„Zugegeben, die Situation ist nicht schön"

Bei vielen Straßenbahn- und Buslinien kommt es aktuell zu Verspätungen. Woran liegt das und was tun die Wiener Linien dagegen? Darüber hat der FALTER.morgen mit Wiener-Linien-Geschäftsführerin Alexandra Reinagl gesprochen.

Daniela Krenn, Soraya Pechtl
vom 11.01.2023

Vorige Woche haben die Wiener Linien bekannt gegeben, dass es zu weiteren Intervallausdehnungen kommt. Hat sich die Situation seit der letzten Anpassung im November gar nicht verbessert? 

Reinagl: Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Wir haben das sechstgrößte Straßenbahnnetz der Welt und die dichtesten Takte. Wir fallen von einem sehr hohen auf ein hohes Niveau. Wir greifen 3 Prozent des Fahrplans an. 97 Prozent bleiben weiterhin unverändert. Die Morgenspitze und die U-Bahnen sind nicht betroffen. Unser Ansinnen war es, das Mindestmaß an Veränderung durchzuführen. Wir haben bereits im November versucht, mit einer 0,4 prozentigen Fahrplananpassung dem Personalmangel entgegen zu treten. Dann sind mit Jahresende extrem viele Krankenstände gekommen. Und die Anpassung von November hat nicht mehr gereicht, daher haben wir jetzt weitere Maßnahmen umgesetzt. Zugegeben, die Situation ist nicht schön. Aber wir wollen jetzt klar kommunizieren, wie wir die Situation verbessern wollen.

Die Wiener Linien kämpfen mit einem Personalproblem. Im Dezember haben Sie einen Mitarbeiterbedarf von 100 Straßenbahnfahrern und nochmals 100 Busfahrern ausgegeben. Wie viele konnten Sie seither rekrutieren?

Reinagl: Das hält sich momentan ein bisschen die Waage. Wir haben eine steigende Fluktuation. Die Austrocknung am Arbeitsmarkt führt dazu, dass Menschen schneller kündigen, weil sie die Gewissheit haben, dass sie woanders einen Job bekommen. Der Personalunterstand ist also nach wie vor bei hundert.

Heuer gehen bei den Wiener Linien 600 Mitarbeiter in Pension. Hätte man darauf nicht früher reagieren müssen?

Reinagl: Wir haben darauf reagiert. Wir haben eine strategische Personalplanung und wussten, dass die Babyboomer Generation in Pension gehen wird. 2020 und 2021 haben wir daher tausende Leute rekrutiert. Viele waren während der Pandemie in Kurzarbeit oder arbeitslos und sind dann zu uns gekommen. Nur haben uns manche wieder verlassen. Wir müssen uns natürlich die Frage stellen, warum das so war. Aber nicht abschätzbar war, dass der Arbeitsmarkt – und das zeigt sich in allen Branchen – nach 2021 sehr rasch durch die konjunkturelle Lage ausgetrocknet ist. Falsch eingeschätzt haben wir auch die Qualifikation und Lernwilligkeit der Arbeitswilligen. Kaum jemand will außerhalb der Ausbildungsstätte lernen. Wir mussten daher den Lernprozess während der Ausbildung vertiefen und die Schule um fünf Tage verlängern.

Warum ist der Personalmangel gerade bei Straßenbahn- und Busfahrern so eklatant? Und bei U-Bahn-Fahrern nicht?

Reinagl: Es gibt rund 500 U-Bahn-Fahrer. Im Vergleich sind es bei der Straßenbahn 1.300 und bei den Bussen circa 1.200. Die Dimension ist also eine andere. Aber ich stelle mir diese Frage auch. Ich glaube, der Beruf des U-Bahn-Fahrers ist mit weniger Stress verbunden, weil man auf einem eigenen Gleisbett, abgeschnitten vom restlichen Verkehr fährt. Die Straßenbahnen sind großteils im Fließverkehr unterwegs, wo sie nie ausweichen können. Das ist eine große Herausforderung. Stellen Sie sich vor, sie haben einen proppevollen Zug. Dann kommt ein Falschparker, an dem sie nicht vorbeikommen. Die Fahrgäste regen sich auf und Sie haben andere Straßenbahnen hinter sich, die warten. Ich glaube, dass sind Situationen, vor denen potentielle Mitarbeiter zurückschrecken. Dazu kommt auch, dass wir 24/7 in Betrieb sind. Da entstehen natürlich Dienste, die nicht angenehm sind.

Kurz vor Weihnachten gab es einen offenen Brief von Straßenbahnfahrern, die die Arbeitsbedingungen bei den Wiener Linien kritisieren. Zum Beispiel, dass sogenannte Unterbrecherdienste zunehmen würden. Das heißt, ein Straßenbahnfahrer hat eine Frühschicht, geht auf eine mehrstündige unbezahlte Pause und arbeitet nachmittags wieder. 

