Dominic Thiem besiegte die Schlümpfe. Ich weiß, was er meint.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 183

Armin Thurnher
am 15.09.2020

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Gestern Nacht saß ich bis drei Uhr früh vor dem Fernseher und sah mir das Match an. Das Match, man muss nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen es gesehen haben. Es gab bessere als dieses. Wenige waren so spannend. Als es begann, war ich müde. Die ersten beiden Sätze machten mich nicht munterer, denn es kam wie so oft. Man hofft mit einem österreichischen Sportler, mit einem österreichischen Team, und man erlebt es immer wieder, im entscheidenden Moment knicken sie ein, schaffen es gerade nicht, das Gras war zu stumpf oder der Schnee zu aggressiv, der Gegner zu stark, die Gegnerin zu gemein. Man war besser und steht dann als Zweiter da.

Dominic Thiem bei den US Open

Bild: (APA/AFP/GETTY IMAGES/Matthew Stockman)

Alexander Zverev begann gegen Dominic Thiem, als wolle er ihn wegschießen. Und er tat es. Im ersten Satz war Thiem nicht da. Am Ende konnte ich nicht mehr sitzen. Um halb drei Uhr früh stand ich vor Aufregung vor dem Fernseher.

Ich darf berichten, dass auch ich einmal in einem Finale war, und ein bisschen, ein kleines bisschen verstehe, was in einem Tennisspieler vorgeht, in dessen Arm sich die Schlümpfe breit machen, wie das Dominic Thiem so schön ausdrückte. Man könnte auch Seuche sagen, der Kolumne wegen, aber Schlümpfe ist deutlich herziger. Bei mir war es so, dass ich das Finale der Vorarlberger Jugendmeisterschaften im Tennis erreichte, 1967, nach bestandener Matura, das heißt, nicht mehr im vollen Trainings-, sondern im vollen Feiermodus. Aus Lässigkeit rauchte man vor einem Ligamatch schon einmal ein Zigarettchen.

Zudem fand das Spiel am frühen Sonntagvormittag statt, ich musste vorzeitig aufstehen. Für meine Leistung war das nie gut. Niedriger Blutdruck. Niemand sagte uns, wie wir uns ernähren, wie wir unseren Kreislauf in Schwung bringen sollten, eigentlich war ich eine arme Sau, Sie dürfen jetzt beginnen mit mir zu schluchzen, denn ich hatte nicht einmal einen Betreuer, der Vater meines Gegners nahm mich im Auto von Bregenz nach Bludenz mit, meine Eltern waren das Gegenteil von Tenniseltern, sie interessierten sich so überhaupt nicht für mich, dass sie nie auch nur ein einziges meiner Spiele sahen.

Ich war nicht ganz schlecht, vor allem trainierte ich, damals unüblich, auch abseits des Platzes Kondition; in der B-Mannschaft des TC Bregenz strauchelte der eine oder andere blasierte Favorit gegen mich Burschi. Generell pfiff man auf uns Jugendliche, wenn wir nicht Ausnahmetalente waren. Die Alten waren froh, dass wir ihnen nicht die Plätze wegnahmen, um fünf Uhr abends war für uns Schluss. Gemeinsames Training mit den Spitzenspielern war nicht einmal angesagt, als wir in der Landesliga um den Titel spielten. Ich gab den Jugendlichen (einer pro Mannschaft musste dabei sein) und musste mit unserer Nummer Eins im Doppel antreten, ohne je mit dem Herrn zusammengespielt zu haben. Kein einziges Training, nichts. Naturgemäß verloren wir aufgrund divergierender taktischer Auffassungen.

Im Finale der Jugendmeisterschaft traf ich auf einen talentierteren, jüngeren Kerl. Ich wusste, ich musste riskieren. Zu meinem Erstaunen ging das anfangs gut, ich war sozusagen sein Zverev und führte schnell; bei 5:2 und 40:15 endeten zwei sichere Vorhandwinner am Netzband, die Schlümpfe besetzten Arm und Knie, und ich verlor 5:7, 1:6.

