Das Lesekränzchen im FALTER-Buchclub ist ein Format, um gemeinsam Bücher zu lesen und zu besprechen. Durch die Kooperation mit Verlagen können wir in jedem Lesekränzchen einige Freiexemplare verlosen, die Leserunden stehen aber allen Mitgliedern des FALTER-Buchclubs offen. Hier veröffentlichen wir die besten Rezensionen der Mitlesenden. Viel Spaß beim Durchstöbern!
In ihrem neuen Roman, der aktuell im Hanser Verlag erschienen ist, versucht Monika Helfer, der Figur ihres Vaters nachzuspüren. Aus verschiedenen Erzählsträngen webt sie ein Bild von ihm, das gezwungenermaßen unscharf bleiben muss, wie das Bild am Umschlag. Denn er ist eine Person, die sich nicht mitteilt, nicht mitteilen kann … und auch an seinem Äußeren, seinem Gesicht lässt sich nicht viel ablesen.
Wie bereits in ihrem letzten Roman „Die Bagage“, wo Helfer das kurze Leben ihrer Mutter und deren Familie in den Mittelpunkt stellt, gibt sie uns stellenweise Einblick in ihren Schaffensprozess – kurze Einschübe zur Erinnerungsarbeit mit Schwester und Stiefmutter, der Besuch mit ihrem Mann im „Paradies“, dem Ort, wo alles gut war, der Konnex zu der Stelle, wo ihre Tochter verunglückte … das alles ergibt sich stimmig, ganz so, als ob Helfer mit am Tisch sitzt und erzählt.
Unter den Armen die Ärmsten, aus diesem Milieu stammt sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater. Das Lesen und Schreiben ermöglichen ihm andere Welten als die, in die er hineingeboren, in die er geworfen wird – der Krieg als Zäsur für einen Gymnasiasten, der später von einem Chemiestudium träumt, seine manische Liebe zu Büchern, die ihn fast sein Leben kostet, die Liebe zu einer Frau, die viel zu früh von seiner Seite gerissen wird … und immer wieder „die Bagage“, die die Familie auf besondere Art zusammenhält. Stoff genug für eine Lebensgeschichte, die am Ende glücklich und tragisch zugleich kulminiert.
Bei Helfer kommen diese Ereignisse leise daher, fast lakonisch. Oft packt sie starke Momente in kurze Sätze, wie hingeworfen. Und daneben stehen atmosphärisch dichte Beschreibungen etwa von ihrem „Paradies“, der Wiese hinter dem Heim, oder der verrauchten Enge in der Bregenzer Wohnung der Tante. Helfer schöpft aus ihren Erinnerungen, auch wenn diese trügerisch sein mögen. „Ich versuche mich zu erinnern. Das muss genügen.“
Es genügt, ein gelungener Versuch. (Rezension von Birgit Reiner)
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Monika Helfer berichtet in ihrem Buch „Vati“ über Fragmente aus dem Leben ihres Vaters , ihrer Kindheit, und ihrer Gegenwart. Teilweise sind dies wundervolle Beschreibungen ihrer Kindheit in Vorarlberg (will unbedingt mal auf die Tschunga), teilweise sind sie seltsam distanziert und die Gefühlswelt von „Vati“ bleibt nebulös und fern. Am Berührendsten sind für mich die Teile des Buches, in denen Helfer von ihrer verstorbenen Tochter Paula schreibt.