Reinagl: Die Attraktivierung der Fahrdienste ist ein wesentlicher Punkt unseres Maßnahmenpakets. Die neuen Kollektivverträge sehen eine Lohnerhöhung vor (Anmerkung: von 2.300 auf 2.800 Euro brutto). Die Zulagen, etwa jene für Unterbrecherdienste, werden zum Teil um bis zu 50 % angehoben. Wir haben auch bereits vor Veröffentlichung des Briefes geplant, die Unterbrecherdienste auf das notwendigste Maß zu reduzieren. Man muss dazu sagen, nicht alle Mitarbeiter empfinden diese Dienste als ungerecht.

Ein Straßenbahnfahrer muss “sehr gute Deutschkenntnisse” mitbringen. Als Fahrgast hat man selten Kontakt mit den Lenkern. Ist diese Anforderung sinnvoll?

Reinagl: Wir haben überlegt, das zu ändern. Aber Sie dürfen das nicht unterschätzen. Es geht nicht um das Gespräch mit dem Fahrgast. Das sollte während der Fahrt ohnehin nicht stattfinden. Viel Wesentlicher ist die Kommunikation mit der Leitstelle. Die Funksprache ist Deutsch und es ist im Interesse des Fahrers und der Fahrerin, wenn sie bei Unfällen effizient mit der Leitstelle in Kontakt treten können. Da ist Deutsch einfach erforderlich. Deshalb bieten wir auch Deutschkurse während der Ausbildung an.

Verkehrsexperten vom VCÖ und der TU Wien sagen, wenn man die Infrastruktur verbessern würde, könnten Straßenbahnen Zeit sparen und mit gleich viel Personal dichtere Takte fahren. Eine Studie aus Dresden zeigt etwa, dass Straßenbahnen, die im Verkehr bevorrangt werden, 15 Minuten auf einer Strecke einsparen können.  

Reinagl: Ja, das stimmt durchaus und das ist uns auch bewusst. Wir sind permanent in Gesprächen mit der Stadt Wien. Wir haben ja schon sehr viele Bevorrangungen bekommen. Wir bauen unser Netz auch laufend weiter aus. Bei Neubaustrecken setzen wir vor allem auf reine Gleiskörper, sodass sich die Straßenbahnen den Straßenraum nicht mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen müssen. Man sieht im Norden Wiens, dass diese Straßenbahnen dann zuverlässiger fahren.

Auf anderen Strecken fahren die Straßenbahnen sehr langsam, weil die Schienen teilweise veraltet sind. 

Reinagl: Die Gleise liegen zum Teil seit 40 bis 50 Jahren. Wir kommen jetzt in die unangenehmen Jahre, in denen das Gleisnetz altert und man Geld in die Gleisinfrastruktur stecken muss. Bisher haben wir im Interesse der Fahrgäste versucht, in nachfrageschwachen Zeiten zu renovieren. Das geht sich mit dem jetzigen Bedarf nicht mehr aus.

Haben die Wiener Linien zu spät mit den Renovierungsarbeiten begonnen?

Reinagl: Ich habe eine andere Erklärung: Man hat versucht, die Renovierungen in Zeiträumen zu machen, die fahrgastfreundlich sind. In den kommenden Jahren werden wir nicht nur mehr im Sommer Gleisbaustellen haben.

Nochmal zurück zu den Verspätungen. Viele Fahrgäste sind verärgert, weil sie am Abend 13 Minuten auf die Straßenbahn warten müssen. Einige überlegen, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen. Was machen Sie denn, um Ihre Kunden zu halten bzw sie nach der Pandemie wieder zurückzugewinnen? 

Reinagl: Es gibt Städte, da warten Sie generell 13 Minuten auf die Straßenbahn.

Der Autoverkehr in diesen Städten ist aber auch unattraktiver als in Wien. Und der Öffi-Verkehr steht primär in Konkurrenz zu anderen Verkehrsmitteln und nicht zu anderen Städten.

Reinagl: Ich will ja auch nicht, dass wir dort bleiben. Ich habe mich schon mehrmals für die Verspätungen entschuldigt. Ich weiß aber, dass das den Fahrgästen nicht hilft. Aber in einer schwierigen Situation bitten wir auch um ein bisschen Verständnis. Wir machen die Fahrplananpassung nachfrageorientiert, zu den Zeitpunkten und auf den Linien, wo es möglich ist. 13 Minuten sind länger als man es gewöhnt ist. Teilweise waren es auch schon 40 Minuten. Davon sind wir mittlerweile zum Glück weg und das darf auch nur mehr in Ausnahmesituationen vorkommen. Mit einer Fahrplan-Entzerrung will ich solchen großen Ausfällen entgegenwirken. Dann gibt es zwar größere Intervalle, aber die Fahrgäste können sich darauf einstellen und planen.

Mir tut es natürlich auch leid, wenn Menschen aufs Auto umsteigen. Aber man muss schon sagen, die Öffis sind weitaus komfortabler, günstiger und klimafreundlicher. Autofahren in Wien ist nicht lustig.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden Sie in unserem Archiv.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!