„Es geht nur darum, auf tiefste Weise zu keilern”

Das hochgelobte Nachhilfe-Startup GoStudent soll versuchen, seine Kunden mit dubiosen Verkaufstricks abzuzocken. Der Lernerfolg der Kinder? Völlig egal. Ein ehemaliger Mitarbeiter packt im FALTER.morgen-Interview aus.

vom 30.06.2022

„Bei der Probestunde bekommt man kompetente Tutoren, die gut mit Kindern können." (© GoStudent)

Sechs Monate lang hat Chrissi* im direktem Kundenkontakt bei dem Nachhilfe-Startup GoStudent gearbeitet, die dubiosen Verkaufspraktiken hat er hautnah miterlebt: „Man glaubt, das gibt es nur im Film, aber so läuft das dort wirklich“. Im FALTER.morgen-Interview packt Chrissi aus.

Sie sagen, die Verkaufspraktiken sind dubios. Wie läuft das ab? 

Alles beginnt mit der Gratis-Probestunde, die der Kunde auf der Website buchen kann. Hat er das getan, ist er ein Lead, so werden die Interessenten genannt. Ab diesem Zeitpunkt haben die Sales-Mitarbeiter seine Kontaktdaten und sie haben ihn.

Wie geht es weiter?

Bei der Probestunde bekommt man kompetente Tutoren, die gut mit Kindern können. Dann wird der Lernplan erstellt. Da geht es aber nicht darum, den besten Lernerfolg für das Kind zu erzielen, sondern dem Kunden einen Vertrag für 48 Monate anzudrehen. Mitarbeiter, die einen anderen Ansatz verfolgen, etwa einen optimalen Lernplan zu erstellen, werden aussortiert und in die Kundenbetreuung geschickt.

Ist das tatsächlich passiert?

Ja. Ich hatte eine Kollegin, die wollte sich intensiver mit den Kunden beschäftigen und ihnen einen passenden Lernplan vorstellen. Ihr wurde dann nahegelegt, in die Kundenbetreuung zu gehen. Das ist dann auch passiert. Ich habe sie im Customer-Service eingeschult.

Was ist, wenn ein Schüler die Nachhilfe nicht für 48 Monate, sondern nur für kurze Zeit braucht?

Es wird immer versucht, das längste und teuerste Abo anzubieten. Wenn du das als Kunde nicht brauchst, versuchen dich die Verkaufsmitarbeiter sukzessive zum Abschluss zu bringen. Die Verkäufer sind darauf geschult, Verträge über mindestens 12 Monate abzuschließen. Das geringste Abo wäre sechs Monate. Aber das akzeptiert fast kein Verkäufer. Wenn man einen Einblick in das Unternehmen hat, wird einem schlecht.

Wie bringt man einen Kunden zum Abschluss?

Die ganze Kommunikation ist auf’s Telefon beschränkt. Es gibt keine schriftlichen Vereinbarungen. Wenn jemand etwas Schriftliches anfordert, wird er vertröstet. Man sende die Verträge nachträglich zu, heißt es dann. Also nach dem Verkaufsabschluss. Es geht nur darum, dass die Kunden einen mündlich bindenden Vertrag eingehen. Da kommen sie dann nicht mehr raus.

Es gibt ein gesetzlich vorgeschriebenes Widerrufsrecht im Fernabsatz. Das sieht eine 14-tägige Rücktrittsfrist vor.

Ja, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Aber darauf weist die Kunden niemand hin. Das steht nur irgendwo kleingedruckt in den AGBs.

Sie sagen, dass die Verträge automatisch nach Laufzeitende verlängert werden. Wie funktioniert das?

Das ist die größte Schweinerei. Die Verträge verlängern sich automatisch um die volle Laufzeit – und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem man abgeschlossen hat. Wenn ich also im Mai einen dreijährigen Vertrag eingehe und nicht kündige, verlängert sich der Vertrag automatisch um drei weitere Jahre. Die Verkaufsmitarbeiter machen sich darüber lustig, dass den Leuten jeden Monat Geld von ihrem Konto abgebucht wird und sie es nicht merken. Ich habe persönlich genug Fälle bearbeitet, wo sich die Kunden darüber beschwert haben.

