Aufg’sperrt is’!

Peter Iwaniewicz beklagt, dass der Klimawandel seine Fachbibliothek entwertet

Kolumnen, FALTER 16/2019 vom 16.04.2019

Wann beginnt – auf der Nordhalbkugel – der Frühling? In echt, möchte ich jugendsprachlich hinzufügen. Also gefragt ist nicht der Frühlingsbeginn der Astronomen (20. März) oder der Meteorologen (1. März). Und auch nicht jener der Comedian Harmonists, die meinten, die Jahreszeit werde durch die Sangesfreudigkeit junger Frauen angezeigt („Veronika, der Lenz ist da, die Mädchen singen tralala“).

Ich meine den phänologischen Frühlingsbeginn, der sich vor allem am Erscheinen oder den Geschlechtsorganen bestimmter Pflanzen orientiert. Wenn zum Beispiel die Kirsche Staubblätter und Stempel raushängen lässt, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass die warme Saison so richtig losgeht. Früher passierte das in Wien in der letzten Aprilwoche, seit einigen Jahren aber blühen diese Obstbäume schon ab Mitte April. Der Klimawandel ist gekommen, um zu bleiben.

Ich hingegen kann selbst bei geschlossenen Fenstern sicher sagen, wann das Frühjahr beginnt. Nämlich dann, wenn meine Mailbox mit Fotos und Fragen, was denn das für ein Tier sei, überquillt. In der Hitparade auf Platz eins liegt weiterhin die Marmorierte Baumwanze, die – hungrig von der Überwinterung – gerade in vielen Blumenkisterln und Hochbeeten zu sehen ist. „Sehr viele große Ameisen“ in und um Haus und Wohnungen werden auch gemeldet.

Eine sehr interessante Aufnahme bekam ich von einem Leser aus Wien-Liesing, die mir vor Augen führte, wie alt ich schon geworden bin. Genau genommen sind vor allem meine Bestimmungsbücher alt, die jene Arten nicht enthalten, die durch Globalisierung und Klimawandel jetzt neu in Österreich vorkommen. Für die elegante, aus dem mediterranen Raum zu uns gekommene Wanze Nagusta goedelii gibt es – noch – keinen deutschen Namen, und sie wurde erstmals 2013 im Raum um Wien nachgewiesen. Nein, keine Stinkwanze, sondern ein Insekten- und Spinnenjäger, also in landläufigem Verständnis „nützlich“.

Insekten sind sehr gute Indikatoren für den Klimawandel, denn als wechselwarme Tiere reagieren sie sensibler auf Temperaturänderungen als Säugetiere oder Vögel. Auch die wärmeliebenden Gottesanbeterinnen und Smaragdeidechsen werden wir in Zukunft öfters zu sehen bekommen. Verlierer bei dieser Mediterranisierung Österreichs sind Bewohner feuchter Lebensräume wie der Alpensalamander und Kaltwasserfische wie die Bachforelle. Frühling beginnt dann, wenn man sich neue Naturkundebücher kaufen muss!

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