Ganz positiv

Peter Iwaniewicz meint, die Natur soll nicht so viel raunzen, sondern früher aufstehen

Kolumnen, FALTER 14/2019 vom 02.04.2019

Goethe stellte in seiner Tragödie „Faust I“ die damals wichtigste Gesinnungsfrage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Das Erforschen solcher unangenehmen, Menschen zu einem Bekenntnis zwingenden Werthaltungen nennt man eine Gretchenfrage. Im 21. Jahrhundert liegen unsere zentralen gesellschaftlichen Probleme viel mehr in der Nutzung bzw. Übernutzung natürlicher Ressourcen, an der aber nicht alle teilhaben (dürfen). Die drängende Frage, die jetzt Gretchen einem Heinrich Faust stellen würde, heißt: „Wie hältst du es mit der Natur?“.

Dazu gab es unlängst einen Vortrag des Unternehmensberaters und Zukunftsforschers Matthias Horx mit dem Titel „Zukunft Natur“. Seine Botschaft dabei war, dass Kritik an Umweltzerstörung oder industrieller Tierhaltung meist auf der konservativen Idee einer „unberührten Natur“ basiere und es diese gar nicht gebe. Naturschützer bemühen seiner Meinung nach zu sehr Bilder der Apokalypse und sollten stattdessen viel mehr positive Botschaften aussenden.

Okay, probieren wird das einmal. Eine aktuelle Modellrechnung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt errechnete, dass von April bis Oktober in Deutschland täglich mehrere Milliarden Insekten mit einem Gewicht von etwa 1200 Tonnen Kilogramm durch Windkraftanlagen getötet werden.

Wie würde diese Nachricht ein mit Glückshormonen bis über die Synapsen abgefüllter PR-Berater formulieren? Im Durchschnitt kommen pro Kubikkilometer Luft – also einem Würfel von je 1000 Metern Seitenlänge – circa neun Kilogramm Insekten vor, und von diesen überleben 95 Prozent. Super positiv! Fünf Prozent werden an den bis zu 400 km/h schnellen Spitzen der Rotorblätter zerdrückt. Das entspricht fünf bis sechs Milliarden Bienen, Wespen, Heuschrecken, Fliegen und Käfern und anderen luftigen Wirbellosen. An jedem Tag. Nein. Schon wieder zu negativ.

Und die getöteten Vögel? Nur 681 Tiere kollidierten in Deutschland mit einer Windkraftanlage. Positiv. Negativ hingegen eine andere Schätzung des deutschen Naturschutzbunds von bis zu 100.000 geschredderten Vögeln pro Jahr, weil verunglückte Tiere von Aasfressern blitzschnell gefressen werden und man keine Belege findet. Negativ. Besser: Windkraft hilft Füchsen und Dachsen!

Oder wie die Sozialministerin Hartinger-Klein es vielleicht formulieren würde: „Wer schafft die Natur? Na sorry, die Wirtschaft schafft die Natur. Bitte merkts euch das einmal.“

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