Was sagen die Kunden bei so einem Gespräch?

Das sind sehr emotionale Calls. Einmal hat ein Mann angerufen, der gerade ein Haus gebaut hat. Er hatte einen Vertrag für 48 Monate abgeschlossen. Nach zwei Wochen rief er an und sagte, er kann nicht mehr, er hat sich beim Hausbau verkalkuliert. Auf seinem Konto sei nichts mehr drauf. Der hatte einen Vertrag mit einer monatlichen Abbuchung von 140 Euro. Ich habe mir dann den Sales-Call angehört. Das war echt grenzwertig. Er hat nicht einmal genau gewusst, was er da bestätigt. Ihm wurde das Blaue vom Himmel erzählt, man wolle das Kind mit den besten Lernplänen unterstützen und so weiter. Er hat sich schließlich bequatschen lassen und abgeschlossen. Du kannst ihm dann nichts anderes sagen als, du bist an den Vertrag gebunden. Es geht nicht darum, dem Kind eine Lernhilfe zu bieten. Es geht nur darum auf tiefste Weise zu keilern. Ob der Kunde eine andere Sprache spricht, ist relativ egal.

Die Verkäufer nutzen es aus, wenn der Kunde nicht Deutsch spricht?

Ja. Ich hatte in der Kundenbetreuung eine Frau am Telefon, die sich über ihren Vertrag gewundert hat. Sie hat behauptet, sie hätte nie ein Abo abgeschlossen. Unser Gespräch fand auf Englisch statt, weil sie kein Deutsch gesprochen hat. Ich habe mir den Verkaufs-Call dann selbst angehört und es war definitiv klar, dass sie nicht wusste welche Verpflichtung sie eingeht. Da müsste der Sales Mitarbeiter eigentlich Stopp sagen. Aber er hat abgeschlossen.

Der Verkaufsmitarbeiter hat Deutsch mit ihr gesprochen?

Ja, und alles, was sie während des ganzen Gesprächs gesagt hat war: ja, nein und okay. Sie hat definitiv nicht verstanden, worum es ging.

Wie lange dauert so ein Verkaufsgespräch?

Zwischen zehn und 45 Minuten. Je mehr sich der Kunde sträubt, desto länger wird’s.

Was treibt die Verkäufer an?

Das sind alles 20- bis 30-Jährige, die mit dem großem Geld gelockt werden. Für jeden Verkauf bekommt man eine Provision. GoStudent verspricht ein Managergehalt, wenn man es schafft, genug zu verkaufen. Und es stimmt. Ein Top-Verkäufer geht mit 5.000 Euro raus.

Warum hast du nach sechs Monaten gekündigt?

Ganz ehrlich, ich hätte es moralisch nicht mehr geschafft. Du fragst dich dauernd, was machst du da? Womit verbringst du deine Tage? Dann hatte ich ein anderes Jobangebot und bin gegangen. Sucht’s euch einen anderen Dodel, der die Leute abzocken will.

Sowohl beim Verbraucherschutz (VKI) als auch bei der Arbeiterkammer in Oberösterreich und der Steiermark sind Beschwerden über die Praktiken von GoStudent eingegangen. Der VKI hat in einem Fall die unzulässige Vertragsverlängerung gerichtlich bekämpft und recht bekommen. Man habe das Gefühl, dass Druck ausgeübt wird, um Geld zu verdienen, heißt es vom Verbraucherschutz.

GoStudent hat auf die Anfragen von FALTER.morgen bislang nicht reagiert.

*Namen, Dienstort und Geschlecht will Chrissi aus Angst vor Konsequenzen nicht öffentlich machen. FALTER.morgen liegt sein Dienstvertrag vor. 

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