Der alpine Fußabdruck des Menschen
Gletscher schmelzen, die Baumgrenze verschiebt sich, Arten wandern, Lebensräume verschwinden: Wie wir Spuren in der unberührten Natur in den Hohen Tauern hinterlassen, ohne sie je betreten zu haben
Auf einem kleinen Plateau auf 2112 Meter Seehöhe überblickt Christian Körner das Osttiroler Innergschlöß. Unten liegt das Tal, vor ihm die Vergangenheit. Dort drüben, nur einen Steinwurf entfernt, wo ein Fels steil abfällt, haben sich zwei Zirben festgekrallt. Vor einigen Jahrzehnten muss hier ein Tannenhäher vorbeigeflogen sein, einen Zirbelsamen im Schnabel. Er hat ihn dort am Felsen als Futter für später vergraben und vergessen. Jetzt markiert das einstige Vogelversteck die neue Baumgrenze. „Wir sehen erstaunlich viele dieser jungen Bäume, die sich in den letzten drei Jahrzehnten hier etabliert haben“, sagt Körner, emeritierter Botanik-Professor von der Uni Basel. „Diese Bäume sind jedenfalls klimabegünstigt.“
Mittels Langzeitbeobachtung erforscht Körner mit seinen Kollegen, wie der Klimawandel die Hohen Tauern verändert. Die Baumgrenze betrachtet er als augenscheinlichsten biologischen Marker. Aber weil es lange dauert, bis der Sämling zur stolzen Zirbe heranwächst, sieht man die Auswirkungen der Erderwärmung erst zeitverzögert. Immer wieder müssen die Bäume Rückschläge einstecken, denn Zirben wachsen an der Front der Kampfzone auf, wie Biologen das Gebiet zwischen Sein und Nichtsein einst martialisch nannten.