Vergeben und vergessen: Oscar 2019
Hollywood feiert sich selbst, aber der begehrteste Filmpreis der Welt gerät zusehends unter Druck
ier der Oscar-nominierten Filme (im Uhrzeigersinn): „The Favourite“, „First Reformed“, „Roma“ und „Green Book“ (Fotos: Centfox (2), Netflix, Viennale)
Voriges Jahr wurde der Goldjunge 90, heuer lässt sich die Krise, in der Hollywood und die Oscars stecken, nicht mehr wegleugnen. Einer der absoluten Favoriten ist eine Netflix-TV-Produktion, die Frauenquote beschämend, die ethnische Diversifizierung noch immer kaum der Erwähnung wert. Zudem soll die Gala, bei der am Sonntagabend in Los Angeles die Preise verliehen werden, deutlich kürzer ausfallen und erstmals ohne Moderation auskommen.
Boykottiert die Oscars!
Ja, frau/man hätte Lust auf diesen Wutschrei angesichts der Zahl weiblicher Nominierter in allen Kategorien. Auch deshalb votieren wir beim „Besten Film“ für „Roma“ von Alfonso Cuarón. Er ist einem Hausmädchen gewidmet und nimmt gleich mehrere Frauenschicksale im Mexiko des Jahres 1970 in den Blick. Ein großartiges Werk ist er natürlich sowieso und auch als „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert. Sollte es „nur“ dieser Oscar werden, halten wir alternativ zu „BlackKklansman“.
Weniger Gewirr, mehr Gewinn
Für seine siebente Spielfilm-Wunderlichkeit hat Yorgos Lanthimos den Regie-Oscar verdient. Dass der Grieche diesmal am Drehbuch nur mitgearbeitet und sich ganz aufs Inszenieren konzentriert hat, tut „The Favourite“ gut: Versteht man die Handlung, kann man auch die Regie bewundern. Gekonnt führt Lanthimos ein umwerfendes Frauentrio (Colman, Weisz, Stone) durch ein Historiendrama voll bösen Witzes und Bitterkeit, fein gespickt mit Elementen seiner anarchisch-surrealistischen Handschrift.
Die ewige Verliererin
Selbstbewusste starke Frauen haben bei den Oscars traditionell das Nachsehen. Glenn Close war in den 1980ern fünffach für eine Auszeichnung nominiert, dieses Jahr befindet sie sich als „Die Frau des Nobelpreisträgers“ zum siebenten Mal unter den Kandidatinnen. Damit ist sie die am öftesten nominierte Schauspielerin, die keinen Oscar gewonnen hat. Auch heuer wird’s nichts, denn inzwischen gilt Olivia Colman als haushohe – nun ja – Favoritin.
Viggo ist der neue Leo
Muss der Mann bis zum Ehrenoscar warten? Wie zuletzt Leo DiCaprios ist Viggo Mortensens Preis überfällig, besitzt er doch die Fähigkeit, sich für jede Rolle neu zu erfinden. „Green Book“ hat vielleicht nicht das beste Drehbuch, aber als verfressener Italoamerikaner Tony Lip, der sich 1962 mit dem schwarzen Pianisten Don Shirley anfreundet, zeigt Viggo wieder eine Glanzleistung.
Ab in die Werbepause?
Zu den skurrilen Neuerungen des Jahres gehört, die Trophäen in so „unwichtigen“ Kategorien wie Schnitt und Kamera in den Werbepausen zu verleihen. Dabei ist gerade letztere Auswahl besonders spannend, steht neben „Roma“ doch noch ein zweiter Film in Schwarz-Weiß zur Wahl: Kameramann Łukasz Żal führt in „Cold War“ zurück in jene bleierne Zeit, in der die Welt in zwei Blöcke geteilt und selbst die Liebe oft ein Politikum war.
Schreiben oder nicht
Insgesamt nicht weniger als 20 Personen sind in den beiden Drehbuch-Kategorien – Adaption und Originalstoff – nominiert: Ganze zwei davon sind Frauen, und beide freilich auch nur im Team mit einem Autor. So viel zur Statistik. Weil also die Oscars ohnehin eine hoffnungslose Angelegenheit sind, votieren wir für einen Drehbuchautor, dessen Figuren – von Taxler Travis Bickle bis Reverend Toller – längst jede Hoffnung aufgegeben haben: Paul Schrader für „First Reformed“.
Zwei lüsterne Spinnen
In der Realität wären sie einander spinnefeind: die erzkonservative Lynne Cheney, Ehefrau des Ex-US-Vizepräsidenten, und der exzentrische schwule Herumtreiber Jack Hock. Ihre Darsteller möchten wir auf der Oscar-Bühne sehen: Wie Amy Adams in der biografischen Satire „Vice“ machtgeile Gruselblicke austeilt und Richard E. Grant sich im tragikomischen Biopic „Can You Ever Forgive Me?“ durchs Leben künstelt, beschere ihnen den Oscar als Beste/r Nebendarsteller/in.
Auf Ediths Spuren
Hollywoods legendäre Kostümbildnerin Edith Head wurde 35-mal für den Oscar nominiert, acht Statuetten nahm sie mit nach Hause. Ihre britische Kollegin Sandy Powell, die in den 1980ern bei Filmen von Derek Jarman angefangen hat, bringt es bis dato auf drei Oscars bei zwölf Nominierungen. Heuer ist sie mit gleich zwei weiteren Arbeiten, „Mary Poppins’ Rückkehr“ und „The Favourite“, am Start.
Oscar-Nächte im Gartenbau am 23. und 24.2., Liveübertragung der Gala: Sonntagnacht, 2.00