Für mich ist es ein Buch für die Nachkriegsgeneration und für alle, welchen „Die Bagage“ gefallen hat. (Rezension von Georg Kaindl)
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Wer Gefallen an Monika Helfers autobiographischem Roman „Die Baggage“ mit ihrer Mutter als Mittelpunkt gefunden hat, der wird auch von „Vati“ – der Familiengeschichte aus Sicht des Vaters – nicht enttäuscht werden. Gleich mit den ersten drei Sätzen „Wir sagten Vati. Er wollte es so. Er meinte, es klinge modern“ fühlt man sich mitten im Familiengeschehen und dadurch sofort angesprochen. Als es dann bald mit „Wir sagten Mutti. Unser Vater wollte es so. Weil er meinte, es klinge modern. Modern war unsere Mutter nicht“ in dieser Art weitergeht, sind Helfers Eltern und ihre Einstellungen gut charakterisiert. Vati verliert im Krieg ein Bein und bekommt später eine Prothese. Bald lernt er Helfers Mutter im Lazarett kennen. Nach dem Krieg wird er Verwalter in einem Kriegsopfererholungsheim in Vorarlberg und richtet dort auch eine Bibliothek ein. Man erfährt in vielen zeitlichen Sprüngen interessante Episoden aus Helfers Familiengeschichte und nicht immer ist Vati präsent und verschwindet sogar manchmal vollkommen aus dem Fokus.
Auch im zweiten Teil gelingt es Helfer uns ihre Erinnerungen nicht nur an ihren Vater in gewohnt klarer Sprache näherzubringen. Das nach mehr als zwei Jahrzehnten fortgeführte „Gespräch“ zwischen Vater und Tochter – wohl eine Art Lebensbeichte – hinterlässt einen eher positiven Eindruck. Nicht nur für Buchliebhaber ist Vatis unvorhergesehener Tod inmitten seiner geschätzten Bücher dann jedoch sehr tragisch. Der letzte Satz im Buch „Wir alle haben uns sehr bemüht.“ fasst sehr gut das Durchhaltevermögen der Familie auch unter schwierigsten Verhältnissen und Bedingungen zusammen. Wer Helfers minimalistischen und prägnanten Schreibstil schätzt, dem kann man daher auch „Vati“ uneingeschränkt empfehlen. (Rezension von Daniel Wundsam)
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Als begeisterte Biographieleserin stürze ich mich in die Geschichte „Vati“ von Monika Helfer und versinke auch gleich in ihrem mühelosen Erzählstil. Wunderbar, wie sie aus der Perspektive des eigenen kindlichen Ich ihre Erinnerungen ausbreitet, wie sie in schnörkelloser Sprache, aber doch bunt und lebendig Situationen und Menschen beschreibt. Zwischendurch führt sie uns auch in ihre erwachsene Gegenwart, in der sie nachdenkt und betrachtet, aber nicht reflektiert.
Und genau das ist es aber , was mir in der zweiten Hälfte des Buches fehlt, als alles anders wird, als der Lebensweg der kleinen Monika und ihrer Geschwister wirklich schwer wird. Genau da lässt sie mich als Leserin im Stich, sie bleibt in der rein äußerlichen Kindheitswahrnehmung und erzählt mir nicht, wie es gefühlsmäßig wirklich für sie war. Was haben all diese Erlebnisse aus ihr und ihrer Familie gemacht? Wenn sie im Buch auch in die Gegenwart und in ihr erwachsenes Ich schlüpft, warum lässt sie uns nicht teilhaben an dem heutigen Wissen über dieses Mädchen, das ihr Leben gemeistert hat? Was hat ihr wirklich geholfen in der schweren Zeit, als die Familie zerrissen und aufgeteilt war? Wie war es, als die Familie wieder zusammengeführt wurde? Hier lässt mich die Autorin mit vielen unbeantworteten Fragen allein zurück.
Soll man dieses Buch also nicht lesen? Doch, wenn man wissen will, wie es ist, einen Büchernarr als Vater zu haben, wie es ist, als Kind mit vielen Kriegsinvaliden konfrontiert zu sein, wie es ist, über eine Wiese auf der Tschengla zu laufen, wie es ist, wenn eine Familie auf der Terrasse dem vorlesenden Vati zuhört und wie es ist, Schwestern zu haben, dann soll man es lesen. (Rezension von Léla Wiche-Holzinger)
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Das Buch ist im FALTER-Shop erhältlich: https://shop.falter.at/detail/9783446269170