Nach dem Dammbruch

Tausende Tonnen toter Fisch, freigesetzte Chemikalien, zerstörte Bewässerungssysteme und Äcker und kein Trinkwasser: Der Süden der Ukraine erlebt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms eine beispiellose Umweltkatastrophe

Natur, FALTER 24/2023 vom 13.06.2023

Die ukrainische Stadt Cherson vergangene Woche: Die Altstadt ist überflutet. Freiwillige Helfer evakuieren die Menschen in Ruderbooten: Die Wasserpegel waren teils auf mehr als fünf Meter gestiegen (Foto: AP/picturedesk.com)

Vielleicht hat diese kleine Linie die Katastrophe angekündigt. In der Nacht auf den 6. Juni 2023 schlug in einer seismologischen Messstation in der rumänischen Region Bukowina um 2.35 Uhr Früh der Zeiger aus. Die Experten vor Ort, sie arbeiten für das norwegische Norsar-Institut, errechneten daraus eine Explosion rund 600 Kilometer weiter östlich, in der Ukraine, da wo der Kachowka-Damm den Dnepr zu einem riesigen See aufstaut. Zur selben Zeit barst der Damm. Seither entlädt sich das Reservoir – mit 18 Milliarden Kubikmeter Füllmenge fast halb so groß wie der Bodensee – über die südliche Ukraine. Den Menschen oberhalb des Stausees hat es das Trinkwasser weggeschwemmt, den Menschen unterhalb des Stausees wird das Trinkwasser verdorben. Der Wasserschwall ergoss sich durch Industriegebiete und nahm von dort giftige Stoffe mit. 95.000 Tonnen Fisch sollen verendet sein. 10.000 Hektar an landwirtschaftlicher Nutzfläche sind verheert, die für den Betrieb notwendigen Bewässerungssysteme zerstört. Landminen schwimmen im Wasser. Die Stadt Cherson steht immer noch unter Wasser. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem Ökozid, also einer durch menschliches Handeln verursachten Naturkatastrophe. Gesicherte Informationen über die Urheberschaft der Staudammzerstörung gab es bis Redaktionsschluss nicht, nur Indizien, wie die Linien in der Messstation in der Bukowina. Fest steht aber: Ohne den russischen Krieg in der Ukraine würde die 30 Meter hohe Mauer noch stehen.

Fest steht überdies: Das Gebiet des Kachowka-Staudamms haben zuletzt russische Truppen kontrolliert. Und gesichert ist auch: Vom russisch besetzten linken Ufer des Dnepr wurden nach dem Dammbruch Granaten auf Cherson und die Helfer geschossen. Einer von ihnen war der orthodoxe Oberrabbiner der Ukraine, Moshe Azman. Der Falter hat ihn in Kiew erreicht. Was er erlebte, lesen Sie in dem Augenzeugenbericht auf Seite 45.

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