"Wir können noch nicht klar sagen, wie wir die mehr als 500.000 Gasthermen am Ende umtauschen. 

Die Stadt Wien steht vor einer riesigen Herausforderung: Sie will bis 2040 raus aus Gas. Dafür müssen hunderttausende Thermen getauscht, das Fernwärmenetz massiv ausgebaut und tausende Fachkräfte angeworben werden. Wie soll das gehen? Darüber hat FALTER.morgen mit Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) gesprochen.

vom 31.01.2023

Sie haben vorige Woche nach einer Regierungsklausur das Raus-aus-Gas-Konzept vorgestellt. Das meiste, was Sie präsentiert haben, war nicht neu. Wozu war die Klausur?

Czernohorszky: Mich überrascht diese Frage. Viele Expertinnen und Experten haben monatelang daran gearbeitet. Stimmt, unsere Ankündigung war nicht neu. Im Regierungsprogramm haben wir beschlossen, dass wir bis 2040 raus aus Gas wollen. In den vergangenen Monaten haben wir aber eine Roadmap erarbeitet. Dieser Plan enthält konkrete Strategien für die Umstellung von Gebäuden mit unterschiedlichen technischen Herausforderungen und Sanierungstypen.

Dann gehen wir’s durch. Dieser Plan ist in drei Phasen aufgeteilt. Die erste war die Erarbeitung des jetzt präsentierten Konzepts. Was passiert in der zweiten Phase bis 2025? 

Czernohorszky: Wir arbeiten seit voriger Woche an der Wärmeplanung für den Bestand, derzeit gibt es diese Pläne für den Neubau. Dabei wird die Stadt in Zonen eingeteilt, in denen in Zukunft die Fernwärme ausgebaut wird und solche, wo es andere Lösungen braucht. Die Wienerinnen und Wiener wissen dadurch, wo die Fernwärme hinkommen wird und die Eigentümer haben Zeit, ein zentrales Heizsystem im Gebäude zu errichten. Die Wien Energie wiederum hat eine Verpflichtung, die Haushalte bis 2040 anzuschließen.

Die Fernwärme wird bis 2040 ungefähr 56 % der gesamten Wärme ausmachen. Womit sollen die restlichen 44 % heizen? 

Czernohorszky:  Zum einen mit lokalen Wärmenetzen. Das sind Grätzellösungen, für die ein liegenschaftsübergreifendes Energienetz zur Verfügung stehen wird. Haushalte werden über Leitungen an die zentralen Wärmesysteme angeschlossen und mit oberflächennaher Erdwärme, oder anderen Energielösungen versorgt. Im Kleinen machen wir das schon, etwa die Smart City Baumgarten zwischen Linzer Straße und Hütteldorfer Straße. Zum anderen: hauseigene Lösungen. Da gibt es einen Blumenstrauß an Technologien: Abwärmepumpen, Oberflächenerdwärme, Luftwärmepumpen und Biomasse (Anm.: z.B. Pellets). Aber diesen Weg wollen wir nicht massiv ausbauen, weil Biomasse nur endlich verfügbar ist.

Nicht jeder Haushalt wird eine Wärmepumpe nutzen können. 

Czernohorszky: Doch. Wir reden von nahezu 99 %, für die es entweder eine hauseigene Lösung gibt, die auf Wärmepumpen-Technologie basiert oder sie werden an Nah- und Fernwärmenetze angeschlossen. Eine Erdwärmepumpe ist vielleicht nicht überall möglich, aber dann gibt es die Möglichkeit zur Nutzung von Abwärme oder einer Luftwärmepumpe. Die Wärmepumpen-Technologie ist ein Alleskönner. Biomasse werden wir nur in Ausnahmefällen brauchen.

Und die Vorarbeiten dafür sollen bis Ende 2025 abgeschlossen sein?

Czernohorszky: Wie gesagt: Bis 2025 erarbeiten wir die Wärmeplanung, damit jeder weiß, woran er ist. Dann arbeiten wir an den 100 Projekten Raus-aus-Gas. Bis 2025 werden wir 100 Gebäude herzeigen können, die umsetzbare Lösungen für jene Gebiete aufzeigen, die nicht ans Fernwärmenetz angeschlossen werden können. Diese Lösungen kann man dann auf ähnliche Situationen skalieren. Das andere große Thema dieser Legislaturperiode wird sein, dass wir die Fernwärme in vier Gebieten voll ausbauen. Das sind das Alliiertenviertel, das Servitenviertel, das Grätzel rund um den Huberpark im 16. Bezirk und die Gumpendorferstraße.

Bis 2025 will man 100 Projekte umsetzen und vier Gebiete vollständig an die Fernwärme anschließen und ab 2026 sollen 600.000 Thermen komplett umgestellt werden – in 14 Jahren? 

Czernohorszky: Wir haben den Plan zum Gasausstieg ja jetzt vorgelegt und wir sind das einzige Bundesland, das sich diesem Ziel klar und zur Gänze verschrieben hat.

Messen Sie sich an den anderen Bundesländern oder an dem Ziel, dass der Ausstieg bis 2040 gelingen soll?

Czernohorszky: Wir werden das bis 2040 machen. Das wird natürlich eine riesige Mammutaufgabe. Wir können noch nicht klar sagen, wie wir die mehr als 500.000 Gasthermen am Ende umtauschen. Wir wissen auch noch nicht genau, wie die errechnete Investitionssumme von 30 Milliarden Euro am Schluss gestemmt wird. Wir wissen aber, welche politischen Rahmenbedingungen wir setzen müssen, damit wir das Vorhaben in diese Richtung bringen. Es wird eine Partnerschaft mit Unternehmen und anderen Akteuren brauchen. Der Arbeitsmarkt ist ein riesiges Thema. Aber am Anfang steht eine politische Entscheidung und die hat außer Wien noch kein anderes Bundesland getroffen.

