Kunstgeschichte

Peter Iwaniewicz findet, dass die meisten Spinnen nicht beißen, sondern malen

Kolumnen, FALTER 7/2019 vom 12.02.2019

Es war einmal vor langer Zeit. Da verdiente ich mir ein Zubrot mit Führungen im Museum moderner Kunst. Der damalige Direktor, Dieter Ronte, wiederum unterwies uns Museumspädagogen in den Feinheiten der Betrachtung moderner Kunstwerke. Bei einem Werk von Oswald Oberhuber beschrieb er auch die verwendeten Materialien: Bleistift, Ölkreide auf Papier. „Und Kugelschreiber“, fügte ich vorlaut hinzu. Ronte inspizierte das Bild mit gehobener Augenbraue genauer und sagte dann vor dem Satz „Nein, das muss jetzt restauriert werden“ etwas, das undirektorenmäßig wie „verdammte Schulklassen“ klang.

Gegenwart. Ein bekannter Künstler hat auf einigen seiner Bilder, die er von einem Galeristen zurückbekam, merkwürdige Spuren entdeckt. Diese beschreibt er mit der Kunsthistorikern eigenen Detailgenauigkeit: „Zahlreiche weiße Punkte mit einem Durchmesser von bis zu vier Millimetern mit senkrecht verlaufenden Rinnspuren von bis zu einigen Zentimetern Länge.“ Da er den naheliegenden Verdacht, dass es sich dabei um kunstfremde Farbspritzer handelt, ausschließen konnte, fiel seine nächste Vermutung auf die üblichen Verdächtigen: exkrementierende Tiere.

Zur Auswahl am Ort der Lagerung stehen folgende dort vorkommende Tierarten: Katzen, Marder, Vögel, Insekten und Spinnen. Säugetiere können wir aufgrund der Zartheit der künstlerischen Intervention gleich ausschließen. Da Insekten meist mehr Farbe in ihrer exkrementellen Ausdrucksweise verwenden, kommen nur Spinnen als kunstaffine Mitgestalter in die engere Wahl. Unter den circa 1000 einheimischen Spinnenarten kommen etwa 50 Arten hauptsächlich in Gebäuden vor. Die Nahrungsaufnahme bei den meisten Spinnen läuft so ab: Nachdem die Beute durch einen Giftbiss gelähmt wurde, kauen sie mit ihren Mundwerkzeugen die Nahrung so lange durch, bis nur ein Klümpchen mit harten Chitinteilen übrigbleibt. Der flüssige Anteil wird durch die Mundöffnung in den Magen gesaugt. Der Darm ist sehr weit verzweigt und speichert zwischenzeitlich Stoffwechselprodukte als weiße Kristalle. Diese scheinen durch die Körperoberfläche durch und zeigen Strukturen wie zum Beispiel das Kreuz der Kreuzspinne. In flüssiger Form wird dies später als weißer Spritzer (pun intended) abgegeben. Diese Überarbeitung sollte in der Materialangabe Berücksichtigung finden: Acryl und Spinnenkot auf Leinwand.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden Sie in unserem Archiv.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!