Deswegen ahne ich zwar nicht, was es heißt, einen Zweisatzrückstand so zu drehen, wie das Dominic Thiem gegen Alexander Zverev im Finale des US Open tat. Da ging es nicht um einen kümmerlichen Becher, einen lächerlichen Titel und fünf Zeilen in den Vorarlberger Nachrichten, da ging es um einen Grand Slam Titel, drei Millionen Dollar und noch mehr sowie anhaltenden Weltruhm. Aber ich ahne, wie das mit den Schlümpfen in einem Finale ist.

Jeder Ball erfordert von dir einen kleinen Sieg über den Schlumpf, der in dir hockt und dir suggerieren möchte, dass du nichts riskierst. Dass du den Ball ein bisschen weiter hinten, ein bisschen weiter unter triffst. Ein anderer Schlumpf übermannt dich und treibt dich in den Wahnsinn, und schon hast du deinen Paradeschlag zu früh eingesetzt, zu viel Kraft hineingesteckt, ihn einen halben Meter ins Aus geschlagen. Du schwankst zwischen Schlumpf A und Schlupf B, da erwischt dich Schlumpf C und hemmt deine Hand bei einem hohen Backhandslice, einem deiner sichersten Schläge, aus dem er plötzlich jeden Schwung nimmt, sodass der Ball am Schläger verhungert und ballonartig ins Netz schwebt. Von Schlumpf D, dem Aufschlagsschlumpf nicht zu reden. Der packt dich, wie er manchmal Zverev packte und zerstört deinen Bewegungsablauf, sodass du unter dem von dir irgendwohin geworfenen Ball stehst und ihn nicht mehr schlägst, sondern ihn ohne Schnitt irgendwohin schupfst (mit 117 km/h!) und ihm hilflos nachsiehst, wie er verreckt. Einwurf sagten wir zu so was. Unsere Einwürfe waren etwas langsamer.

Und wenn du imstande bist, all diese Schlümpfe, die deinen Körper in eine zugleich zitternde und bleischwere Masse verwandeln, die deinen blind eintrainierten Bewegungsabläufen nicht nur nicht folgt, sondern sie in eine lächerliche Parodie verwandelt, sodass du dich selbst nur mehr maulend höhnen kannst, wenn du diese Kerle überwindest und Souveränität über diesen lächerlichen Sack namens Körper zurückgewinnst, und der Ball nicht mehr mit dir macht was er will, sondern du ihn fest ins Auge fasst und locker und entschlossen triffst, wen du auf einmal besser bist als du bist, dann bist du ein Meister. Dieser Dompteurakt seiner selbst ist unvorstellbar schwer. Wie selten er ist, zeigt die Tatsache, dass in der modernen Geschichte der US Open vor Thiem niemand im Finale bisher einen Zweisatzrückstand in einen Sieg verwandeln konnte.

Geschieht so etwas, werden menschliche Grenzen überwunden. Das begeistert uns, gleich ob es Yogis, Pianisten, Boxern, Denkern, Schauspielern oder Tennisspielern gelingt. Es ist ein Nietzsche-Moment, ohne den alten Schnauzbart zu sehr zu strapazieren, jedenfalls ein ästhetischer Augenblick, wenn nicht ein Gottesbeweis, wie David Foster Wallace in einer berühmten Eloge auf Roger Federer schrieb. Der Lohn ist das Unwahrscheinliche. Ein Ball, der nicht geschlagen, sondern bezwungen wird, wie der, den Thiem nach zwei Volleys von Zwerev am deutschen Riesen schneller mit der Vorhand vorbeiblockte als man denken kann. Oder einer dieser Backhand-Longlines wie der letzte in Thiems Viertelfinalmatch gegen Alex de Minaur, der einen Zentimeter übers Netz als Strich so blitzartig hinüberzischt und hinten im Eck aufkommt, dass der Gegner sich erst umdreht, wenn der Ball hinter ihm in der Abdeckung eingeschlagen hat. Er sieht gerade noch einen erschossenen Schlumpf zu Boden fallen, der sich aufrappelt und jetzt an ihn heranmacht.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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