Stichwort Arbeitsmarkt. Unternehmen und Hauseigentümer erzählen, dass es jetzt schon zu wenig Installateure gibt. Wie viele zusätzliche Fachkräfte bräuchte Wien, um die Umrüstung zu schaffen? 

Czernohorszky: Wir haben in der Regierung ausgearbeitet, welche Green Jobs es braucht: Vom Installateur, der Elektrotechnikerin, dem Planer bis zu Moderatorinnen und Moderatoren, die diesen Weg mit Hausgemeinschaften steuern können. Es wird in Wien ein eigenes Fachkräftezentrum des waff (Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds) geben und wir als Stadt haben die Lehrlinge massiv aufgestockt.

Was heißt massiv? 

Czernohorszky: Aktuell hat die Stadt Wien und ihre Unternehmen mehr als 1.000 Lehrlinge. Das bauen wir stark aus.

Wie stark?

Czernohorszky: Insgesamt ist die Stadt Wien einer der größten Ausbildnerin überhaupt. Es gibt hier keine Grenze nach oben.

Wie viele zusätzliche Mitarbeiter wird es beispielsweise im Bereich erneuerbare Energien geben? Die Stadtwerke suchen immer noch nach Lehrlingen mit Schwerpunkt Gas, Sanitär- und Heizungstechnik. 

Czernohorszky: Natürlich. Das ist der Lehrberuf.

Es gibt auch Installateure, die eine einjährige Zusatzausbildung mit Schwerpunkt Ökoenergien absolviert haben.

Czernohorszky: Stimmt, aber wir brauchen alle Lehrberufe. Bis die Umstellung abgeschlossen ist, muss die Wien Energie das Gasnetz aufrechterhalten. Und was die Ausbildung betrifft, die Lehrpläne machen wir nicht. Die macht der Bund. Da braucht es dringend ein Update. Die Themen Fernwärme oder Wärmepumpe sind bislang nur ein Add-On der Installateur-Ausbildung. Es braucht auch mehr Ausbildungsplätze. Die letzte HTL in Wien hat vor 35 Jahren eröffnet. Die Frage ist, wann der Bund hier endlich in die Gänge kommt.

Lehrlinge können sich jetzt schon auf erneuerbare Energien spezialisieren. Die Wien Energie könnte gezielt nach Bewerbern suchen, die sich darauf fokussieren möchten. 

Czernohorszky: Die Stadtwerke und die Stadt suchen bereits sehr gezielt Lehrlinge in Klimaberufen. Dort werden auch Experten ausgebildet. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, die Lehrpläne zu erneuern.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wie viele zusätzliche Installateure wird es bis 2040 brauchen? 

Czernohorszky: Es gibt Schätzungen, dass die Sonnenstrom-Offensive in Wien regional 3200 zusätzliche Arbeitsplätze bedeuten wird. Bei Raus-aus-Gas wird das ähnlich sein. Wir reden von tausenden zusätzlichen Fachkräften in diesem Bereich.

Und wie wollen Sie die bekommen? 

Czernohorszky: Erstens muss sich die Branche umstellen. Da braucht es klare politische Aussagen, damit Unternehmen Zeit haben, Know-How zum Thema Wärmepumpen aufzubauen. Deswegen ist es Gift, wenn das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz (EWG) so lange auf sich warten lässt. Das zweite ist, dass wir Projekte mit unseren Partnern realisieren. Der Wohnbauträger Sozialbau-AG bildet etwa Fachkräfte aus. Auch die Stadtwerke suchen und bilden aus.

Zum EWG: Die SPÖ ist an den Verhandlungen mit dem Bund beteiligt. Die Regierung ist also nicht der einzige Grund, warum nichts weitergeht. 

Czernohorszky: Doch. Ich war von Anfang an dabei. Das EWG wurde in seinen Grundlagen in einer Steuerungsgruppe ausverhandelt. Die Gruppe bestand aus allen Energielandesräten, dem Klimaministerium und dem Finanzministerium. Im Juni 2021 waren wir fertig. Im Herbst 2021 gab es einen einstimmigen Beschluss aller Energielandesräte. Danach ist ein Jahr lang nichts passiert, erst 2022 ging der Entwurf in Begutachtung und dann ins Parlament. Aber bis Jahresende hat es keinen einzigen Verhandlungstermin gegeben. Der Schmäh, dass die SPÖ Schuld ist, geht sich nicht ganz aus. Die Verhandlungsposition der SPÖ ist konstruktiv und da wird es auch eine Lösung geben.

Wenn das EWG beschlossen ist, werden Eigentümer dann gesetzlich dazu verpflichtet, die Gasthermen ihrer Mieter zu tauschen? 

Czernohorszky: Das EWG sieht da so etwas vor. Und das wäre auch die Grundidee für den ordnungspolitischen Rahmen, den wir in Wien setzen werden.

Wenn jemand gerade erst seine Therme getauscht oder eine neue eingebaut hat, dann funktioniert diese noch mindestens 20 Jahre. Es wird sehr teuer, wenn man nach ein paar Jahren wieder umrüsten muss. Ist für solche Fälle ein Kostenersatz geplant?

Czernohorszky: Wenn die Therme kaputt geht, muss man wissen, dass man auf Erneuerbare umstellen muss. Deswegen müssen die Republik und andere Gebietskörperschaften in die Gänge kommen. Aber sicherlich wird es zwischen Bund und Ländern abgestimmte Förderungen brauchen, damit keine ökonomische und soziale Härte entsteht. Wenn jemand am Monatsende keine 50 Euro übrig hat, wird er keine Therme tauschen können.

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