Der endlose Horizont
Eine groß angelegte Retrospektive rückt erstmals den „Filmkontinent Australien“ in den Fokus
Entdeckungen und Klassiker: „My Brilliant Career“ und „The Sundowners“, unten „The Overlanders“ und „Rabbit-Proof Fence“ (Fotos: National Film and Sound Archive of Australia)
Nichts gegen Mad Max! Und schon gar nichts gegen Crocodile Dundee! Doch zum Glück hat das australische Kino mehr zu bieten als schrullige Grantler und unverwüstliche Krieger. Eine über 100 Jahre zurückreichende Tradition beispielsweise, die sich bereits Anfang des
20. Jahrhunderts als überaus produktiv erwies. So entwickelte sich in Australien mit den sogenannten Bushranger-Filmen ein eigenes, hochdramatisches Genre, und das lange, bevor Hollywood den Western für sich entdeckte.
Das Österreichische Filmmuseum rückt den „Filmkontinent Australien“ hierzulande nun erstmals in den Mittelpunkt. Dabei stehen bis Anfang Juni mehr als 50 Spielfilme aus und über Australien auf dem Programm.
Die schier unendliche Weite der Landschaft und die Enge der gesellschaftlichen Verhältnisse zählen mit zu den unauflösbaren Widersprüchen, die im australischen Film seit jeher künstlerischen Ausdruck finden.
„The Overlanders“, vom britischen Dokumentarfilmpionier Harry Watt 1946 in Szene gesetzt, folgt einem Rinderkonvoi über den halben Kontinent. Den realen Hintergrund zu der Geschichte, die während des Zweiten Weltkriegs spielt, lieferte die Befürchtung einer japanischen Invasion. Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist der Stellenwert, den Watts episches Heldenlied sowohl weiblichen als auch indigenen Charakteren einräumt: etwa dem Viehtreiber Jacky (gespielt vom Aborigine Clyde Combo), der mutig die Herde rettet.
Sehr viel gemütlicher sind Deborah Kerr und Robert Mitchum als „The Sundowners“ (1960) im gleichnamigen Film von Fred Zinnemann unterwegs. Zuerst einmal aber musste der aus Wien stammende Hollywoodregisseur sich gegen das Studio durchsetzen, das die Geschichte der Carmodys, einer Familie herumziehender Farmarbeiter aus Kostengründen lieber mit importierten Känguruhs in der Wüste von Arizona gedreht hätte.
Seine pittoreske Unschuld gänzlich verloren hat das Outback spätestens in „Rabbit-Proof Fence“ (2002), worin
Phillip Noyce sich eines schmachvollen Kapitels der australischen Geschichte annimmt. Er erzählt von drei kleinen Mädchen, die anno 1931 unter dem Vorwand, ihnen eine „gute Erziehung“ angedeihen zu lassen, aus ihrem Dorf in eine Siedlung der Weißen verschleppt werden.
Indes handelt es sich bei Molly, Daisy und Gracie keineswegs um tragische Einzelschicksale, sondern vielmehr um langjährige gängige Praxis im Umgang mit den Ureinwohnern. An die 100.000 Kinder wurden zwischen 1910 und 1976 gewaltsam von ihren Eltern getrennt und als Hilfspersonal in weißen Haushalten eingesetzt.
Herzstück des Films ist die Flucht der drei Kleinen zurück nach Hause; 1200 Meilen sind es bis Jigalong, in ihr Heimatdorf. Ein schweigsamer Fährtenleser, verkörpert von David Gulpilil – dem Superstar unter den Aborigines-Schauspielern, dessen zerfurchtes, einprägsames Gesicht man von Nicolas Roegs „Walkabout“, Peter Weirs „The Last Wave“ und Dutzenden weiterer Klassiker her kennt –, bleibt ihnen unentwegt auf den Fersen.
Noyce und Weir, die in der Retrospektive beide mit einer Reihe ihrer wichtigsten Arbeiten vertreten sind, zählen zu den prominentesten Autorenfilmern jener „Neuen Welle“, die in den 1970ern eine Renaissance des australischen Films einleitete. Dazu kommen Bruce Beresford, Fred Schepisi, George Miller (der Vater von „Schweinchen Babe“) und später noch die aus Neuseeland gebürtige Jane Campion.
Umso nachdrücklicher sei bei diesem Unverhältnis zwischen den Geschlechtern auf Gillian Armstrongs selten gezeigtes Spielfilmdebüt „My Brilliant Career“ (1979) hingewiesen. Es basiert auf Stella Miles Franklins im Jahr 1901 erschienenem Roman gleichen Titels, in dem die damals erst 21-jährige Autorin die stark autobiografisch getönte Geschichte einer Emanzipation erzählt. Die junge Sybylla (im Film: Judy Davis) entscheidet sich gegen ein Leben als Ehefrau im Hinterland, ergreift den Beruf einer Lehrerin und fängt schließlich an zu schreiben.
Mit der „Zweiten Neuen Welle“ traten in den 1990ern erstmals auch Abori-
gines-Autorenfilmer in Erscheinung. Erwähnt seien hier nur Regisseure wie Warwick Thornton („From Sand to Celluloid“, 1996) oder die renommierte Fotografin Tracey Moffatt, die 1993 mit „beDevil“ als erste Aborigines-Frau überhaupt einen Spielfilm realisieren konnte. Und natürlich werden in dieser mystisch überhöhten Geistergeschichte nicht zuletzt Austra-
liens rassistische Vergangenheit und verdrängte Traumata verhandelt.
Filmkontinent Australien: Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum bis 4.6.