Corona ist unser Neujahrskonzert – all year long

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 292

Armin Thurnher
am 02.01.2021

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Das neue Jahr. Der Bundespräsident hat vor dem Volk schön gesprochen. Riccardo Muti hat vor den Philharmonikern schön gesprochen. Jetzt soll auch noch ich schön sprechen, obwohl ich kein virtuelles Millionenpublikum vor mir habe? Schwer spüre ich die Verpflichtung auf mir lasten.

Gerade bei solchen Gelegenheiten kann einem nicht entgehen, dass Schönsprechen nicht die Probleme unserer Tage löst. Wie schön sprach nicht Barack Obama! Wie wenig von dem, was er rhetorisch an Hoffnungen weckte, löste er politisch ein? Denkt man darüber nach, ist Schönsprechen vielleicht ein Problem unserer Tage.

Möglicherweise, denke ich, kann man die Covid-Pandemie, Version Österreich, als Entgleisung des Schönredens erzählen. Das Schönreden meint es immer gut mit jemandem, es will es besonders richtig für ein Anliegen machen, das Ungute, das Miese, das immer da ist, ein wenig ausblenden, das Positive in den Vordergrund rücken.

Nehmen wir den Burgenlandfilm in der Pause des Neujahrskonzerts, wo das Maximum zumutbarer Schönrednerei weit überschritten wurde, und die philharmonische Selbstfeier zusammen mit der Werbung für ein Bundesland, das sich werbemäßig vielleicht besser auf die Spiele der Fußballnationalmannschaft beschränken sollte, in ein Maximum an Verlogenheit mündete, das die Lächerlichkeitsgrenze spielend hinter sich ließ. Wie kann man ein mit EU-Fördergeld hochgepumptes Gebiet voller Windräder und Winzer-Hi-Tech als gemütlich Puszta-Ochsenkarrenidylle hinstellen?

Wir Österreicher können das, so sind wir eben, es ist nur für einen guten Zweck, wer kann da dagegen sein? Das Ausland lacht, aber wir hören nur Lob.

Österreich ist ein Neujahrskonzert, mit Routine, aber auch bewundernswertem Schwung spielen wir uns selber, und ehe wir fertig sind, liegt die Merchandising-Ware schon bereit, samt den Berichten über Rekordverkäufe, und den Berichten darüber, dass wir den Beifall der Welt einfingen, als wir uns einander selber vorspielten: Wir sind wer in der Welt, das können wir als Medienereignis inszenieren, hier ist es, bittesehr. Der ORF inszeniert sich als patriotisch-unentbehrliches Accessoire gleich mit.

Halt inne, Thurnher, du machst den Leuten schon wieder etwas madig, was ihnen am Herzen liegt. Ist ja recht, unser österreichisches Seelchen braucht dergleichen. Es braucht Sportreporter, die nicht berichten, sondern mitfiebernd ins Mikrophon grunzen und nur dann Haltung bewahren, wenn sie ihrem Präsidenten untertänig den gebotenen Tribut entrichten, Schröcksnadel natürlich, nicht Van der Bellen, und die nur dann sachlich werden, wenn sie über den Beitrag von Ski- Schuh und anderen Marken am sportlichen Erfolg oder Misserfolg berichten.

Ok, ich halte inne. Aber ich frage: Wieviel Verlogenheit hält man noch aus? Wen wundert’s, wenn Kritiker aus Verzweiflung ins schrille Quietschen rutschen? Im neuen Jahr will ich mich um weniger Schrillheit bemühen. Die Kraft der ruhigen Verzweiflung mobilisieren.

Die Corona-Seuche ist eine Art medizinisches Neujahrskonzert, was die Kommunikation betrifft. Der Kanzler gibt den Maestro. Beim Neujahrskonzert wird auch Musik gespielt, wen interessiert schon welche oder wie, wenn beim Radetzkymarsch diese Japaner und unsere Großköpfe nicht mitpaschen durften? Bei der Seuche sterben Menschen, andere verlieren ihre Existenz, werden überfordert, an den Rand ihrer Möglichkeiten getrieben.

Darüber schweben politische Erscheinungen, die für sich das Beste daraus zu machen versuchen, und was immer geschieht, in einen Nebel glanzvoller Lügen hüllen. Wie konnte das geschehen? Am Anfang steht die zeitgenössische Auffassung von Politik, die diese durch politische Werbung ersetzt. Man braucht keine Ideologien mehr, kein Politbüro. An deren Stelle sind Werbefachleute und Botschaftskontrolleure getreten, wie wir alle wissen. Ihre wichtigste Aufgabe: Differenzen unterdrücken, mit einer Sprache sprechen, alle dasselbe daherreden. Es klingt wie die Verabredung zur Zeugenaussage.

Nicht, dass man früher zu uns Klartext gesprochen hätte. Aber die politische Lüge hatte eine gleichsam handfeste Gestalt. Es war wie ein Rosshandel, man wusste, man wurde getäuscht, aber man wusste, das gehörte halt dazu.

Jetzt mischt sich Politik mit der kommerziellen Lüge der Werbung, deren erste Lüge darin besteht, dass sie nicht lügt, sondern behauptet, sie rege uns zur wahren Einsicht an. Wie die Schlange im Paradies halt. Der neue politische Paradiessprecher denkt an sich selbst zuerst. Soviel Empfindlichkeit ist beim Publikum noch vorhanden, dass es das bemerkt. Aber nicht soviel, dass es bei Wahlen die Konsequenz daraus zöge. Nur soviel, dass es jedes Vertrauen verliert und sich abwendet.

Groß ist dann die Verwunderung über die Begriffsstutzigkeit der Masse, die unaufgeklärt handelt, höchstens dem vorgeführten Muster des kruden Eigeninteresses folgt, sich bar jedes Gemeinsinns an Skilifte stürzt, in Partys zusammenballt, die quengelnden Kids nur loswerden und sich unter allen Umständen dicht aneinanderdrängen möchte.

Die Regierung hat verlernt, wie Aufklärung geht. Sie kann nur mehr Werbung, und Werbung hat sie gemacht und macht sie weiter. Sie kann ihr Volk nur mehr verführen, nicht zu ihm sprechen (worum sich Alexander Van der Bellen mit wechselndem Erfolg immerhin bemüht). Selbst wenn sie von kindischen Inszenierungen wie dem Quartett oder dem Elefanten abgeht und versucht, einen medizinischen Experten ins Bild zu setzen, der über die Impfung informieren soll, misslingt ihr das auf eine Weise, die einen über sich selber staunen lässt: Man lauscht der sogenannten sachlichen Information und wundert sich am Ende, dass sie einem beim Auge hinein und beim Ohr hinaus ging und man nichts behalten hat.

Mehr darüber demnächst hier.


Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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