Man sollte besser über Sport berichten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 186

Armin Thurnher
am 18.09.2020

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Dominic Thiem mochte meinen Tennistext. Er hat das mit der Verleihung eines Herzens auf dem Kurznachrichtendienst ausgedrückt, und ich muss zugeben, das hat mich mehr gefreut als manches. Man weiß ja nie, wer einen liest. Wenn ein Autor von dem, den er beschreibt, gelesen und auch noch anerkannt wird, freut ihn das. Als es mir mit dem Pianisten Alfred Brendel geschah, wurde ein ganzes Buch und eine freundschaftliche Beziehung daraus. Großes Ehre erwies mir ein Brief des Schauspielers Dieter Hofinger, der mir vor einem Jahr schrieb, er habe beim Ordnen seiner Papier eine 40 Jahre alte Theaterkritik von mir gefunden und wolle sich endlich dafür bedanken.

Die vielen schönen Reaktionen auf meinen Tennistext waren oft mit der Frage verknüpft, warum ich nicht öfter über Sport schreibe. Dazu kann ich nur sagen, das kommt davon, dass sie mich nicht lesen. Ich schreibe über Sport, seit ich schreibe. Vielleicht sollte ich ab und zu einen alten Text hier abdrucken. (Drohung!)

Auch in den Falter brachte ich gleich Sport. Obwohl er in einer linken Stadtzeitung mit kulturellem Schwergewicht „eigentlich“ und damals (post 68) schon gar nichts zu suchen hatte. Ich dachte aber, eine Stadtzeitung brauche Stadtsport und suchte Plätze in der Vorstadt auf, die mir zum Teil aus eigener Praxis im unterklassigen Fußball bekannt waren.

Ruppige, graslose, sandige, schottrige Gstettn, starkem Wind ausgesetzt, mit verdächtigen Kantinen und rohen Umkleideräumen. Ich suchte naturgemäß das Exotische und berichtet einmal von einem Match des FC Gehörlose, dessen Name mich beim Studium der Tabellen fasziniert hatte, die damals samt allen Unterklasse-Resultaten montags in den Zeitungen erschienen. Wie es der Zufall wollte, oder vermutlich, wie es die Regel war, endete das Match in einer Schlägerei. Die Gegner, echte Wiener mit dem Feingefühl einer Vorhut von Attilas Hunnenheer, foppten ihre gehörmäßig herausgeforderten Gegner. Als diese dann ein Signal des Schiedsrichters (er agierte mit Flaggen) übersahen und weiterspielten, flogen die Fäuste. Ich finde den Text nicht mehr, denke aber nicht, dass er auf angemessenem literarischem Niveau mitspielte.

Um dieses ginge es bei der Sportberichterstattung. Eifrig las ich George Plimptons „Paper Lion“. Der Gründer der Literaturzeitschrift Paris Review erzählt darin, wie er sich als dritter Quarterback ins Trainingslager der Footballmannschaft der Detroit Lions einziehen ließ. Der erste Poetry Editor dieser Zeitschrift, Donald Hall, schrieb ein berühmtes Gedicht, „Baseball“, in neun Innings. David Foster Wallace war selbst Tennisprofi. Sportbegeistert waren viele Schriftsteller, von Pindar aufwärts. Wirklich gute Sportberichterstattung ist selten. In der Süddeutschen Zeitung findet man sie; der berühmte Kritiker Joachim Kaiser und andere Koryphäen schrieben dort angeblich unter Pseudonym Bundesligaberichte. Die SZ zeigt, dass eine Sportseite das Niveau des Feuilletons halten muss. Müsste.

Im Falter haben wir es immer wieder versucht und tun es noch. Mit dem Klassetorhüter Günter Wawrowsky interviewte ich Sportler. Wir dachten, das gehört zum Stadtleben. Das Publikum murrte kaum, vielleicht, weil die beiden Elfrieden Jelinek und Gerstl daneben über Mode schrieben, damals (1983) ebenfalls ein „eigentlich“-Tabu. Hans Krankl spendete uns auf die Frage, ob er den Falter lese, die Antwort: „Ja, da is viel über Musik drin … sonst is des ja a Mörderzeitung.“

Johann Skocek brachte in den 1980er Jahren unter dem Pseudonym Stefan Sprung Fußballerportraits, die er in der Presse nicht schreiben konnte, wo er Lokalredakteur war. Wolfgang Kralicek und heute Lukas Matzinger lassen immer wieder aufblitzen, was literarische Sportprosa sein könnte.

Sonst leide ich wie ein Hund unter der österreichischen Sportberichterstattung und habe sie immer hart kritisiert. Einmal wurde es Elmar Oberhauser, damals ORF-Sportchef, zuviel und er lud mich zu einem Dialog mit der gesamten Sportredaktion des ORF auf den Küniglberg. Man kann sich denken, wie erfreut die Kollegenschaft war, die zum Dialog mit einem vergattert wurde, der sie als stammelnde Fans und Herolde der Milkakuh verhöhnt hatte. Behindert vom pädagogisch zwar ausgebildeten (Lehrer) aber nicht besonders ambitionierten Sportchef, der dazwischenbellte, sobald sich doch ein Dialog anzudeuten begann, verlief das Ganze, wie man so schön sagt, im Sand. Ich wollte Sprachkritik, Workshops zur genauen Beobachtung und Arbeit am Vokabular anregen, aber das interessierte niemanden. Mit Finstergesichtern saßen sie die Zeit im Atrium des Küniglbergs ab, froh, mich wieder loszuwerden. Meinen einzigen Auftritt in der Pressestunde verdanke ich ebenfalls Oberhauser. Mit Hans Huber saß ich Fifa-Chef Sepp Blatter gegenüber, dem berühmten Korruptionisten, dem wir natürlich in keiner Weise Herr wurden.

Immer und überall stellte ich fest, dass das Bedürfnis nach besseren Sportberichten groß und das Defizit übergroß ist. Das fußballerische Quartett, das ich gemeinsam mit Dirk Stermann im Rabenhoftheater moderierte, war nicht nur ein Publikumserfolg. Es zeigte, dass man über Sport ganz anders reden kann, als uns das die diversen Kommerzformate vor allem im TV vormachen wollen. Da sich das nicht ändert, ist Sportprosa oft Sportleidensprosa. Ich werde nicht aufhören zu leiden. Auch in dieser Kolumne.

Ich glaube Dominic Thiem aufs Wort, dass er keine Sekunde an Geld denkt, wenn er den Platz betritt. Klar verleiht die mit Geld verbundene Aufmerksamkeit dem Ereignis Bedeutung, Bedeutungsschwere, Schwere. Grand Slam ist Grand Slam. Und mit Geld läuft viel aus dem Ruder im Sport.

Aber auf dem Platz ist da nur dieser andere, da drüben, und vor allem dieser andere in dir selbst. Mit ihm bist du fast jede Sekunde deines Lebens in Dialog. Aber im Sport, und in einem Psychosport wie Tennis besonders, ist dieser andere nicht nur ein Stimmchen im Kopf. Er ergreift deinen Köper und zieht ihn ins Gespräch. Zuschauend nehmen wir teil an diesem Dialog und werden bis zur Selbstvergessenheit in ihn hineingesogen. Ob gut oder schlecht, es ist eine Erfahrung, für die es sich zu leben lohnt. Manchmal.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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