Krise dieser Heftigkeit es nicht rechtfertigt, die Opposition auszuschließen. Wieder und wieder: Es hätte ein Allparteiengremium gebraucht, um diese Regierung und vor allem den Kanzler und seine Handlungen vom berechtigten Verdacht zu befreien, alles und jedes parteipolitisch zu nutzen. Wie der Kollege Klenk es einmal treffend ausdrückte: der stiehlt die Siege, die Niederlagen delegiert er.

In der Kommunikation selbst zeigte sich (wie gestern hier erwähnt) erstens die Durchtränkung von allem mit Werbung, und zweitens die parteipolitische Färbung. Fast alle Regierungskommunikation sieht irgendwie aus wie ÖVP-Kommunikation, die Schriften, die Sprache, die Farbtöne, das ganze Setting.

So wird sie insgesamt unglaubwürdig.

Als Beispiel diene der sachlich tuende Werbespot des Gesundheitsministeriums mit dem Mediziner Markus Müller, der scheinbar den Forderungen nach Kommunikation durch Fachleute Rechnung trägt. Scheinbar, denn der Spot stellt einmal einen Mediziner in den Vordergrund. Aber er tut das auf eine Weise, die gleich wieder signalisiert, dass es um etwas anderes geht.

Sekunde 22 im Werbespot mit Rektor Markus Müller. Wichtige Information: seine Krawatte Foto: @ BMSGPK, Screenshot

Der Spot beginnt damit, dass Müller sich an die Brille fasst; eine privat Geste, von der Seite aufgenommen. Sie soll wohl „die Atmosphäre entspannen“, aber sie tut das Gegenteil: sie nimmt der Verlautbarung Gewicht. Dann die „offizielle“ Einstellung, Müller in Dreivierteltotale, von vorn, in einem vage kenntlichen Arbeitsraum. Nicht einmal einen Satz lang darf das Bild so bleiben, gleich wird er auf Halbtotale geschnitten. Und zurück, wobei die Kamera nicht ruhig bleibt, sondern sich immer leicht bewegt. Diese Verweiflungsmaßnahme von Regie und Kameraleuten, die ihren Bildern nicht vertrauen und sie deswegen durch Bewegung „aufbessern“ (in Wahrheit unbetrachtbar machen) kennt man von allerlei Kunst- und Konzertaufnahmen. Und wieder geht’s zurück auf näher. Dann noch näher, die Kamera zeigt den blütenweißen Mantel mit Aufdruck Medizinische Universität Wien; und gleich wieder Porträt. Man hört schon nicht mehr, was Müller sagt, so sehr wird man durch diese Bewegung abgelenkt, und es sind erst 22 Sekunden vergangen. Dann kommt unvermittelt ein Close Up auf Müllers Krawatte, die Kamera schwenkt auf sein Gesicht, wieder Closeup, dann wieder Halbtotale, und wieder Closeup aufs Porträt. Das war’s. Dann kommt noch etwas Schrift, Informationen zu Ihrer Impfung.

Das Ganze ist weich gezeichnet und in einer Art pseudo-türkisem Farbton gehalten wie eine ÖVP-Werbung light.

Kein Mensch kann bei diesem geradezu hysterischen Kameragehampel noch aufmerksam hören, was Müller sagt. Inszeniert wird, dass einer etwas sagt, der blütenweiß gekleidet, gut rasiert und ruhig zuversichtlich spricht. Was er sagt: egal. Professor Müller wird vorgeführt wie ein Paradiesvogel in einem Universum-Film, nicht wie ein Experte, auf dessen Worte es ankäme. Gerade die Superzeitlupe hat noch gefehlt.  Die Filmemacher demonstrieren, wie sie den Inhalt dominieren, stellvertretend für die Regierung, die sie beauftragt hat. Dieser Müller sagt euch was, aber wir, die euch sagen, was er sagt, sind die Wichtigen (subkutan: die ihr wieder wählen werdet).

Für mich ist diese aufwändige Verhinderung von Verständnis – bei gleichzeitig erfolgreicher Gefühlsmassage – ein Sinnbild für das kommunikationspolitische Versagen der Regierung. Fachleute degradiert sie zu Kompetenzschauspielern, ja zu Kompetenzkuriosa; für sich selbst beansprucht sie jene schmucklose Frontalkommunikation, mit der man Information verbindet. Es ist vielleicht nicht einmal Absicht. Es ist nur Unvermögen, die Formen zu gebrauchen. Die Absicht, öffentliche Kommunikation zu eigenen Zwecken zu missbrauchen, zeigt sich dabei leider überdeutlich. Und ich zahle den Unfug mit.


Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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